Das Neue Deutschland auf dem Weg ins 20. Jahrhundert

Mit »Engels 3000« ins 20. Jahrhundert

Die preisgekrönte Reportage Von Leo Fischer

Die Zukunft der Parteizeitung »Neues Deutschland«.

»Wo ist Virtual Reality? Wo ist Gamifizierung? Wo sind die Stakeholder?« Pascal Qwertz ist stocksauer. Der 22jährige mit dem Spitznamen »Turbopascal« ist gelernter Brand Ambassador, arbeitete mehrere ­Wochen in der Marketingabteilung der Bundeswehr – und soll jetzt die Parteizeitung Neues Deutschland ins 20. Jahrhundert führen. Nun stößt er überall auf Widerstände: »Ich war erst mal total geschockt, als ich von dem Distributionskonzept hörte. Buchstaben auf einer Art Holzfolie, kaum Videos, festangestellte Mit­arbeiter – ich hatte das Gefühl, in der Steinzeit anzukommen!«

Dem Neuen Deutschland geht es nicht gut. Zwar ist das Google-Ranking der Beiträge überraschend hoch, und viele Artikel werden im Mainstream diskutiert. Auch kamen gerade in letzter Zeit interessante neue Autor*innen zum Blatt. Andererseits ist die Zeitung organisatorisch an das anarchistische Künstler*innen­kollektiv »Die_Linke« angeschlossen, dessen über 54 Untergruppierungen nicht viel mehr gemeinsam ­haben als das komplette Desinteresse an der Fortexistenz einer eigenen Zeitung. »Wir brauchen keine Zeitungen, wir brauchen jetzt die Revolution«, heißt es in einer Stellungnahme der Gruppierung »Engels 3000«. Der postoperaistische Arbeitskreis »AK Faxen dicke« hingegen glaubt generell nicht mehr an Zeitungen als Träger von Information: Alle Mit­arbeitenden sollen zunächst in eine Telegram-Gruppe versetzt und dann sukzessive durch Bots ausgetauscht werden. Und fast jeder bekannte Linken-Politiker hat einen Riesenhass auf die Zeitung, weil schon mal was drinstand, was nicht 100 Pro­zent auf seiner persönlichen Linie war.

Nun soll Pascal Qwertz frischen Wind in den Laden bringen, beispielsweise durch die Umwandlung der komplizierten GmbH-Struktur in eine Genossenschaft: »Also so eine Art Premium-Abo, wo die Leute nicht nur in eine Zeitung investieren, sondern auch in ein Stück Gemeinschaft. Ich könnte mir vorstellen, dass die Redakteur*innen überraschend bei den Abonnent*innen vorbeischauen, mit einem selbstgebackenen Kuchen. Das wäre innovativ, und man müsste auch nicht immer so viel lesen!«

Die besorgte Belegschaft kann Qwertz einstweilen beruhigen: »Beim ND wird niemand entlassen, wir kriegen es schon hin, dass alle freiwillig kündigen.« Wie gesagt: An Visionen fehlt es nicht.
 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.