Die preisgekrönte Reportage: No Risk No Fun

»Da läuft riskmäßig was aus dem Ruder«

Kolumne Von Leo Fischer

Nathalie Weidenfeld und Julian Nida-Rümelin vermissen die Risiko­gesellschaft

Das Haus, das Nathalie Weidenfeld und Julian Nida-Rümelin gemeinsam bewohnen, befindet sich in idyllischer Lage auf der Insel Ischia im Golf von Neapel. Die Autorin und der ­Philosophieprofessor haben es sich jedoch nur auf den ersten Blick gemütlich gemacht, denn das Grundstück mit der kleinen Villa liegt unweit der vulkanisch hochaktiven Cam­pi Flegrei, deren Explosion die gesamte Region vollständig verwüsten könnte. Julian Nida-Rümelin begrüßt uns dennoch gut gelaunt: »Sorge dich nicht, lebe, ist unser Motto. Oder: Sorge dich nicht, sterbe. Je nach Einkommenslage!« Soeben haben der ehemalige Kulturstaatsminister und die freie Autorin, die auch privat miteinander verheiratet sind, ein Buch über die Risikogesellschaft verfasst: »Die Realität des Risikos: Über den vernünftigen Umgang mit Gefahren«.

»Wir machen uns Sorgen darüber, dass im Willen, das Risiko beherrschbar zu machen, unsere Freiheitsrechte eingeschränkt werden«, sagt Weidenfeld und setzt die Familien-Kobra Sappho zum Gassigehen vor die Tür. »Und wenn wir ›unsere‹ Rechte meinen, dann meinen wir ganz konkret die vom Julian und ­
von mir. Die Idee zu dem Buch kam uns, als uns das Theater München schrieb, dass wir unsere Ehrenplätze vorerst nicht mehr einnehmen können, weil es keine Aufführungen mehr gibt. Da merkten wir: Da läuft riskmäßig was aus dem Ruder!«

»Die Realität des Risikos« ist voller gelehrter Anspielungen, zum Beispiel auf den Film »Armageddon«. Nida-Rümelin erklärt: »Bruce Willis ist bereit, sein Leben zu opfern, damit seine Tochter ihr Leben ganz normal weiter führen kann. Daran sollten sich unsere Seniorinnen und Risikopatienten mal ein Beispiel nehmen!« Weidenfeld reicht uns derweil Gläser mit ungeklärtem Brunnenwasser. »Ist denn nur ein Leben in Sicherheit lebenswert?« fragt sie und bringt ein weiteres Beispiel: »In ›Jurassic Park‹ geht auch einiges schief, dafür kriegen die Leute wunderschöne Dinos zu sehen. Da muss ich auch sagen: Danke, Dr. Hammond, dass Sie kein Risiko gescheut haben!«

Natürlich verstehe er die momentanen Sorgen des medizinischen Personals, sagt Nida-Rümelin. »Aber wir sollten auch bedenken: Das Risiko, Pflegerin zu sein, hast du selbst gewählt. Ähnlich, wie viele Menschen in Deutschland Alkohol trinken, obwohl dies eine Gefahr für das Gesundheitssystem darstellt. Trotzdem ­würde ich niemandem verbieten, Pflegerin zu werden!« Als beide die Revolver für eine Partie »Russisch Roulette« auf den Tisch legen, beenden wir das Interview.