Alle Scheiße außer Mami

Der türkisch-deutsche Hip Hopper Kool Savas rappte bisher kontrovers, homophob und sexistisch wie kaum ein anderer. Auf seinem ersten Longplayer gibt er sich jedoch handzahm. von tim stüttgen

Aus deutscher Sicht kann man das letzte Jahr in Sachen Hip Hop in einem einzigen Satz zusammenfassen. Während die Wirtschaftsflaute der Plattenindustrie massenweise Nachwuchstalente und Möchtegern-MCs arbeitslos machte, regierte das Debutalbum des türkisch-deutschen Provokateurs Kool Savas souverän die Szenerie.

Wer aber ist der Typ, den einschlägige Gazetten schon den deutschen Eminem nennen? Seit seinem Erscheinen hat Savas Yurderi aka Kool Savas jedenfalls mächtig Staub aufgewirbelt. Mit der mittlerweile zensierten Debut-Maxi »LMS« (»Lutsch Meinen Schwanz«) wurde er zu Recht zum sexistischsten MC Deutschlands gekrönt, und die B-Seite der EP, der Track »Schwule Rapper«, wird bis heute in jeder PC-Diskussion um das ambivalente Spannungsfeld zwischen Hip Hop und Homophobie als mahnendes Beispiel genannt. »Kool Savas ist der Endboss, gegen mich ist Krieg ne Fete/ich mach stark auf bester Freund und ramme Schwanz in deine Käthe/ich pinkel 20 Liter Samen auf Kommando, nix da Zicken/Zeit zum ficken, lass mich ran, Hoe«, reicht an dieser Stelle wohl erstmal als Einblick in die frühen lyrischen Ergüsse des Provorappers. Für pubertierende Sprechgesangfans ist sowas Kult.

Gerade in Zeiten der Repolitisierungsdiskurse in der Rapszene und des Zusammenschlusses afrodeutscher Rapper zu den Brothers Keepers wundert der Hype um ein derartiges Großmaul dennoch ein wenig. Allerdings muss auch zugegeben werden, dass Savas wirklich extrem gut rappen kann. Außerdem scheint es nicht unerheblich zu sein, dass man als Jugendlicher mit der Savas-Lyrik bestens allzu moralische Eltern verprellen kann. Oder langweilige deutsche Kollegen aus der Musikbranche sowie eine harmoniesüchtige Hip-Hop-Szene voller vorwöhnter und untalentierter Mittelstandskinder, wie sie sich Kool Savas imaginiert. »Du meinst ich bin nicht mehr down und dope, aber deine Eltern haben ein Haus und Boot« rappte Savas gegen sie in seinem letztjährigen Song »Haus und Boot«.

Manch einer denkt, das Herabsetzen des Gegenübers im sportlichen Wortdisput, was im Rapjargon schlicht Battle genannt wird, bekäme als sportliche Disziplin gleich noch mehr Charme, wenn man direkt unter der Gürtellinie beginnt. Primitiv sagt der eine, Hardcore der andere. Savas Yurderi ist allerdings nicht das krasse Gossenkind, wie man es wegen seiner Battles vermuten könnte. Von Journalisten wird er als privat recht artikulierter, ruhiger Kerl beschrieben, der erst auf der Bühne ausrastet.

Seine Biografie ist nicht unspektakulär, kommt aber ohne Ghettomythen aus. Als sein Vater als politischer Gefangener in der Türkei ins Gefängnis musste – eine Zeit, die sein Sohn als die härteste seines Lebens beschreibt –, wuchs er von seiner Mutter recht behütet bei seiner Oma im spießigen Aachen auf. Erst bei Papas Rückkehr zog man nach Berlin-Kreuzberg, wo sich Savas auf etwas härteren Schulhöfen durchsetzen musste. Und da dort Sprüche die beste Verteidigung sind, kam es vielleicht ganz automatisch, dass er bald seine neuesten Phrasen für Rapstücke benutzte. Nach anfänglichem Sparring in englischer Sprache rieten ihm jedoch bei einem Besuch in den USA seine Vorbilder aus Übersee, den Rap mal auf Deutsch zu versuchen.

Seither ist alles ein bisschen anders in der Rapublik Deutschland. Battlen und Dissen ist populärer denn je und haufenweise minderjährige Nachahmer spielen Savas’ Beleidigungskünste auf niedrigstem Niveau nach. Ein Trauerspiel, das hoffentlich nur von kurzer Dauer sein wird. Als ich auf einem Konzert von Mr. Lif in Köln die Texte des deutschsprachigen Supports hörte, war ich froh, dass die amerikanischen Hip Hopper kein Deutsch verstehen. Doch neulich meinte im Plattenladen meines Vertrauens der Mann hinterm Tresen über Savas: »Der Typ ist einfach noch ziemlich jung und hat noch viel zu lernen.« Als ob er es gehört hätte, machte Savas auf seinem Debutalbum nun tatsächlich eine Wandlung durch.

