Rien ne va plus

Nach einer "Legalisierungsoperation" für Sans-papiers wird in Frankreich wieder abgeschoben. Die abgelehnten Antragsteller tauchen unter

Im Rahmen eines landesweiten Aktionstages zum Auftakt der Fußball-Weltmeisterschaft besetzte ein "Kollektiv gegen Abschiebung" mit 150 Leuten am vergangenen Freitag ein Büro der ehemaligen Luftraumüberwachungs- und Grenzpolizei Diccilec im Pariser Gare du Nord. Dort befindet sich eine sogenannte "Zone d'attente" - eine Internierungszone für kurz vor der Abschiebung stehende Flüchtlinge, in der sie bis zu 20 Tagen festgehalten werden können. 64 der Besetzer wurden von den Sicherheitskräften festgenommen, mehrere von ihnen verletzt.

Bereits Anfang April hatte das Kollektiv versucht, am Pariser Flughafen Roissy Passagiere aufzufordern, mit ihrem Flug geplante Abschiebungen zu verhindern. Pro Tag werden von Roissy etwa 15 Sans-papiers - Immigranten ohne gültigen Aufenthaltsstatus - abgeschoben. Frankreichs Innenminister Jean-Pierre Chevènement schimpfte damals, die Proteste würden dem rechtsradikalen Front National "den Boden bereiten" - ein Argument, das die Linksregierung auch schon gegen Streiks anführte.

Mit dem Ende der sogenannten "Regulierungsphase" am 31. Mai dieses Jahres hat sich die Situation jedoch entscheidend verändert. Am 24. Juni 1997 begonnen, gab die Linksregierung mit der Aktion den Sans-papiers die Möglichkeit, eine "Legalisierung" zu beantragen. Mehr als ein Sechstel der insgesamt 179 264 eingereichten Legalisierungsgesuche wurden jedoch schon zu Beginn abgelehnt, da die formalen Anforderungen nicht erfüllt waren. Zu diesen "offiziellen Illegalen", wie ein Regierungsbericht die weder "legalisier"- noch abschiebbaren Immigranten nennt, kommen noch etwa 70 000 hinzu, die von den Behörden abgelehnt wurden. Nach dem Schritt aus der "Illegalität" heraus, werden die meisten der abgelehnten Antragsteller jetzt erneut abtauchen, da ihnen sonst eine Abschiebung droht.

150 000 weitere Sans-papiers, so wird geschätzt, haben daher kein Gesuch auf die Erteilung von Aufenthaltspapieren eingereicht. Denn bei der Abschiebung abgelehnter Antragsteller haben es die Ordnungshüter besonders einfach: Keine langen Behördenwege oder Konsulatsbesuche, um Identität und Nationalität des Abzuschiebenden feststellen zu können - all das mußten die Immigranten im Zusammenhang mit ihrem "Regularisierungantrag" selbst besorgen und den Präfekturen vorlegen.

In dem am 12. Mai in Kraft getretenen Chevènement-Gesetz, der 26. Modifikation der "Verordnung zum Eintritt und Aufenthalt von Ausländern in Frankreich", wurde diese Abschiebepraxis festgeschrieben. Besonders prekär ist die Situation für Ledige, da die Regierung befürchtet, diese könnten mit der französischen Staatsbürgerschaft weiteren Immigranten ein Aufenthaltsrecht verschaffen.

Entsprechend wurden bei der "Regulierungsoperation" je nach Departement zwischen 80 und 90 Prozent der insgeamt etwa 52 000 Anträge von Sans-papiers mit familiären Bindungen in Frankreich positiv beschieden. Die Bewilligung von Aufenthaltspapieren bei Ledigen betrug dagegen im Durchschnitt nur etwa 18 Prozent. Das neue Gesetz sieht für Familien allerdings "Kontrollmechanismen" vor: Menschen mit "persönlichen und familiären Verbindungen" in Frankreich haben zwar grundsätzlich das Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung, aber es können in Zukunft Nachweise für die Existenz und die "Intensität" des Familienlebens gefordert werden.

Für einige Gruppen - beispielsweise das Pariser Komitee gegen Abschiebung und dessen Pendants in Lyon, Marseille und Nantes - stellt die "Regulierungsoperation" mit ihren Ablehnungen und drohenden Abschiebungen einen "Vertrauensbruch" der Linksregierung dar. Die meisten Organisationen, die aber noch 1996 die Kirchenbesetzungen durch Sans-papiers unterstützten, scheinen ihr Engagement mit dem Regierungswechsel von den Konservativen zu einer Linkskoalition im Sommer 1997 beendet zu haben.

So reagiert Innenminister Chevènement viel gelassener auf Kirchenbesetzungen als sein konservativer Vorgänger Jean-Louis Debré. Dieser zeigte sich 1996 über die Besetzungen der Pariser Kirchen Saint-Ambroise und Saint-Bernard äußerst verärgert. Um großes Aufsehen zu verhindern, wurden die Flüchtlingskollektive, die derzeit vier Kirchen im Großraum Paris und eine in Le Havre besetzt halten, von den jeweiligen Gemeinden gebeten, nicht in den Hungerstreik zu treten.