Trittin legt schon mal vor

Stromkonzern-Chef Simson akzeptiert Aufnahme von Kernkraft-Gegnern in Atom-Kommission

Rechtzeitig vor dem ersten Treffen des Koalitionsausschusses zur Atomgesetznovelle sorgte Jürgen Trittin noch einmal für Aufregung. Denn bei den Sozialdemokraten wird die Forderung des Umweltministers, Strom aus Kernkraftwerken künftig zu verteuern und Extra-Steuern auf atomare Brennstäbe zu erheben, wohl auf Widerstand stoßen.

Auch die AKW-Betreiberfirmen werden sich über den Vorstoß, der via Ökosteuergesetz rund 1,5 Milliarden Mark in die Bonner Kassen bringen soll, nicht freuen. Schließlich hatte er die Stromkonzerne schon mit seiner Auflösung der Kommissionen für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz Mitte Dezember vor den Kopf gestoßen. Zur Erinnerung: "Wenn ich einlade, dann lade ich ein", hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder in der dritten Adventswoche erklärt und seine Vorgespräch mit der Strombranche zum Atom-Ausstieg ohne seinen grünen Minister geführt. Kurz darauf konterte Trittin mit der Auflösung der Kommissionen und kündigte eine Umstrukturierung der Gremien an.

Schröder, Stromversorger und Opposition tobten, zumal der Grüne sein Vorgehen nicht mit dem Kanzleramt abgestimmt hatte. Trittin kommentierte mit verblüffender Ähnlichkeit zur Rhetorik des Kanzlers: "Was in meiner Kompetenz liegt, liegt in meiner Kompetenz."

Die beiden in den siebziger Jahren gegründeten Kommissionen sind ihrer Satzung nach unabhängige Beratergremien des Umweltministers, deren Empfehlungen fast bindenden Charakter und großen Einfluß auf Gerichts- und Genehmigungsverfahren für Atomanlagen haben. Dort saßen bislang ausschließlich Kernkraft-Verteidiger. Die Folgen ergeben sich von selbst. So wurden internationale Grenzwertempfehlungen zum Schutz vor Radioaktivität nur schleppend, oft auch gar nicht umgesetzt. Der Verdacht liegt nahe, daß die Gremien vor allem dazu dienten, AKW-Kritikern entgegenzutreten. Diesen Ruf wollte nach Trittins Vorstoß offenbar selbst die Atomlobby nicht mehr auf sich sitzen lassen. Vergangene Woche wurde bekannt, daß Viag-Chef Wilhelm Simson im "Kommissionstreit" Kompromißbereitschaft gezeigt hat: Künftig, so hat Simson vorgeschlagen, sollen die beiden Gremien zu je einem Drittel mit Atomgegnern, Befürwortern und "unabhängigen Experten" beschickt werden.

Ein kleiner Erfolg für Trittin. Der Vorstoß des Umweltministers war ebenso wie die geplante Neubesetzung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mit der Forderung der Anti-Atom-Bewegung nach Transparenz und Pluralität in den Strukturen der Atomindustrie begründet. Allein Trittins politische Vergangenheit zwingt ihn zu solchen Schritten, auch wenn sie derzeit wohl eher den Affronts des Kanzlers geschuldet sind. Schließlich war Trittin nicht nur von den Sondierungsgesprächen mit der Stromlobby ausgeschlossen worden. Kurz zuvor hatte Schröder schon Trittins erarbeiteten Entwurf für die Atomgesetznovelle gestoppt.

Der Grüne hat dennoch Grund zur Vorsicht, zumal bereits gleich nach dem Regierungswechsel im Gespräch war, daß die Atomaufsicht nicht in seinen Kompetenzbereich fallen soll. Folgerichtig mußte er sich jetzt nicht nur für den am 13. Januar erstmals tagenden Ausschußes mit dem Koalitionspartner in Stellung bringen. Denn keine zwei Wochen später, am 26. Januar, sollen bereits erste Konsensgespräche mit der Atomindustrie stattfinden.

Vor diesem Treffen ist nun Viag-Chef Simson mit seinem Umstrukturierungsvorschlag sogar dem Wirtschaftsminister Werner Müller zuvorgekommen, der die Diskussion um die Neubesetzung der Kommission auf die Konsensgespräche vertagen wollte. Nebenbei hatte Müller den "Zukunftspfennig" als finanziellen Ausgleich für abgeschaltete AKW ins Spiel gebracht.

Dieser Vorschlag an den als verfassungswidrig befundenen "Kohlepfennig". Der "Zukunftspfennig" ist nichts anderes als die Subvention eines Energie-Umstiegs durch neue Abgaben zu-gunsten der Betreiber. Der Umstieg könnte zwar auch aus den Milliardenrückstellungen der Konzerne für Wiederaufarbeitung und Versicherung ge-zahlt werden, doch davon war bei Wirtschaftsminister Müller nicht die Rede.

Kurz vor der Weihnachtspause gab der Chef der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), Manfred Timm, zu verstehen, daß es einen Ausstieg innerhalb von 20 Jahren, wie ihn die Sozialdemokraten favorisieren, mit seinem Unternehmen ohnehin nicht geben werde. Timm forderte Restlaufzeiten von 40 Jahren für die bestehenden AKW. Auch beim Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie, Hubertus Schmoldt, fielen die Ausstiegspläne in Ungnade. Dieser ging sogar noch weiter: Der Gewerkschafter forderte, in den Konsensgesprächen müsse auch über eine Option für den Neubau von AKW verhandelt werden.