Wie Donald Trump in den Neunzigern durch die Popkultur geisterte

Wahrhaft übertrieben

Am 20. Januar übernimmt Joe Biden die US-Präsidentschaft. Damit endet die Amtszeit von Donald Trump ist damit zu Ende. Trump wird womöglich versuchen, ein Medienimperium aufzubauen, schließlich geistert der Unternehmer nicht nur mit seiner Show »The Apprentice« schon seit Jahrzehnten durch die US-amerikanische Popkultur.

Donald Trumps Beziehung zu den Medien ist immer eine symbiotische gewesen. Jeder Tweet und jede Pöbelei des US-Präsidenten und jeder medi­ale Konter gegen ihn, so konnte man sicher sein, bauschten einander zu einem verwirrenden Spektakel auf. Das gelang so zielsicher, dass bei­nahe alle Trump-Analysten in der vergangenen vier Jahre einräumen mussten: Es ist äußerst schwierig herauszufinden, für wen oder was Trump als Politiker eigentlich steht. Tyrann oder Rebell, Imperialist oder Protektionist, Underdog oder Teil des Establishments?

Trumps parteipolitischer Werdegang legt nahe, dass es ihm als Politiker nie um Grundsätze und Überzeugungen ging, sondern viel eher um ihre spielerische Konfusion. Aus dem registrierten Republikaner von 1987 wurde 2001 ein Demokrat, bis er 2009 zu den Republikanern zurückkehrte, mit einer kurzen Unterbrechung von 2011 bis 2012. Das ­US-amerikanische Politmagazin Politico konstatierte 2015: »Trumps ­politische Präferenzen sind eklektisch, aus dem Stegreif und oft ­widersprüchlich.«

Was Trump am laufenden Band erschafft, sind Indizien, die Sinn stiften sollen. Tatsächlich sind sie völlig sinnentleert, die Aufmerksamkeit, die sie erregen sollen, erlahmt.

Trump konstituiert sich als mediale Figur maßgeblich über ein sich stetig veränderndes Image anstatt über Prinzipien und Inhalte, gegen herkömmliche politische Analyse sperrt er sich. Deshalb liegt es nahe, ihn vornehmlich als ästhetisches Phänomen zu begreifen.

Das ist gar nicht so abwegig, denn Donald Trump ist schon lang Teil der US-amerikanischen Popkultur. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung mit Trumps Aufstieg zum Bau­mogul im New York der frühen Achtziger, nachdem er bei seinem Anwalt Roy Cohn in die Lehre gegangen war. Nachts traf man den Trump dieser Jahre nicht selten im Studio 54 zwischen Schauspielern und Popstars an.

Cohn hatte eine enge Freundschaft mit Senator Joseph McCarthy verbunden, der Hollywood in den Fünfzigern nach Kommunisten durchsuchte. Zugleich vertrat Cohn als Rechtsbeistand führende Mitglieder der italoamerikanischen Mafia, die das Baugewerbe Manhattans in den siebziger und achtziger Jahren weitgehend beherrschte und ohne die Donald Trump seine Prestigeprojekte nicht so leicht hätte realisieren ­können. Cohn starb in den Achtzigern im Alter von 59 Jahren an den Folgen von Aids. Seine Homosexualität hatte er der Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch seinen Kompagnons aus Politik und organisiertem Verbrechen zeitlebens verheimlichen müssen.

Als 1983 Trumps bis dato größtes Bauprojekt, der Trump Tower, fertiggestellt wurde, hatten dort bereits diverse Größen aus dem Showbusiness (unter anderem Sophia Loren und Steven Spielberg) in Apartments investiert. Trumps Investitionen in Casinos in New Jersey Mitte der Achtziger warfen hingegen eher magere Einnahmen ab. Unterdessen erwarb Trump in Palm Beach, Florida, das Anwesen Mar-a-Lago und legt sich in der Manier eines neureichen Eroberers mit dem altreichen Establishment der Stadt an.

