Das Präsidium und der AStA der Goethe-Universität Frankfurt streiten vor Gericht

Zu politisch fürs Präsidium

Das Präsidium und der Allgemeine Studierendenausschuss der Goethe-Universität in Frankfurt am Main führen einen Rechtsstreit. Die Leitung wirft der studentischen Vertretung vor, ihre Befugnisse im Rahmen des hochschulpolitischen Mandats überschritten zu haben.

Auseinandersetzungen mit den Hochschulleitungen gehören zum Tagesgeschäft studentischer Vertretungen. Schließlich treffen hier gegensätzliche Interessen aufeinander. Der derzeitige Konflikt zwischen dem Präsidium der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) ist aber nicht ­alltäglich. Er beschäftigt ein Gericht.

Die Auseinandersetzung schwelt schon länger, hat aber unter dem seit dem 1. Januar amtierenden Universitätspräsidenten Enrico Schleiff eine neue Dimension erreicht. Es geht um die Auslegung des hochschulpolitischen Mandats des AStA, in dessen Rahmen sich die Vertretung nur zu Themen äußern soll, die die Studierenden und Hochschulen betreffen. Das Präsi­dium wirft dem Studierendenausschuss vor, diese Kompetenz überschritten und sich zu allgemeinpolitischen Fragen geäußert zu haben.

Im Streit zwischen dem AStA und dem Präsidium der Goethe-Universität geht es unter anderem um eine Resolution des AStA gegen die BDS-Kampagne.

Der AStA schrieb vergangene Woche in einer Pressemitteilung, er müsse sich »aufgrund der wiederholten Einleitung rechtsaufsichtlicher Maßnahmen durch das eigene Unipräsidium vor Gericht verantworten«. Er sieht sich in seiner Arbeit beschnitten. Das Präsidium betont zwar: »Natürlich wird die Hochschulleitung in allen Fragen der Zusammenarbeit weiterhin den konstruktiven Dialog mit der Studierendenvertretung suchen.« Fraglich ist aber, ob der Gegenseite nach dem Verfahren noch der Sinn nach Gesprächen steht.

Eine Streitfrage zwischen dem AStA und dem Präsidium der Goethe-Universität, die vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt verhandelt wird, birgt eine besondere Brisanz. Denn es geht um eine Resolution des AStA gegen die Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) aus dem Jahr 2017. Diese hat es sich zum Ziel gesetzt, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren. Ihr wurde wiederholt Antisemitismus vorgeworfen.

In einem Ende 2019 gefassten Beschluss mit dem Titel »Kein Platz für Antisemitismus« unterstützte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der auch die Goethe-Universität an­gehört, noch die Resolution »Gegen BDS und jeden Antisemitismus«, die neben dem Frankfurter AStA von weiteren studentischen Vertretungen und Hochschulgruppen verabschiedet worden war. Woher kommt der Sinneswandel? Die Pressestelle des Präsidiums sagte auf eine Anfrage der Jungle World, man vertrete dieselbe Meinung zum Thema wie die Amtsvorgängerin Birgitta Wolff, die 2019 der HRK angehört hatte. Antisemitismus weise man in jeder Form zurück. Die Frage, wie sich der Widerspruch zwischen der derzeitigen Haltung der Goethe-Universität und dem Beschluss der HRK erklären lasse, beantwortete die Pressestelle mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht.

Der AStA verweist darauf, dass die Resolution gegen BDS einen Bezug zur Hochschulpolitik besitze. Denn in ihr werde auch die »Stärkung der gemeinsamen Forschung und des studentischen wie akademischen Austausches zwischen Deutschland und Israel« gefordert. Die AStA-Vorsitzende Kyra Beninga hat eine Erklärung für das Vorgehen der Universitätsleitung: »Durch diese Kehrtwende lässt das Präsidium das gemeinsame Engagement mit der Studierendenschaft gegen israelbezogenen Antisemitismus dem Wunsch zum Opfer fallen, die politische Willensbildung der Studierendenschaft zu kontrollieren und zu beschneiden.«

Auch der Umgang des neuen Präsidiums mit einem anderen Vorgang, der noch unter Präsidentin Wolff stattfand, sorgt mittlerweile für Irritation bei der Studierendenschaft. So hatte Wolff sich bereiterklärt, für die Einberufung einer Vollversammlung der »Students for Future« eine Einladung per E-Mail an alle Mitglieder der Universität zu versenden. Das neue Präsidium sieht in der Veranstaltung eine Überschreitung des hochschulpolitischen Mandats.

Der AStA-Vorsitzende Mathias Ochs beklagt mangelnde Rechtssicherheit. »Was eine Übertretung des hochschulpolitischen Mandats darstellt und was nicht, ist den wechselnden Launen des Unipräsidiums überlassen«, sagte Ochs der FAZ. Die Vorsitzende des Freien Zusammenschlusses der Studentinnenschaften (FZS), Carlotta Kühnemann, sieht es ähnlich. »Die konstante Machtdemonstration gegen den Frankfurter AStA ist unverhältnismäßig und hinterlässt ein Gefühl der Ohnmacht.« Ihr sei kein Präsidium bekannt, das so harsch gegen den eigenen AStA vorgehe, schrieb Kühnemann in einer Stellungnahme.

Die Leitung der Goethe-Universität argumentiert hingegen, in den beanstandeten Fällen sei der hochschulpolitische Bezug nur vorgeschoben, um das eigentliche Motiv dahinter zu verschleiern: die Thematisierung allgemeinpolitischer Fragestellungen. Zu diesen darf sich der AStA als Gremium einer Körperschaft öffentlichen Rechts nach Ansicht des Präsidiums aber nicht äußern, weshalb die Uni­versitätsleitung als Rechtsaufsicht die Pflicht habe, den AStA an seine Kom­petenzen zu erinnern. Doch schon das Hessische Hochschulgesetz, auf das sich die Universitätsleitung beruft, ist in diesem Fall nicht eindeutig. So ist dort in Paragraph 77 Absatz 2 Punkt 5 zu lesen, dass zu den Aufgaben der ­Studierendenschaft auch die »Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins der Studierenden« gehöre. Es dürfte also schwierig sein, eine klare Grenze zwischen einem hochschulpolitischen und einem allgemeinpolitischen Bereich zu ziehen.

Die Diskussion ist nicht neu, sie reicht zurück bis in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker schuf 1920 mit der »Verordnung über die Bildung von Studentenschaften« die rechtlichen Grundlagen studentischer Selbstverwaltung. Er vertrat damals die Ansicht, dass Studierende »nicht als Staatsbürger, sondern als akademische Bürger« von einer verfassten Studierendenschaft vertreten werden sollten. Seither hat sich anscheinend nicht viel geändert in der Auffassung der Aufgaben der Studierendenvertretungen.