Mahlers Nolte mortale

Horst Mahler ehrt Günter Rohrmoser als "Mentor der Linken" und betet für Deutschland.

Am 1. Dezember traf sich im Stuttgarter Waldhotel ein illustrer Kreis anläßlich des 70. Geburtstages Günter Rohrmosers, darunter Marinerichter a. D. Hans Filbinger, der als Ministerpräsident Baden-Württembergs Rohrmoser 1976 einen Lehrstuhl für Sozialphilosophie verschaffte. Dort hält Rohrmoser Lehrveranstaltungen, die von seinen Anhängern, organisiert in einem Fanclub namens Gesellschaft für Kulturwissenschaft im badischen Bietigheim, allen Ernstes mit "Gottesdiensten" verglichen werden. General a. D. Günther Kiessling faßte, wie der schmissige Albrecht Jebens im Ostpreußenblatt berichtete, "in erfrischender soldatischer Kürze das Postulat Rohrmosers zusammen in der Forderung nach geistiger Führungmacht, um das Recht und die Freiheit unseres deutschen Volkes nach innen und außen tapfer zu verteidigen".

Länger faßte sich Dr. Horst Mahler. Man gewinnt den Eindruck, Mahler habe sich Ernst Nolte als Koreferenten gewünscht, dessen Rolle als Konfusius der deutschen Historiographie aber selbst übernehmen müssen. Mahlers Auftakt, er "ehre Günter Rohrmoser als Mentor der Linken in unserem Lande", könnte noch als durchtriebener dialektischer Gag durchgehen, der bei konsequenter Durchführung den versammelten rechten Prominenten den Schaum vor den Mund getrieben hätte. Am Ende der auf Mahlers Homepage nachlesbaren philosophischen Gipfel-, genauer Leichenbergbesteigung betet Mahler für Deutschland. Kein Grund für die schmissigen Kameraden, mit Mahler die Klingen zu kreuzen: Jebens Vorstellung Mahlers als "ehemaliger Anwalt der RAF" konnte nüchtern ausfallen.

Dem Hegel-Epigonen Rohrmoser zu Ehren verabreicht Mahler eine volle Dröhnung idealistischer Geschichtsphilosophie. "In der Überzeugung, daß es in der Geschichte vernünftig zugehe, haben wir in den Stationen des Grauens die Vernunft aufzuzeigen, aber nicht in dem Sinne, daß die genannten Ereignisse", nämlich Auschwitz und Gulag, "Heimsuchungen sind als Strafe für Sündhaftigkeit, sondern als Ausdruck eines zerrissenen Denkens, das jetzt aus dieser Zerrissenheit zu sich findet, indem es den Atheismus und Nihilismus als Verlust seiner selbst erkennt." Hier wird aus der Geschichte "ausgelaugter Sinn gepreßt" (Adorno).

In expliziter Entgegensetzung zu Adornos "negativer Dialektik" betreibt Mahler mit Rohrmoser affirmative Aufheberei. Womit er eine jener "Überwindungen des Nihilismus" liefert, über die Adorno schrieb, sie seien "schlimmer als das Überwundene". Im Holocaust walte Vernunft, und so integriert Mahler ihn als "Wendemarke" in der "Phänomenologie des Geistes". "Es ist eine betrübliche Tatsache, daß kleinere Leichenberge, die es in der Geschichte ja schon oft gegeben hat (...), augenscheinlich nicht hoch genug waren, um den Standpunkt des Geistes so zu erhöhen, daß von ihm aus die Kernfrage in seinen Blick kommt. Die Kernfrage ist die Freiheit des Geistes." Deutschland sei Dank, erreichten die Leichenberge neue Höhen. Und so geht Mahler hin und predigt vom Leichenberge, es sei für ihn "denkbar geworden, daß wir (mit Rohrmoser) in der Affirmation des Hegelschen Systems der Philosophie des absoluten Geistes die Sprache finden, die überall verstanden wird, daß sich das Pfingstwunder ereignet".