In den ausgehenden Achtzigern intensivierte sich Trumps Beziehung zu Film und Fernsehen, die Gastauftritte in Shows und Serien häuften sich und einmal griff Trump an entscheidender Stelle sogar selbst ins Produktionsgeschehen ein. Abel Ferrara, New Yorks am härtesten gesottener Underground-Filmemacher, erzählte 1990 in »King of New York« von einem aus der Haft entlassenen Gangsterpaten, der nicht nur sein Imperium verteidigen, sondern nun auch Bürgermeister der Stadt werden will. In kalten Farben fotografiert, mit Christopher Walken in der Hauptrolle als Frank White, stellt der Film ein ästhetisches und produktionstechnisches Faszinosum dar. Denn White, der nicht nur so heißt, kommandiert eine Gangsterbande, die ausschließlich aus Schwarzen ­besteht. Zugleich ist er mit der weißen Politschickeria per du. Ferrara entstammt der New Yorker Punkszene der Siebziger, produziert hat den Film Silvio Berlusconi. Geholfen hat Donald Trump, denn Frank White ­residiert im Film im Plaza Hotel, das zu der Zeit Trump gehörte. Die Drehgenehmigung stellte Trump dem Filmteam nach der leutseligen Art eines Paten gegen ein paar Fotos von Ivana Trump mit Christopher Walken aus.

In »Home Alone 2: Lost in New York« von 1992 verschlägt es den ­notorisch von seiner Familie vergessenen Mittelschichtsprößling Kevin (Macaulay Culkin) nach New York City, genauer gesagt wieder ins Plaza. In der Hotellobby trifft er auf Trump. Die beiden haben zwar nur ein Minimum an Dialog, wichtig ist aber der Kontext. Obwohl die Filmreihe zum Kanon weihnachtlicher Familienunterhaltung gehört, findet sich im Grunde wenig Glückliches in ihr. Trat die Slapstick-Komödie traditionell immer von unten nach oben, wechselt »Home Alone« die Seite im Klassenkampf: Hier darf der wohl­habende, angelsächsisch-christliche Kevin zwei kriminelle lowlifes so richtig in die Pfanne hauen. Und während Kevin zur Tat schreitet, schickt ihm Donald Trump einen Schulterblick voll väterlicher Anerkennung von so viel Zielstrebigkeit hinterher.

In »The Associate« von 1996, dessen treffender deutscher Titel »Wer ist Mr. Cutty?« lautet, spielt Whoopi Goldberg eine fähige Investmentbankerin, deren Karriere an der Wall Street stagniert, weil sie eine schwarze Frau ist. Kurzerhand erfindet sie für ihre Firma einen einflussreichen weißen Mann als Partner, den titelgebenden Mr. Cutty, der in ihren Meetings permanent verhindert scheint und den nie jemand zu Gesicht bekommt. Ihr Plan geht auf und der sagenumwobene, dauerbeschäftigte Mr. Cutty wird zum neuen Star der Wall Street. Fortan stehen Goldbergs Figur alle Pforten offen. Sogar ­Donald Trump möchte unbedingt Cutty kennenlernen und sagt dafür eine Geschäftsverabredung ab.

In der achten Episode der zweiten Staffel von »Sex and the City« von 1999 trinkt Samantha Jones (Kim Cattrall), eine der vier Protagonistinnen, an der Bar eines Restaurants einen Cocktail und entdeckt an einem Tisch Donald Trump. Beide registrieren einander und das von Sarah Jessica Parker gesprochene Voice-over erklärt: »Samantha, a cosmopolitan, and Donald Trump. You just don’t get more New York than that.« Dass sich hier Samantha Jones und Donald Trump anlächeln, ergibt durchaus Sinn. Denn der vielgestaltige Trump erweiterte sich im 21. Jahrhundert um oft verspottete, in ihrer leichten Genderdiffusion aber wichtige Komponenten: den orangenen Teint aus Selbstbräuner und Make-up plus die artifizielle Platinfrisur. Die Serienfigur der Samantha Jones, die kein Geheimnis daraus macht, dass ihr Alter ein streng gehütetes Geheimnis ist, und der real-fiktive Donald Trump: You just don’t get more Trump than that.

Einer, der Trump schon früh in sein Werk integrierte, war der Schriftsteller und Drehbuchautor Bret Easton Ellis. 1991 veröffentlichte Ellis seinen 2000 verfilmten Skandalroman »American Psycho«, in dem es um den serienmordenden Wall-Street-Yuppie Patrick Bateman geht. Trump ist für Bateman eine konstante Bezugsperson, rund 40mal findet er Erwähnung im Buch. Bateman hofft stets, Trumps Bekanntschaft zu machen und sich seiner Gefolgschaft anschließen zu dürfen. In vielerlei Hinsicht zeigen sich Gemeinsam­keiten zwischen diesen Männern: der Machismo, das Anspruchsdenken und die penible, traditionell eher feminin konnotierte Bedachtheit aufs Erscheinungsbild, die Gönnerhaftigkeit und der latente Rassismus.

