Ein ehemaliger tschetschenischer Polizist deckt Verbrechen im »Antiterrorkampf« auf

Ein Täter als Zeuge

Der ehemalige tschetschenische Polizist Sulejman Gesmachmajew berichtet über Verbrechen im sogenannten Antiterrorkampf.

Wer sich mit Ramsan Kadyrow anlegt, lebt gefährlich. Es braucht nicht viel, um den Unwillen des machthungrigen tschetschenischen Präsidenten zu er­regen, der so ziemlich alles untersagt, was andernorts in Russland zu den minimalen bürgerlichen Freiheiten zählt. Was sich Sulejman Gesmachmajew geleistet hat, stellt indes einen Tabubruch dar, den vor ihm noch niemand gewagt hat. Der 31jährige ehemalige Angehörige des Kadyrow-Regiments, einer für Sondereinsätze und den, wie es heißt, Antiterrorkampf zuständigen Einheit des tschetschenischen Innenministeriums, lieferte ausführliche Details über außergerichtliche Hinrichtungen im Frühjahr 2017. Mitte März veröffentlichte die russische Zeitung Nowaja Gaseta Gesmachmajews Bericht einschließlich eigener Recherchen, die an der Glaubwürdigkeit des un­gewöhnlichen Zeugen keine Zweifel lassen.

Gesmachmajew war ausführendes Organ des Gewaltsystems, das er nun anklagt. Zu den Sondereinsatzkräften der Polizei kam er, obwohl die eigene Familie damit nicht einverstanden war. Nach seinem Dienstantritt 2012 hatte er genügend Zeit, sich ein Bild von den Abläufen und Methoden der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds in der Kaukasusrepublik zu machen. Frühzeitig fiel ihm auf, dass sein Regiment zwar offiziell einen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit leisten sollte, letztlich aber vor allem Grundlagen für das eigene Fortbestehen schuf.

Bei einem von Gesmachmajews ersten Einsätzen wurden sechs Jihadisten gefasst und sofort hingerichtet. Lebendig hätten sie, so der Zeuge, eine Gefahr dargestellt, weil sie unter Folter brisante Informationen hätten preisgeben können. Ihre Waffen seien später bei simulierten Angriffen zum Einsatz ge­kommen, die dazu dienten, eine Fortsetzung der »Terrorbekämpfung« bei entsprechender staatlicher Finanzierung zu rechtfertigen. Bei einer Son­deroperation in den Bergen kam angeblich ein junger Jihadist ums Leben, doch Gesmachmajew erkannte in ihm einen Mann, der Wochen zuvor als ­Gefangener in seine Kaserne gebracht worden war und dort in einer Zelle ausharren musste.

Ende 2016 griffen mehrere junge Tschetschenen einen Polizeiposten in Grosny an und wurden danach getötet. Im folgenden Januar erhielt das Kadyrow-Regiment den Auftrag, Dutzende Männer aufzugreifen und in die Kaserne zu bringen. Gesmachmajew war an den insgesamt 56 Festnahmen und einigen Erstbefragungen beteiligt, die später von Angehörigen des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB fortgeführt wurden. Einen der ohne Gerichtsbeschluss festgehaltenen Häftlinge erkannte er und wollte nicht glauben, dass dieser Anführer einer bewaffneten Gruppe sei. Während nächtlicher Wachschichten gemeinsam mit einem befreundeten Kollegen, ­Sulejman Saralijew, führte er lange Gespräche mit den von Folter gezeichneten Männern. Einen von ihnen brachten sie auf Befehl in den Keller eines anderen Blocks, wo bereits zwei Leichen auf dem Boden lagen und andere auf ihre Exekution durch den Strick warteten. Dort hielten sich auch mehrere der mutmaßlich für die Hinrichtungen Verantwortlichen auf.

Gesmachmajew zog sich unter dem Vorwand zurück, dass seine Schicht zu Ende sei, und floh später mit seiner Frau und den Kinder über Belarus nach Polen. Saralijew konnte ihm noch mitteilen, dass er gezwungen worden war, sich an einer Exekution zu beteiligen, und den Fall zur Anzeige bringen wollte. Mitte März 2017 wurde ­Saralijew ermordet. Vermutlich war sein Cousin daran beteiligt – unter Druck. Saralijew soll homosexuell gewesen sein, in ­solchen Fällen verlangen die tschetschenischen Behörden von der Familie, die Beschuldigten zu ­töten, in Übereinstimmung mit dem im Land bestehenden Verhaltens­kodex.

Gesmachmajews Angaben decken sich mit jenen, die die Nowaja Gaseta zu diesem Fall aus anderen Quellen er­halten hatte. Die polnischen Behörden lehnten seinen Asylantrag ab, die deutschen Behörden mit Verweis auf das Dublin-Abkommen ebenfalls. ­Kadyrows Polizeihandlanger nahmen einige männliche Verwandte Gesmachmajews fest und drohten ihnen mit ernsthaften Konsequenzen, sollten sie keine Angaben über dessen Aufenthaltsort machen. Die Nowaja Gaseta hält ihre Quellen streng geheim.

Der tschetschenische Machtapparat hat derweil eine Kampagne gegen Gesmachmajews Enthüllungen lanciert. Angehörige des Kadyrow-Regiments sendeten per Instagram eine Videobotschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit der Aufforderung, die »Beleidigungen« der Nowaja Gaseta zu unterbinden. Die russische Regierung mischt sich jedoch nur ­ungern in Kadyrows Angelegenheiten ein und fühlt sich nicht zuständig, die vorliegenden Fakten auch nur zu ­prüfen.