Gegen den ML, der Dialektik zum Dreitaktmotor der Geschichte des Fortschritts verkommen ließ, wetterte Sartre einst: "Diese Dialektik stinkt." Im Falle Rohrmosers und des idealistisch gewendeten MLers Mahler müssen wir ergänzen: zum Himmel. In Erwartung des Pfingstwunders weiß Mahler über die Vernichtung der europäischen Juden einiges zu erzählen: "Der Völkermord hat uns als Menschen zerstört. Zuallererst uns Deutsche, auch als Volk. Aber nicht nur uns." Auch weiß er den Holocaust als "spirituelles Phänomen" zu erklären: "Der Holocaust war, als er sich im Bewußtsein der Deutschen vorbereitete, noch nicht als das Böse erkannt." Mit der miesen Formulierung - der Holocaust bereitete sich vor - bereitet Mahler einen miesen Gedanken vor: "Es gab ein tiefes Einverständnis, dessen Wurzel (...) der Kampf des jüdischen Monotheismus mit der christlichen Dreifaltigkeitslehre ist, die vom Judaismus als Götzendienst gesehen und abgelehnt wurde/wird." Man lese den Satz ruhig ein zweites Mal. In Mahlers Holocaust-Deutung ist die "Wurzel" der Judenvernichtung der "Kampf des jüdischen Monotheismus", also eine jüdische (spirituelle) Aggression. Diesen Nolte mortale vorwärts ergänzt Mahler später durch die Rückwärtsvariante, indem er den Nazismus als "alttestamentarischen (also jüdischen; A.S.) völkischen Egoismus" charakterisiert.

Doch mit Rohrmosers Interpretation der Hegelschen (Religions-)Philosophie hat Mahler die Versöhnung von Judentum und Christentum in der Tasche: "Den beteiligten Religionen ist es erst mit der Hegelschen Philosophie möglich, die Dreifaltigkeit: Gottvater, Gottsohn, Heiliger Geist aus der endlichen Vorstellung auf den Begriff der Unendlichkeit zu bringen, d.h. als Begriff zu erkennen, damit dem absoluten Geist eine sich selbst wissende neue Gestalt zu geben. In dieser Gestalt ist der mosaische Gott ebenso aufgehoben - also bewahrt - wie die christliche Vorstellung der Dreifaltigkeit. Damit ist der theologische Gegensatz (...) zwischen Judentum und Christentum überwunden." Wieder einmal sollen die Juden aufhören, Juden zu sein - die Aufhebung als die Abschaffung.

Kann man von jemand, der sich in die Tradition der Hegelschen Religionsphilosophie stellt, anderes erwarten? Das Kapitel "Der Geist des Judentums" in Hegels Frankfurter Frühschrift "Der Geist des Christentums und sein Schicksal" (1798 - 1800) steckt voller Invektiven gegen die Juden. So heißt es: "Für die Juden wird Großes getan, aber sie beginnen nicht mit Heldentaten", "sie haben nur die Schadenfreude der Feigen", sie sehen aus "wie die berüchtigten Diebe während der Pest zu Marseille", ihnen wird eine "animalische Existenz" als Wesen zugeschrieben. Zusammenfassend schreibt Hegel: "Alle folgenden Zustände des jüdischen Volkes, bis auf den schäbigen, niederträchtigen, lausigen Zustand, in dem es sich noch heutigentags befindet, sind weiter nichts als Folgen und Entwicklungen ihres ursprünglichen Schicksals, von dem - einer unendlichen Macht, die sie sich unüberwindlich gegenübersetzen - sie mißhandelt wurden und so lange werden mißhandelt werden, bis sie es durch den Geist der Schönheit aussöhnen und so durch die Versöhnung aufheben." Und zum Schluß heißt es: "Das 'Schicksal des jüdischen Volkes' ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienst alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden, von seinen Göttern (denn es waren Objekte, er war Knecht) endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte."

Daher schrieb Emmanuel Lévinas in seinem Buch "Difficile liberté", man frage sich bei der Lektüre der 1907 erstmals publizierten Frühschrift Hegels, "ob die Hitlersche Propaganda nicht mit vollen Händen aus diesem Fundus geschöpft habe". (Lévinas notierte übrigens eine weitere Frage, die sich ihm bei der Lektüre aufgedrängt habe, "ob Marx' 'Zur Judenfrage' nur das Unwisssen über die reale Lage der jüdischen Masse im 19. Jahrhundert widerspiegle" oder ob diese umstrittene Frühschrift nicht "auf die per Osmose vollzogene Kenntnis der Frankfurter Philosophie Hegels" zurückzuführen sei.)

Mahler reflektiert weder Hegels ungeheuerliche Interpretation des Judentums noch die Tatsache, daß Rohrmosers christliche Geistesheroen - Luther und Dostojewski - stramme Antisemiten waren, worüber ja auch Rohrmoser kein Wort verliert. Rohrmoser hat Mahler "in seinen Bann" gezogen. Was kritischer Lektüre abträglich ist. Zudem ist die geschichtspolitische Botschaft des Verehrten mit intellektuellen Altlasten Mahlers kombinierbar.

