Nicht nur Freaks sind Anhänger von Qanon

Nicht nur Freaks

Die Anhänger des Qanon-Verschwörungsmythos haben nur auf ein Signal zum Losschlagen gewartet. Die Erstürmung des Kapitols sollte den Endkampf gegen das Böse einleiten.

Für die Anhänger der Qanon-Verschwörungstheorie dürfte der Aufruf von US-Präsident Donald Trump das lange erwartete Signal gewesen sein. Trump hatte auf der »Stop the Steal«-Kundgebung am 6. Januar seine Anhängerschaft dazu aufgerufen, vor dem Kapitol gegen angebliche Wahlfälschungen zu protestieren. In Qanon-Kreisen hatten seit Wochen Aufrufe zu der Kundgebung kursiert.

Schlagwörter wie »der Sturm« oder »das Erwachen« haben zentrale Bedeutung für die Qanon-Gläubigen, die einen »Endkampf« gegen »das Böse« erwarten. Gemeint sind damit Liberale, Juden, Schwarze, Muslime und allgemein alle, die anderer Meinung sind. Nach blutigen Auseinandersetzungen und öffentlichen Hinrichtungen aller Gegner, so die Prophezeiung von »Q«, werde »dem Volk« die Macht zurückgegeben, mit Trump als zentraler Führungsfigur. Unter dem Pseudonym »Q« hatte 2017 eine Person begonnen, angebliche Insiderinformationen aus dem Weißen Haus auf dem Imageboard 4-Chan zu veröffentlichen.

Schlagwörter wie »der Sturm« oder »das Erwachen« haben zentrale Bedeutung für die Qanon-Gläubigen, die einen »Endkampf« gegen »das Böse« erwarten.

Für die Beteiligung von Qanon-Anhängern an der gewaltsamen Erstürmung des Kapitols haben die Medien rasch ein Symbol gefunden: den halbnackten, tätowierten Jake Angeli, der mit gehörnter Fellkappe auf dem Kopf als »Qanon-Schamane« schon länger bei extrem rechten Versammlungen Verschwörungsbotschaften verbreitetet. Mit solchen plakativen, freakigen Bildern wird die Bewegung jedoch verharmlost. Anhänger von Qanon sind in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden; ihre Gefährlichkeit würde durch Bilder von uniformierten Nazis weitaus besser illustriert.

Nicholas Grossman, Professor der Politikwissenschaften an der Universität von Illinois, analysierte Ende August 2020 in einem Aufsatz für das US-Magazin Defense One die Gefahren, die bei einem Wahlsieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden von der Bewegung ausgehen könnten. Die verschwörungsgläubige Qanon-Community werde ein dank­bares Publikum für Vorwürfe der Wahlfälschung sein, schrieb er. Wenn Trump dann noch Qanon-Schlagwörter wie »der Sturm ist gekommen« benutze, »besteht das Risiko, dass manche gewaltbereite Qanon-Anhänger sich entscheiden zu handeln«. Das FBI hatte Qanon bereits im Mai 2019 als »inländische terroristische Bedrohung« ­eingestuft.

Wie wenig zutreffend das Bild vom freakigen Verschwörungsspinner ist, zeigt der Fall der Quanon-Anhängerin Lauren Boebert. Einen Tag vor der »Stop the Steal«-Kundgebung hatte diese, eine kurz zuvor vereidigte Kongressabgeordnete aus Colorado, einen Tweet veröffentlicht, der Fragen aufwirft: »Merkt euch die nächsten 48 Stunden. Es werden die wichtigsten Tage in der amerikanischen Geschichte.« Zu diesem Zeitpunkt hatte Vizepräsident Mike Pence bereits klargestellt, dass er die Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg nicht verhindern werde. Andere Qanon-Fans werteten Boeberts Tweet als Bestätigung von Gerüchten über Geheimpläne, eine zweite Amtszeit Trumps gewaltsam durchzusetzen. Am 6. Januar schrieb Boebert: »Heute ist 1776«, also das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der USA. Einen Tweet, in dem die Abgeordnete ihren republikanischen Kollegen mit den zu diesem Zeitpunkt noch der Rede Trumps lauschenden Demonstrierenden drohte, löschte sie später wieder. Ein weiterer lässt sich allerdings als Nachricht an den Mob ­lesen. Während andere Abgeordnete aus Sicherheitsgründen vermieden, ­ihren jeweiligen Standort in ihren Nachrichten zu verraten, twitterte Boebert Einzelheiten aus dem Kongressgebäude, wie dass sich die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi sich nicht mehr im Kapitol befinde.

Twitter teilte am Montag mit, 70 000 Qanon-Accounts gelöscht zu haben – dabei hatte das Unternehmens bereits im Sommer vergangenen Jahres an­gekündigt, diese Verschwörungsinhalte nicht länger zu dulden. Ähnlich verhielt sich Facebook, das ebenfalls am Montag damit begann, insgesamt 15 000 »Stop the Steal«-Gruppen und -Seiten zu löschen.

Am 20. Januar soll Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden. Zu diesem Ereignis wird in extrem rechten Kreisen bereits seit Mitte Dezember unter dem Motto »Million Militia March« mobilisiert. Das FBI erwartet zwischen dem 16. und dem 20. Januar gewalttätige Kundgebungen in allen Bundesstaaten. Die Errichtung von Sperren im Regierungsviertel von Washington, D. C., deutet an, dass die Gefahr diesmal ernster genommen wird.