Kulturschaffende in der Pandemie

Nicht relevant

Anders als Kassierer und Busfahrer gelten Künstler in der Covid-19-Pandemie als verzichtbar. Für Kulturschaffende bedeutet der Lockdown des Betriebs eine narzisstische Kränkung. Welche Schlüsse zieht der Kulturbetrieb aus dem Bedeutungsverlust?

Regelmäßig sind dieser Tage die noch existierenden Überreste des Kulturbetriebs zu vernehmen. Lautstark beschwert man sich über unzureichende staatliche Unterstützungen und fast einheitlich drängt man darauf, den gewohnten Betrieb wieder aufnehmen zu können. War die Kunst ihrem Selbstverständnis nach bisher damit beauftragt, den Alltag und seine Selbstverständlichkeiten außer Kraft zu setzen und für einen Schock zu sorgen, der die Menschen im besten Falle in einen Zustand der Reflexion versetzt, so könnte man nun behaupten, dass die Gesellschaft die Kunst in einen undurchdringlichen Schockzustand versetzt. Die Kunst hat ihre Aufgabe verloren.

Glaubten nicht wenige Kunstschaffende vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, dass sie aktiv und unwiderruflich auf das Zeitgeschehen einwirkten, müssen sie mit der Fokussierung staatlicher Maßnahmen auf andere Berufsgruppen erkennen, dass ihre Tätigkeit, nicht selten synonym verstanden mit ihrer Identität, als nicht systemrelevant klassifiziert wird. Entsprechend narzisstisch gekränkt äußerten sich die verzichtbar Gewordenen. Plötzlich sah man sich konfrontiert mit der Banalität des Lebens. Der unbeschwerte Aufenthalt im Grand Hotel Metaphysik war anscheinend vorbei.

Statt sich zu organisieren, versuchen Kulturschaffende verzweifelt, weiterhin an einem dysfunktionalen System teilzuhaben.

Das Erste, worauf diese Gesellschaft fast freiwillig und ohne größeren Widerspruch verzichtet, ist die vielzitierte Errungenschaft der Kultur. Dass es sich dabei um eine völlig verkürzte Vorstellung von Kultur handelt und einzig das damit gemeint ist, was allgemein als Kulturindustrie zu bezeichnen sein könnte, wird einmal mehr deutlich. Anstatt aber die notwendige Korrektur der Maßstäbe zu vollziehen, verabschiedeten sich nicht unwesentliche Teile der Kulturszene in gewohnt selbstreferentielle Diskurse. So phantasiert man über die Bedeutung »digitaler Räume« und bildet sich ein, dass es ein unstillbares Bedürfnis nach »künstlerischen Erzeugnissen« gäbe. Dass die gegenwärtigen und gegebenen Umstände mehr als beschissen sind, will dabei geflissentlich übersehen werden. Gleichzeitig wird die verzweifelte Bitte der Gesellschaft an »unsere Autor*innen und Künstler*innen« herangetragen, zu berichten, wie sie die gegenwärtige Krise auffassen und künstlerisch interpretieren. Diejenigen, denen die Relevanz abgesprochen wird, ersucht man um Erklärung und Interpretation, verbunden mit emotionaler Imprägnierung.

Dass vernehmbarer Widerspruch ausbleibt und die Kunstschaffenden sich den Erwartungen und Maßregelungen nicht verweigern, scheint dem Wunsch geschuldet, aus jeder erdenklichen Situation positiv zu wendende Erkenntnisse gewinnen zu können. Die Erfahrung, dass das Gegebene in keiner Weise ins Positive zu wenden ist, wird fallengelassen. Wollte man Erkenntnisse aus den vergangenen zwölf Monaten ziehen, könnten sie wie folgt aussehen:

– Die Aufgabe der Kunst ist die Unterhaltung. Die Frage nach dem Sinn der Kunst scheint unter den der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen abschließend beantwortet zu sein. Die Selbstzweckhaftigkeit der Kunst und dass sie mit gesellschaftlicher Wirkmächtigkeit abgeschlossen hat, wird als Bedeutungshorizont der Kunst akzeptiert.