Mahler übernimmt ein Feindbild der RAF, den "US-Imperialismus", zieht den "Imperialismus" ab und kombiniert den übriggebliebenen Antiamerikanismus mit Rhetorik der "Neuen" Rechten und ihrer idealistischen Aneignung des Hegemonie-Begriff Gramscis. Deutschland sei "noch ein besetztes Land. Es ist das wichtigste Territorium, das Reich des Geistes, das fremder Herrschaft unterworfen ist. (...) Die Niederlage, die eine Befreiung war, war auch der Sieg der Feinde Deutschlands über unser Volk. Sie sind heute unsere Freunde. Aber die Geschäftsgrundlage dieser Freundschaft war - und ist wahrscheinlich immer noch - die bedingungslose Unterstützung des von den USA getragenen atlantischen Hegemonieanspruchs bei gleichzeitiger Preisgabe unseres Rechts, als eine eine selbstbewußte Nation dazusein und respektiert zu werden."

Wer "uns" da "auf ewig in Schuldknechtschaft halten" will, wer mit "Besatzungspolitik", "zerstörerischem Besatzungsregime" und "Lizensierungspolitik" sogar bei einigen Deutschen nach 1945 und bis auf den heutigen Tag "willige Vollstrecker" fand, liegt auf der Hand. In der Tradition der RAF, die dem Anschlag des Schwarzen September auf die israelische Olympiamannschaft "Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge" attestierte (vgl. Jungle World, Nr. 48/97), knüpft Mahler einen Zusammenhang, und zwar bei weitem rabiater, als dies sein Vorbild Rohrmoser im Juli 1996 auf der Titelseite der Zeitschrift Der Schlesier, dem "Mitteilungsblatt des Fördervereines Deutsche Einheit für die Ostprovinzen und das Sudetenland", vorgegeben hat. Der Nachfolger von Ahasver und Shylock heißt Daniel Jonah Goldhagen. Mit seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" seien die "Prohibitoren, die Verhinderer der deutschen Wiedergeburt, zu einer - wahrscheinlich letzten - Offensive angetreten."

"Nur in gebückter Haltung", meint Mahler mit Blick auf das internationale Ansehen Deutschland, "sind wir wohlgelitten." Mit diesem Rückenschmerzen suggerierenden und nach Heilung schreienden Sprachbild ist Mahler der rechten Rhetorik erlegen. Daß "die Deutschen" unter "der Last der Vergangenheit" gebeugt gehen, war eine Vorstellung, die schon in der ersten deutschen Version der französischen Comics von Asterix und Obelix in der Comic-Zeitschrift Lupo modern von Rolf Kauka Mitte der sechziger Jahre ins Bild gebracht wurde; aus dem Hinkelstein, den Obelix stets mit sich führte, wurde da ein "Schuldkomplex". Auch die Haider-nahe Zeitschrift Aula brachte diese Suggestion der Unterwerfung auf ihrTitelbild. Eine Darstellung einer darwinistischen Evolutionsreihe (vom gebeugt gehenden Affen zum aufrechtgehenden, eine Keule in der Hand führenden Frühmenschen) wurde um die Zeichnung eines gebeugt bzw. niedergedrückten modernen Menschen ergänzt. Eine mit dem Schriftzug "1945" versehene überdimensionale Hand hält den Daumen drauf: Am Ende der Evolution stehe der unterworfene, weil "umerzogene" Bundesrepublikaner (bzw. Österreicher).

Auch Mahlers Auflösung (sollen wir "Aufhebung sagen?) der Malaise war in der Aula vorgegeben: In Anspielung an die traditionsreiche Metapher vom "aufrechten Gang" hieß die Schlagzeile: "Mut zum aufrechten Gang." Mahler macht darauf seinen Schlußappell. Lediglich ergänzt um ein Gran Gauweiler. Der bajuwarische Demagoge rief im Bayernkurier Gottes Hilfe gegen Goldhagen herbei. In diesem Sinne bringt Mahler seine Propaganda von der "selbstbewußten Nation" als Emanzipationsprozeß unter's Volk: "Wir Deutsche - und mit uns die ganze Welt - sollten beten, daß wir uns wieder als Nation erfassen und den aufrechten Gang erlernen." So erhält ein linker Traditionsschlager in Mahlers German Remix einen neuen Refrain: ... und aufrecht gehn trotz Goldhagen.