Ein zündendes Thema

Mit der Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hat die Union endlich ein "kampagnenfähiges Thema" - weit über die eigene Klientel hinaus.

Deutschland wird zum "Magneten für Wanderungsbewegungen", eine "Zuwanderungswelle mit unabsehbaren Ausmaßen" türmt sich auf, gefolgt von einer "Einbürgerungswelle ohne Beispiel"; die "Einfallstore für ethnische und politische Konflikte" öffnen sich, die "Grenze der Belastbarkeit durch Zuwanderung" wird "gesprengt", "extremistische islamische Gruppierungen türkischen und arabischen Ursprungs nutzen Deutschland als Basis, um in ihren Heimatländern Diktaturen zu errichten", "türkische oder islamische Parteien könnten im Deutschen Bundestag Sitz und Stimme erringen". "Eine zentrale Grundlage des deutschen Nationalstaats wird damit der Beliebigkeit ausgesetzt", deutsches "Kultur- und Geschichtsbewußtsein bewußt in Frage gestellt", der "innere Frieden" gerät in Gefahr, "es droht die "Spaltung unserer Gesellschaft"; jetzt gilt es, "die Bevölkerung" zu "mobilisieren", "den Widerstand an vorderster Front" zu organisieren.

Seitdem die Jungle World auf den Presseverteiler der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten geraten ist, erreichen uns fast täglich solche Pamphlete zweifelhafter Sprachmächtigkeit und unzweifelhaften Inhalts. In der vergangenen Woche änderte sich nur der Absender. Alle Zitate im ersten Absatz stammen aus einem "Thesenpapier Kreuth XXIII", mit dem der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Zeitlmann bei der Klausurtagung seiner Partei in Wildbad Kreuth für die Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft geworben hat. Zeitlmanns 46 Kollegen nahmen das Papier einstimmig an.

Freilich nicht, ohne daß prominentere Parteifreunde bereits kräftig vorgelegt gehabt hätten. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei gefährlicher als die RAF zu ihren Hochzeiten, hatte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber wenige Tage zuvor das fröhliche Schießen auf die ausländischen Mitbürger eröffnet. Sein Innenminister Günther Beckstein bezeichnete die Reform als "Anschlag auf die Innere Sicherheit" und Erwin Huber, der Chef der bayerischen Staatskanzlei, als "Zwangsgermanisierung". Nachdem Stoiber die Zahl von "9 000 gewaltbereiten Kurden" genannt hatte, welche die rot-grüne Bundesregierung einbürgern wolle, hob unter CSU-Politikern eine kleine Propagandaschlacht um die höchste Zahl von bedrohlichen Ausländern an. Dabei wurde Huber, der sich von "50 000 Sympathisanten der verbotenen kurdischen PKK" bedroht sieht, nur noch übertroffen von dem CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Ramsauer: Durch die doppelte Staatsbürgerschaft würden "massenhaft Millionen, Zigmillionen" in Deutschland lebender Ausländer zu "Neodeutschen" gemacht, speichelte der CSU-Mann aus Ostbayern, dessen Paranoia nun offenbar psychopathische Ausmaße erreicht hat, in ein ihm hingehaltenes Mikrofon.

Etwas subtiler verteidigt Wolfgang Schäuble den Volkskörper: "Der Wille zur Integration", erklärte der CDU-Chef, "muß Grundvoraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bleiben. Die unbegrenzte, allgemeine Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft, die jedem Ausländer, der für ein paar Jahre in Deutschland lebt, einen Anspruch auf einen deutschen Paß einräumt, ohne daß er seinen alten abgeben muß, enthebt ihn dieser positiven Entscheidung. Deshalb fördert die doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall nicht die Integration, sondern behindert sie." Folgt man dieser Argumentation, so ist es nur konsequent, wenn Schäuble die Verweigerung der Doppelstaatsbürgerschaft durchgängig als "Integrationsangebot" bezeichnet. Insgesamt 38 mal verwendet er zum Abschluß der CDU-Klausur in Königswinter bei Bonn das Wort "Integration", zählte der WDR.

Doch Schäubles Wortwahl kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Sache zwischen ihm und Stoibers Truppe keinerlei Widerspruch gibt. Ob der CDU-Rechtspolitiker Horst Eylmann mit seiner Einschätzung, "etwas Dümmeres" als die Unterschriften-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft "konnte der Union nicht einfallen", recht hat, muß sich erst noch herausstellen. Eylmanns Vermutung, Schäuble habe sich von Stoiber "über den Tisch ziehen lassen", ist aber wohl dem Wunsch geschuldet, lieber einen schwachen als einen stramm rechten Parteivorsitzenden zu haben. Der Wunsch ehrt Eylmann, um so mehr, als die Mehrheit seiner Parteifreunde ihn nicht teilen dürfte.

