Vier Nachrufe auf die Stereo-Total-Sängerin Françoise Cactus

La Supergirl

Am 17. Februar erlag Françoise Cactus in Berlin einem Brustkrebsleiden. Unsere Autoren erinnern an die Musikerin, ­Künstlerin und Autorin.

Vielen Dank für die Blumen

Auf ihrem Album »My Melody« veröffentlichten Stereo Total 1999 das Lied »Tout le monde se fout des fleurs«, das in Form eines psychedelisch übersteuerten Elektropop-Chansons allem den Totenschein ausstellte, wofür das französische Chanson seit jeher stand: Liebe, Poesie, die Leichtigkeit der Hoffnung und das Pathos der Melancholie. In Wirklichkeit schert sich kein Mensch um Blumen und keiner um Dichter, die bei Vollmond am Ufer der Seine Verse rezitieren; niemand interessiert sich für vollgeweinte Taschentücher und im Liebesschmerz gerupfte Blütenblätter. Die angemessene Antwort auf Treueschwüre ist ein Schulterzucken, kein Wind ist sanft und die Luft nicht frisch, seit die Menschen sich über ihre Träume keine ­Illusionen mehr machen. Die Sonne ist weg, der Himmel verschwunden – es gibt nichts mehr, und allen ist es egal: »Il n’y a plus rien du tout / Et tout le monde se fout.« Der Ton, in dem ­dieser Bescheid erteilt wird, ist weder nostalgisch noch misan­thropisch, sondern cool – »exakt neutral«, wie ein anderes Lied von Stereo Total diesen Gestus nennt.

Die vergangene Woche mit 56 Jahren an Brustkrebs gestorbene Françoise Cactus hat fran­zösischen und angloamerikanischen Pop, deutschen Schlager, ­japanische und türkische Trash-Musik nicht deshalb kombiniert, weil sie eine multikulturelle Weltmusik schaffen wollte, sondern, weil sie alles musikalische Material mit jener ernüchterten Klarheit ansah, die Voraussetzung dafür ist, ihm die eine oder andere Freude zu entlocken. Darin war sie Serge Gainsbourg ähnlich, der seit den sechziger Jahren für Jane Birkin, France Gall und Brigitte Bardot mit dem Yéyé-Pop eine Musikform entwickelte, die vom Chanson den Sprachwitz übernahm, jedoch mit dessen schalem Pathos Schluss machte. So sehr haben Cactus’ Stimme und ihr musikalischer Gestus Stereo Total bestimmt, dass es unpassend ­erscheint, die Band eine Gruppe zu nennen. Vielmehr gehörten sie und Brezel Göring zum Typus des singulären Paars, das durch das Zusammenspiel individuell und originär ist, wie es einem Einzelnen nicht gelingen könnte. Weil ihre Musik bei aller Liebe zur Banalität immer einem solchen Begriff von Individualität verpflichtet war, haben noch die albernsten ihrer Lieder ein Moment von Trauer, das sie aus dem Chanson in den Elektropop ­hinüberschmuggeln konnten wie in einem fremden Garten gepflückte Blumen. Und weil sie nicht tiefschürfend und bedenkenträgerisch, sondern leicht, lässig und abgeklärt waren, wird ihr Publikum, das sie immer gut verstanden hat, nun auch keine kulturschaffenden Trauerreden ­halten, sondern lieber noch einmal zum »Dactylo Rock« die ­Finger klimpern lassen.

Magnus Klaue

 

Willst du Liebe, bekommst du Krach

Ich war immer gehemmt, wenn ich Françoise Cactus begegnete. Egal, ob ich sie interviewte oder ob ich sie in der Bar traf – ich konnte kaum reden. Das geht mir immer so, wenn ich Leute bewundere. Bei Françoise Cactus war das so. Sie hat mich mit ihrer Band Stereo Total aus meinem Studentenzimmer in Bielefeld ­geholt, indem sie mich dort beließ, allerdings selbstbewusster. Ich lernte: Man kann tun, was man will, wenn man kann, was man will.

Im Forum Enger hat sie zwei, drei Tage nach einem Interview mit mir unangekündigt einen Song zu meinem Geburtstag gespielt, von dem sie zufällig ­wusste. Nur war ich nicht da, das nannte sie auf der Bühne nach dem Song eine Frechheit. Ich lag mit Grippe im Bett. Und trotzdem stimmte es: Das war frech.