Die scheinbar für alle befriedigende Vereinbarung beschränkt sich auf die Stimulation stumpfer, visueller Bedürfnisse. Aufgabe der Kunst ist die Simulation visueller, akustischer oder emotionaler Diversität. Die damit verbundene Triebabfuhr ist Selbstzweck. Kunstwerk, Medium und Inhalt sind austauschbar. Eine inhaltliche Ausrichtung oder gar eine den Kunstwerken vermeintlich innewohnende Fragestellung ist zur Chimäre von Künstlerinnen und Publikum verkommen.

– Trotz anderslautender Selbstdarstellungen befindet sich die Kunst keineswegs außerhalb gesellschaftlicher Zustände. So ist es wenig verwunderlich, dass im Bereich der Kunst nach wie vor keine kontinuierliche Selbstorganisation der Produzierenden stattfindet. Gesellschaftliche Zustände zuspitzend, ist der Produktionsprozess in der Kunst bis ins Extrem individualisiert. Der Zusammenschluss von Kulturschaffenden dient nur in absoluten Ausnahmefällen der Thematisierung von Arbeitsbedingungen. Ansonsten wird die Kunst durchdrungen von einem an Widerwärtigkeit kaum zu überbietendem Egoismus und Konkurrenzverhalten. Gerade im Moment der Krise verstärkt sich dieser Zustand. Unter verschärften ökonomischer Zwängen wird nicht selten noch die letzte Maske fallen gelassen.

– Kunst entsteht in Deutschland fast ausschließlich in absoluter Abhängigkeit von öffentlichen Geldgebern. Was bereits vor der Krise an vielen Stellen notwendigerweise kritisiert wurde, wird unter den gegenwärtigen Bedingungen umso deutlicher. Der freien und ungezwungenen Erprobung der Möglichkeit einer anderen Welt steht die mitunter selbstverschuldete Abhängigkeit im Wege. Damit verbunden ist weiterhin immer auch die Frage nach den Möglichkeiten von Unabhängigkeit, Autonomie und freier Meinungsäußerung unter diesen Voraussetzungen. Eine solche abhängige Kunst kann an keiner Stelle neue Wege und Möglichkeiten der Distribution erproben. Eine Gewerkschaft der Kunstschaffenden wäre eine überfällige Entwicklung, der Generalstreik die einzig denkbare Konsequenz.

Absehbar ist, dass die Vertreter der randständigen, marginalisierten oder bereits schlicht übersehenen Positionen innerhalb der Kunst, die auch vor der Krise schon um ihre Existenz fürchten mussten, in Zukunft kaum mehr gehören und gesehen werden. War das Produzieren zur ­Sicherung des Lebensunterhalts bereits vorher eine notwendige Last, so wird sich ein wieder anlaufender Kulturbetrieb einzig auf das Alte, Bewährte und Bekannte konzentrieren. »Kurator*innen«, »Verleger*innen« und »Veranstalter*innen« werden unter dem Zwang, Subventionen möglichst gewinnbringend oder wenigstens prestigeträchtig einzusetzen, ihre Bereitschaft, Unbekanntes oder Ungeahntes zu buchen, auf ein absolutes Minimum reduzieren. War der Kulturbetrieb bereits vor der Krise ein intransparentes und von Korruption geprägtes Geschäft, werden ­diese Tendenzen sich im Zuge seiner Wiederaufnahme verstärken.

Statt sich zu organisieren, versuchen Kulturschaffende verzweifelt, weiterhin an einem dysfunktionalen System teilzuhaben. Wider besseres Wissen wird der erbärmliche Status quo krampfhaft aufrechterhalten. Anstelle einer Analyse der eigenen Position in den gesellschaftlichen Zusammenhängen, einer tatsächlichen Reflexion von Abhängigkeitsverhältnissen und Produktionsverhältnissen steht die sich selbst immer wieder vergewissernde Fortführung der eigenen Bedeutungslosigkeit. Die Kunst ist ihr eigenes Ende. Sie ist sich selbst Opium.