Überall in Ostdeutschland erreichen rassistische Gewalttaten neue Rekordzahlen

Rekorde von rechts

In den ostdeutschen Bundesländern hat die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im vergangenen Jahr erheblich zugenommen. Mit der Strafverfolgung hapert es bisweilen.

Manche Rekorde sind kein Grund zum Jubeln. So meldete Ende vergangener Woche die landesweite Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern (Lobbi), sie habe im Jahr 2016 so viele rechte Körperverletzungen registriert wie noch nie zuvor in ihrer 16jährigen Geschichte. Mehr als zwei Drittel dieser Angriffe waren demnach rassistisch motiviert. Insgesamt ereigneten sich 149 Angriffe. Im Jahr zuvor war mit 130 bekanntgewordenen Fällen bereits ein neuer Rekord erreicht worden.
Auffällig hoch waren die Zahlen in den Landkreisen Vorpommern-Greifswald mit 28 Angriffen und Mecklenburgische Seenplatte mit 22 sowie in den Städten Rostock mit 25 und Schwerin mit 18. In dem nördlichen Bundesland hat »nicht nur die Anzahl, sondern auch die Brutalität der Angriffe massiv zugenommen«, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter bei Lobbi. Die Angreifer »wollen ihre Opfer nicht nur einschüchtern, sondern erheblich verletzen«. Allein in den vergangenen zwölf Monaten kam es vier Mal zu rechts motivierten Brandstiftungen, bei denen »die Angreifer selbst den Tod von Menschen in Kauf nahmen«.
Auch Sven Peters von der mobilen Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (Ezra) kann im Gespräch mit der Jungle World keine Entwarnung geben: »Ein Trend lässt sich dahingehend erkennen, dass es in den meisten ostdeutschen Bundesländern einen erneuten Anstieg rechter Gewalttaten gegeben hat.« Dabei sei nicht nur die Quantität erschreckend, sondern auch die Brutalität der Taten des Jahres 2016. »In Thüringen haben wir eine regelrechte Verrohung bei den Gewalttaten registriert«, so Peters weiter.
Noch nie zuvor gab es so viele gefährliche Körperverletzungen in Thüringen. Auch die Angriffe auf Jugendliche haben sich im Vergleich zum Vorjahr von 14 auf 31 Fälle mehr als verdoppelt. Insgesamt registrierte Ezra 103 rassistisch motivierte Gewalttaten. Im Verhältnis zum Vorjahr stellt dies eine Steigerung um 90 Prozent dar. In Erfurt kam es zu 31 Attacken, in Saalfeld-Rudolstadt zu 23 und in Jena zu 16. Eine starke Zunahme von Angriffen verzeichnete Ezra im Saale-Orla-Kreis. Während 2015 dort lediglich ein Fall erfasst wurde, waren es 2016 elf Fälle, von denen zehn ein rassistisches Tatmotiv aufwiesen.
Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena sieht die Ursache für den Anstieg der Zahl der Gewalttaten in »politischer Polarisierung, extremen Provokationen und gezielten Diskursverschiebungen vor allem durch die AfD«. Diese provoziere »mit rassistischen und apokalyptischen Bildern und Andeutungen eine Stimmung, die von Gewalttätern als Handlungsaufforderung interpretiert werden kann«. 
Aus Sachsen meldet die Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) ebenfalls eine gestiegene Zahl rassistisch motivierter Angriffe, wobei die Gesamtzahl rechter Gewalttaten jedoch gesunken ist. 306 rassistisch motivierte Angriffe wurden gemeldet, im Vorjahr waren es 285. Dagegen registrierten die Beratungsstellen in Sachsen einen starken Rückgang der Zahl von rechten Angriffen auf politische Gegner. Von 141 gemeldeten Vorfällen im Jahr 2015 sank die Zahl auf 62. Wie im Jahr zuvor ereigneten sich die meisten rassistischen Attacken in den Städten Dresden mit 114 und Leipzig mit 50 sowie in den Landkreisen Leipzig mit 45 und Bautzen mit 51. Im Landkreis Bautzen hat sich die Zahl der Angriffe im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Insgesamt richtete sich die rechte Gewalt in Sachsen gegen mindestens 685 Personen.
In den vergangenen vier Jahren hätte sich die Zahl rechter Angriffe »fast verdreifacht und seit zwei Jahren bewegen sie sich auf dem höchsten Stand seit Bestehen der Opferberatungsstellen«, fasst Andrea Hübler, Fachreferentin der sächsischen Opferberatung, die Lage zusammen. Sie fürchtet, dass »rechte Gewalt auch in absehbarer Zeit nicht deutlich geringer wird, sondern dass eine bedrohliche Normalisierung eintritt«. 
Im Land Brandenburg zählte der Verein Opferperspektive im vergangenen Jahr 221 rechte Angriffe. Dies ist ein erneuter Anstieg im Vergleich zu den 203 Attacken 2015. Im Vergleich zum Jahr 2014 haben sich die Angriffszahlen mehr als verdoppelt(von 98). Zwar sei punktuell ein Rückgang der Zahl rechter Gewalttaten festzustellen, so zum Beispiel in Potsdam, Oberhavel und Dahme-Spreewald, aber die Lage bleibe landesweit besorgniserregend, so der Verein. Besonders bedrohlich ist die Situation in den Städten Frankfurt an der Oder und Cottbus. Dort wurde eine überproportionale Zunahme der Zahl rechter Gewalttaten registriert. In Cottbus zeugen 41 rechte Angriffe im Jahr 2016 davon, dass das militante rechte Milieu versucht, den öffentlichen Raum zu dominieren. 
Die Opferberatung Lobbi aus Mecklenburg-Vorpommern bemängelt in ihrer Jahresauswertung, dass nur etwa drei Viertel der von ihr registrierten Angriffe zur Anzeige gebracht worden seien. Und nur eine geringe Zahl von diesen sei von den Behörden als politisch rechts motiviert eingestuft worden. Betroffene berichteten immer wieder davon, dass sie sich nicht ernstgenommen fühlten und ihnen das Vertrauen in eine angemessene Strafverfolgung fehle, so Lobbi. Häufig würden Ermittlungen auch wegen »fehlenden öffentlichen Interesses« eingestellt, obwohl Tatverdächtige bekannt seien und das rassistische Motiv offensichtlich sei. Das sind schlechte Bedingungen für eine Besserung der Lage in diesem Jahr.