Man kann »Der beste Tag meines Lebens« durchaus als die stärkste deutsche Hip-Hop-Platte des Jahres 2002 bezeichnen. Sie ist voller vielseitiger Rapstile, fast jedes Stück ist originell und überhaupt fließen die Raps wie Butter über die Produktionen von Savas’ Freundin und Hausproduzentin Melbeats. Dazu gesellen sich amerikanische Promi-MCs wie der Kumpel Eminems, Royce Da 5’9, und der Gangsta-Rapper Kurupt. Zwar hat Savas immer noch nicht besonders viel zu erzählen, aber wenigstens finden sich auf den zwölf Tracks insgesamt weniger Schwänze als vorher in einem einzigen seiner Stücke. Seit kurzem wird er zudem damit zitiert, er hätte »keinen Bock mehr auf Sex-Texte«.

Dass Kool Savas nie wirklich klar war, wie weit seine Sprüche gegen Minderheiten gehen, zeigt sich in einem Interview mit dem Pop-Magazin Intro. Auf die Frage, ob es nicht ein komisches Gefühl sei, wenn 15jährige auf seinen Konzerten Dinge wie »Schwule Sau« brüllten, machte Savas sich es doch ein bisschen zu einfach: »Ach, das ist doch höchstens ein ganz kleiner Prozentsatz, der da nicht unterscheiden kann zwischen Entertainment und Alltag. Ich würde nie wollen, dass sich jemand aufgrund meiner Lyrics respektlos gegenüber seiner Freundin verhält.«

Als sich die Interviewer selbst als homosexuell ausgaben, entgegnete er leicht unruhig: »Alter, ich weiß nicht, ob ihr schwul seid oder nicht. Aber ich hab’ damit kein Problem. Das als Schimpfwort zu verwenden, das ist doch nicht so was ganz Schlimmes. Ich könnte mir vorstellen, es gibt auch ein paar Schwule, die sagen: ›Du siehst schwul aus.‹ Vielleicht ist einfach damit tussig gemeint, also ›hab’ dich nicht so wie ein Mädchen‹, dann ist doch Mädchen eigentlich auch nichts Negatives. Ich könnte auch sagen: ›Sei mal nicht so deutsch.‹ Obwohl: Ich bin ja selbst Deutscher. Oder ich könnte sagen: ›Du machst ja grad voll den Türken hier.‹ Ist doch nur ein Wort, ist doch nicht so was Schlimmes, Alter. Viele haben mich daraufhin angequatscht, besonders wegen des Songs ›Schwule Rapper‹. Ich hab’ mir darüber halt nicht so krass Gedanken gemacht.« Bei Savas scheint eben schlichtweg die Formel zuzutreffen: dumm, unreflektiert, aber als MC extrem talentiert.

Womöglich um die Wogen zu glätten und den Unterschied von Wort und Tat aufzuzeigen, sah man Savas auch am Weltaidstag auf einer Benefiz-Gala im Kölner Palladium performen. Während die Masse diese Entwicklung begrüßt und sein Debut in Deutschland in die Top Ten der Albumcharts kam, flüstert man in den hinteren Reihen schon von Sellout. Doch der selbst ernannte »King Of Rap« bereitete dem gehässigen Raunen mit den gewohnten Mitteln ein schnelles Ende. Vor laufenden Viva-Kameras spielte er seinen indizierten Klassiker »Schwule Rapper«, also genau das Stück, das der deutsche Teenie-Sender gerade nicht bringen wollte. So erübrigt sich die Frage, über welchen Auftritt am nächsten Tag auf deutschen Schulhöfen am meisten geredet wurde.

Wenn Savas nämlich eines ist, dann ist er clever. Für die Unterschrift bei Subword, dem Unterlabel des Majors BMG, verlangte er gleich weitere Verträge für Künstler seiner Crew namens Optik, die ihm natürlich gewährt wurden. Und solange Savas weiß, wie viel Provokation die Masse vertragen kann, wird sie ihm wohl auch treu bleiben. Selbst wenn er irgendwann über Blümchen rappen sollte.

Einen Vorgeschmack auf einen derart durchdachten Kuschelkurs gibt es bereits auf dem Titelstück seiner neuen Platte. Dort übt sich Savas, wohlgemerkt nach acht mehr oder weniger puren Battle-Stücken, auf einmal in lebensbejahender Pädagogik: »Du könntest ohne Probleme aufhören, Tiere zu essen. Du könntest ohne Problem ein paar Leben mehr retten. Du könntest mehr Zeit mit deinen Eltern verbringen und einfach helfen, deine Familie noch mehr zu binden.«

Angesichts derartiger Betroffenheitslyrik sollte jeder selbst entscheiden, welcher Savas ihm am liebsten ist.

Kool Savas: »Der beste Tag meines Lebens« (BMG)