In der Rückschau zeigt sich Ellis wenig überrascht von Trumps Wahlsieg im Jahr 2016. Betrachtet man Trump als eine Figur, der Beliebigkeit zu eigen ist und bei der Realität und Phantasie verschwimmen, sieht man, dass Ellis bereits in »American Psycho« eine solche Figur skizzierte. Besser gesagt: Bateman ist wie Trump eine Nichtfigur. So heißt es in Ellis’ Roman: »Es gibt eine Idee Patrick Bateman, einen abstrakten Entwurf, aber kein wahres Ich, nur eine Erscheinung, etwas Schemenhaftes, und obwohl ich in der Lage bin, mein ­kaltes Starren zu verbergen, und du mir die Hand schütteln kannst und dabei Fleisch spürst, das dein Fleisch umschließt, und vielleicht sogar das Gefühl hast, unser Lebensstil sei vergleichbar: Ich bin einfach nicht da.«

Der distinguierte Bateman kann zwar über Seiten hinweg Modelabels, Marken und hippe Restaurants herunterrattern, wird aber in der physischen Realität permanent mit seinen Arbeitskollegen verwechselt. Bate­mans sprachliche Individuierungsversuche eskalieren und scheitern doch. Er redet sich in Rausch und Rage, lehnt die südafrikanische Apartheid genauso entschieden ab, wie er schwarzen New Yorkern abspricht, jemals Amerikaner sein zu können. Wenn er im Gespräch fallen lässt, er bringe gerne Frauen um, scheint niemand zuzuhören. Das Hintergrundrauschen wird umso lauter, je schriller Batemans Stimmlage wird.

Trump war nicht die Rache des weißen Industrieproletariats an den ökonomischen und politischen »Eliten«. In diese Richtung interpretierten gleichermaßen Trump-Gegner und Trump-Befürworter das 2016 erschienene Buch »Hillbilly Elegy« von James D. Vance. Dabei wurde vergessen, dass vor allem die weiße Mittelschicht und auch einige Latinos und Schwarze Trump unterstützten.

Trumps Amerika ist nicht die Restauration eines überkommenen Amerika, sondern eines, dem die Bedeutung abhanden gekommen ist. Patrick Bateman hat dafür die Blaupause geliefert. Was Trump am laufenden Band erschafft, sind Indizien, die Sinn stiften sollen. Tatsächlich sind sie völlig sinnentleert, die Aufmerksamkeit, die sie erregen sollen, erlahmt und die Charaktereigenschaften widersprechen einander konsequent: Pop-Yuppie und Mann Gottes, Bully mit Bürgernähe, weißer Macho unter augenscheinlichem Einsatz von Kosmetik, Anpackermentalität und totales Desinteresse an Politik im gestaltenden Sinne.

Damit passt er ausgezeichnet in eine Zeit, die sich von allen »großen Erzählungen« verabschiedet hat. Universalismus und Aufklärung, die beim Wort genommen auch immer die Reflexion ihrer eigenen Versäumnisse waren, sind in Politik und Wissenschaft ausrangiert worden. Stattdessen herrscht eine unend­liche Fülle kleiner, miteinander um Distinktion ringender Erzählungen vor. Diese überlassen die Frage nach richtigem und falschem Bewusstsein einem perspektivischen Relativismus, für den jede truthful hyper­bole (die »wahrhaftige Übertreibung«, die Trump 1987 in seinem Buch »The Art of the Deal« als seine Lieblingstaktik bezeichnete) so richtig wie die nächste ist. Der schrille Trump, der ausschließlich in wahrhaftigen Übertreibungen spricht, ist die ästhetische Figuration all dieser disparaten Erzählungen. Tatsächlich funktionieren wahrhaftige Übertreibungen im Bereich der Ästhetik, in Film und Kunst, bis zu einem gewissen Grad ganz ausgezeichnet. Für die Politik hingegen gilt das nicht unbedingt.