Auch wir rufen die Jugend der Welt

In Leipzig formiert sich langsam Widerstand gegen die Schnapsidee, die Olympischen Spiele des Jahres 2012 nach Sachsen zu holen. von mathias berek

Es begann im Jahr 2000 mit einer wahnwitzigen Idee des Bürgermeisters von Riesa, Wolfram Köhler: Lasst uns die Spiele nach Sachsen holen! Im Leipziger Rathaus, traditionell anfällig für größenwahnsinnige Projekte, war man begeistert. Die »Sportstadt Riesa« wurde zwar inzwischen ebenso wie Dresden und Chemnitz aus den olympischen Planungen aussortiert, in der Messestadt ist dafür der Ausnahmezustand verhängt worden. »Im Namen von Olympia ist alles erlaubt«, bringt ein Leserbrief in der Leipziger Volkszeitung die Stimmung auf den Punkt.

In einer zweijährigen Werbekampagne gelang es, an DDR-Wahlen erinnernde Quoten für Olympia 2012 zu erzielen. 92 Prozent der LeipzigerInnen sind heute dafür, heißt es.

In der linken Szene Leipzigs war man sich anfangs nicht ganz einig, wie der aufblühende Irrsinn einzuschätzen sei. Manche meinten, die Bewerbung sei eine prima Chance, linke Kritik an gesellschaftlichen Zuständen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Andere sahen eher die Gefahr von Ausgrenzung, Repression und weiterer Durchkapitalisierung.

Auch das Fanzine des alternativen Sportvereins Roter Stern Leipzig machte Olympia Ende des vergangenen Jahres zum Titelthema. Aus dem Kreis der MacherInnen dieser Nummer kamen dann auch die Gründungsmitglieder des Anti-Olympischen Komitees Leipzig, abgekürzt AOK-L. Tom ist einer von ihnen, er erzählt im Gespräch mit der Jungle World, dass sich bald jedoch aus dem Umfeld des Vereins immer weniger Leute an den Aktionen des AOK-L beteiligten. Zwar stießen neue Mitglieder dazu, »wir sind aber zu jedem Zeitpunkt zu wenige gewesen«.

Woher das mangelnde Interesse der Leipziger Linken kommt, kann auch er nicht sagen. Tom ist zwar der Meinung, dass beim Thema Olympia »viel zu holen sei«, aber wenn sie als AOK-L die Gründe für die schlechte Beteiligung kennen würden, würden sie sofort alles anders machen. Immerhin, wirft Hanno, ebenfalls AOK-L-Mitglied, ein, habe es dieses Jahr einfach zu starke Konkurrenzthemen gegeben, die die Diskussionen auch bei den Linken in Leipzig bestimmt haben.

Dabei geht es dem AOK-L nicht darum, Olympia nur in Leipzig zu verhindern. Die Gruppe übt prinzipielle Kritik am Leistungssport und an der Verwertungsmaschine Olympia. Das Ganze wird in den kapitalistischen Zusammenhang gestellt, die Rolle des Sports in Nation und Staat kritisiert. Hingewiesen wird auch auf die »konkreten katastrophalen Folgen«, die eine erfolgreiche Bewerbung haben könne. Mit Olympia werde die Verschlechterung der sozialen Situation noch beschleunigt, und städtische Gelder flössen statt in Bildung oder Sozialhilfe in das Sportspektakel.

Der gerade vorgestellte Stadthaushalt für das Jahr 2004 gibt ihnen Recht. Gelder für Kitas werden gestrichen, Schwimmhallen und Bibliotheken geschlossen, kommunal unterstützte Vereine müssen mit einer zehnprozentigen Kürzung ihrer Mittel leben.

Für Olympia werden jedoch alle Gelder bereitgestellt. Das Versprechen, die Spiele brächten Tausende Arbeitsplätze für die ganze Region, lässt alle Einwände verstummen.

So steht das AOK-L ziemlich allein da mit seiner Kritik. Es muss sich mit Journalisten herumplagen, die nach zehn Minuten anti-olympischer Kapitalismuskritik verständnislos fragen: »Ja, gut. Aber was habt ihr denn nun gegen Olympia?«

AOK-L-Mitglieder gehen persönlich zu allen linken politischen Gruppen, um sie zu einer Diskussion aufzufordern. Sie laden VertreterInnen der erfolgreichen Berliner NOlympia-Kampagne und linke Sporttheoretiker wie etwa den Publizisten Dieter Bott zu Veranstaltungen ein. Aber letztlich bleibt die Resonanz hinter den Erwartungen zurück. Tom sagt: »Kein vernünftig denkender Mensch glaubt daran, dass Leipzig wirklich den IOC-Zuschlag bekommt. Viele halten es einfach für eine Provinzposse. Oder einen PR-Gag.«