Françoise Cactus hat mit ihren Bands Lolitas und Stereo Total und in ihren Büchern und Kunstwerken mit einfachen Mitteln eine komplexe Kunst erschaffen, die nur einfach scheint. Und die immer faszinierend bleiben wird, da sie das Oberflächliche, das ­Zitat, den Kitsch, den Kalauer als Werkzeug nimmt, mit dessen ­Hilfe sie tiefere Schichten freilegt – willst du Punk, bekommst du Chanson, willst du Liebe, ­bekommst du Krach. Willst du Stereo-Total-Hits, kriegst du ­Stereo Total, aber nicht, was du willst. Aber du kriegst etwas. Was anderes, Besseres. Bei Cactus’ Kunst muss man zuhören, muss man genau lesen, muss man hinsehen.

Erst darüber, dass die Welt lässig und mit Ironie betrachtet wird, wird die Kunst wahrhaftig. Das habe ich so bewundert. Françoise Cactus hat weder Besserwisserei gepflegt noch Naivität gespielt, sie war ganz da, ­mittendrin, jedoch nie authentisch. Sie zeigte sich als ernste Künstlerin – umgeben von Menschen, die sich nicht immer an­gemessen zum Ernst ihrer Kunst verhielten. Etwa, wenn sie nicht lachen konnten. Etwa, wenn sie nur lachten.

Vor anderthalb Jahren hat mich Françoise gefragt, warum ich immer so komisch bin in ihrer Gegenwart. Ich habe gesagt, dass ich sie halt so sehr bewundere. »Das musst du nicht«, sagte sie so freundlich wie ungerührt.

Jörg Sundermeier

 

Die Antiperfektionistin

Der Künstler sollte schweigen, wenn das Werk spricht, heißt es. Françoise Cactus hat ihr Werk immer für sich sprechen lassen. Das heißt aber nicht, dass sie schüchtern war. Ganz im Gegenteil: Sie war immer eine sehr ­eloquente und unterhaltsame Gesprächspartnerin.

Sie und Brezel Göring haben als das Popduo Stereo Total eine wunderbare eigene Musikwelt erschaffen, wie es nur wenige Künstlerinnen schaffen. Beat, Chanson, Trash, Punk – alles durcheinander. Auf deutsch, französisch oder englisch. Immer unverkennbar Cactus. Dem Perfektionismus frech die Zunge rausgestreckt! Bis zuletzt. Sie hat sich immer einen Rest von Dilettantismus bewahrt, gegen die Borniertheit, die Spießigkeit und Engstirnigkeit, die sich im Laufe des Lebens in jedem von uns mehr oder weniger ­ausbreitet. Gegen die Angst, etwas falsch zu machen. Aber nicht sie hatte diese Angst. Wir haben sie!

Wir sind es, die Kunst mit Kunst vergleichen müssen, Künstlerinnen mit Künstlerinnen, Epochen, Dekaden, die Werke und den ganzen Rest. Wir sind es, die in einer Plattenrezension den Unterschied zwischen Album eins und Album zwei einer Band herausschälen müssen. Ja, wir suchen das Haar eben nicht nur in der Suppe, sondern auch in der Kunst. Wir sind es, die so tun, als ob es die perfekte Kunst gäbe. Den perfekten Look. Den perfekten Sound. Den perfekten Menschen.

Jetzt ist die humorvolle und stilbewusste Antiperfektionistin Françoise von uns gegangen. Ihr Werk wird uns und unseren Kindern für immer liebevoll die Zunge ausstrecken.

Maurice Summen


Françoise Cactus war eine »Super­lady« – auch ohne »Hasennäschen« und »Pampelmusenbusen«, wie es in einem meiner Lieblingssongs ihrer Band Stereo Total heißt. Meine Tochter und ich legen »Zu schön für Dich« regel­mäßig auf und grölen dazu in unsere Haarbürsten. In Françoises Nähe machte es einfach doppelt Spaß, eine Frau zu sein. Sie war cool, klug, neugierig, sozial, angenehm bescheiden, sexy und »­süperwitzisch«. Ihre einzigartige Stimme wird zwar in uns weiterklingen, aber ich bin verdammt wütend und traurig, dass sie schon gehen musste. Putain de merde.

Gabriele Summen