Doch der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Altmaier, der zu den sogenannten Jungen Wilden gezählt wird, wußte mehr. Er plauderte Ende vergangener Woche aus, was die FAZ tags darauf bestätigte: Die Unterschriftensammlung haben Stoiber und Schäuble in einer "persönlichen Absprache" gemeinsam aus der Taufe gehoben. Wie sein bayerisches Pendant fordert Schäuble öffentlich eine "Politik der Zuzugsbegrenzung". Nur so meint er, die selbstgestellte Anforderung erfüllen zu können, die eigenen Leute zu mobilisieren und zu demonstrieren, daß die Union "mitten im Leben" stehe.

Dieser Wunsch verbindet Schäuble mit Michael Glos, dem Chef der Bonner CSU-Landesgruppe: "Wir müssen kampagnenfähige Themen aufgreifen", fordert er: "Die Unterschriftenaktion ist ein solches Thema." Ein "zündendes Thema" sei das, begeisterte sich Glos an anderer Stelle. Beifall von Leuten, die Ausländerprobleme schon längst auf zündende Weise zu lösen pflegen, stört ihn erklärtermaßen nicht. "Wenn es auch andere Leute gibt auf der rechten Seite, die hier der gleichen Meinung sind wie wir, brauchen wir unsere Meinung noch lange nicht auszuwechseln." NPD, DVU und "Republikaner" hatten zuvor einhellig die geplante Unterschriftensammlung begrüßt und ihren Mitgliedern empfohlen, sich daran zu beteiligen. Auch Zeitlmann und Huber haben bereits angekündigt, die Unterschriftenaktion nicht davon abhängig zu machen, ob Neonazis sich dabei ebenfalls engagieren.

Bei der Union außerhalb Bayerns riefen diese Ankündigungen nur ein schwaches Echo hervor. Volker Rühe, der frischgekürte Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen in Schleswig-Holstein, freut sich, daß der CDU-Vorstand es auf seinen Vorschlag hin geschafft hat, die Unterschriftenaktion als Teil "vielfältiger Aktionen zur besseren Integration von Ausländern" zu beschließen, und fordert, es müsse "auch gemeinsame Veranstaltungen mit den Ausländern geben, damit Mißverständnisse vermieden werden". Vielleicht könnte man die Ausländer ja zum Sammeln von Unterschriften einsetzen.

Der ostdeutsche CDU-Politiker Rainer Eppelmann gestand immerhin ein "sehr unbehagliches Gefühl"; Rita Süssmuth, die Vorsitzende der Frauen-Union, fand, die Unterschriftenaktion sei "kein angemessener Weg". Deutliche Worte für seine Parteifreunde fand lediglich Hermann Josef Arentz, Mitglied des CDU-Bundesvorstands, der gegenüber der Bild-Zeitung die Meinung vertrat, die Kampagne "bombt die Union aus der Mitte der Gesellschaft an den rechten Rand". Trotzdem oder gerade deswegen will die Union, wie Stoiber ankündigte, die doppelte Staatsbürgerschaft zum zentralen Thema des Europawahlkampfs vor dem 13. Juni machen.

Doch vor die Europawahl hat der liebe Gott die Landtagswahl in Hessen am 7. Februar gesetzt. Und die möchte der als praktisch chancenlos geltende CDU-Kandidat Roland Koch gewinnen. Die Hoffnungen der Bundespartei richten sich auf ihn vor allem deswegen, weil die CDU durch einen Wahlerfolg in Hessen eine Sperrminorität im Bundesrat erreichen könnte. Weil die Zeit drängt, will Koch, der noch vor kurzem ebenfalls als "Junger Wilder" bezeichnet wurde, nicht mehr bis zum verabredeten Termin am 24. Januar mit dem Unterschriftensammeln warten: "Sobald der Text für die Unterschriftenaktion formuliert ist", so Koch, "sollten wir beginnen." Die Frage der doppelten Staatsbügerschaft sei ein "zentraler Punkt der nationalen Auseinandersetzung", die "mit aller Schärfe geführt" werden müsse. Am Freitag letzter Woche sprach sich das Präsidium der hessischen CDU einstimmig für die Aktion aus. "Wir gehen davon aus", behauptet Koch, "daß die Unterzeichner damit bekunden, daß sie für ein faires Integrationsangebot sind, aber die doppelte Staatsangehörigkeit für ein falsches Instrument halten." Da kann er ja stolz sein, daß er die Wahlhelfer von der NPD für ein so edles Ziel gewonnen hat.