Das hatten viele auch schon vor der Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees geglaubt. Als dann am 12. April diesen Jahres herauskam, dass sich Leipzig als deutsche Stadt bewerben darf, und auf dem Marktplatz Zehntausende in Hysterie verfielen, waren Hanno, Tom und wohl viele andere Leipziger Linke geschockt. Tom: »Ich wollte erstmal zwei Wochen lang nichts mehr von dem Thema hören.«

Eine Handvoll AktivistInnen war an diesem Tag der Mobilisierung des AOK-L zu Protestaktionen gefolgt und zum Markt gekommen. Die Polizei wartete schon auf sie und verteilte Platzverweise. Unnötig, denn »wer hätte da schon protestieren wollen«, erinnert sich einer, »da wäre man doch gelyncht worden!«

Die Stimmung ist eindeutig: Wer nicht für Olympia ist, ist gegen Leipzig und gegen Arbeitsplätze. Wütende Bürger machen sich die Mühe, die Nummer des AOK-L-Pressetelefons ausfindig zu machen und anzurufen: »Ihr schwulen Weiber! Was habt ihr gegen Olympia?!« Modernere Olympiafanatiker schicken Hassmails: »Was soll der Scheiß? Was habt ihr denn dagegen, dass Ostdeutschland dank Leipzig eine Chance bekommt? Oder seid ihr Sporthasser?« »Ich kann nur hoffen, daß linke Idioten wie Ihr bald verstummen, denn die Ewiggestrigen brauchen die engagierten Sachsen mit Herz sicher nicht.« Wenn man sich die Bilder der entrückten Gesichter ansieht, wie sie auf Befehl ihre Fähnchen schwenken, versteht man, dass 13 Jahre Wende noch viel zu nah an FDJ und DDR-Sportfest sind.

Bei der Olympia-Gala des MDR im Januar wurden die linken AktivistInnen von der Security angegriffen. 12 000 Menschen wedelten unter dem Motto »Alle für Leipzig« in der überfüllten Leipzig-Arena mit ihren Winkelementen, die AOKler entrollten dagegen vor den Fernsehkameras kritische Transparente. Daraufhin wurden sie von den Mitarbeitern der Securityfirma »Leipziger Löwen« hinausgeworfen. Dann setzten diese den OlympiagegnerInnen zu zehnt bis zur nächsten Bushaltestelle nach, doch die anwesende Polizei hielt die wild gewordenen »Löwen« auf.

Solch staatliche Unterstützung blieb aber die Ausnahme. Die stadteigene Leipzig Marketing GmbH etwa ließ die Website leipziger-freiheit.de.vu einstellen, die gegen den vorletzten Naziaufmarsch in Leipzig mobilisiert hatte. Die Städtewerber beanspruchen für die Worte »Leipziger Freiheit« markenrechtlichen Schutz. Die neue Leuchttafel mit der Wortgruppe prangt passenderweise an einem Haus genau neben einer städtischen Überwachungskamera.

Während es in anderen deutschen Städten auch Bürgerinitiativen gegen Olympiapläne gab, ist das AOK-L in Leipzig die einzige wahrnehmbare olympiakritische Gruppe. Es gab zwar anfangs noch Bedenken der Umweltinititative »Ökolöwe«, seit der Entscheidung für Leipzig ist sie jedoch verstummt.

»Das ist das Dilemma«, meint Tom, »wir wollen und können hier keine Bürgerini-Politik machen. Nötig wäre sowas aber.« Doch in Leipzig gibt es keine Bündnispartner für das AOK-L, selbst Räume für Veranstaltungen zu bekommen, ist schwierig. »Es ist hier schlimmer, gegen Olympia zu sein, als Nazi.«

Die Mitglieder des AOK-L machen jedoch nicht den Eindruck, sich entmutigen zu lassen. Demnächst bringen sie einen umfassenden Reader heraus und stellen ein offizielles NOlympia-Logo vor. Kurz vor der IOC-Vorauswahl im Mai 2004 planen sie einen anti-olympischen Tag und bis dahin soll sich eine Veranstaltungsreihe mit Themen wie der Beziehung des IOC zum Nationalsozialismus oder den Folgen von Olympia für die Stadtentwicklung in Athen beschäftigt haben.

»Nach der NOK-Entscheidung gab es einen langen Sommer der Pause, jetzt geht es wieder vorwärts«, geben sich Hanno und Tom optimistisch. Auch in Halle entsteht mittlerweile eine anti-olympische Gruppe.