Placebo für den Widerstand

Die Befürworter eines Grundeinkommens scheuen die Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im gegenwärtigen Kapitalismus. Mit ihnen lässt sich keine Gegenbewegung begründen. von ernst lohoff

Die PDS, die Gewerkschaften und ihre linkskeynesianischen Stichwortgeber leugnen wie die Neoliberalen die strukturelle, fundamentale Krise der Arbeitsgesellschaft. Käme »die Politik« nur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nach und zwänge das Kapital zur Erfüllung seiner Ausbeutungspflicht, also zur Schaffung von Arbeitsplätzen, dann würde sich das Gespenst der Arbeitslosigkeit schon verflüchtigen. Diese Vorstellung ist nicht nur illusionär, sondern auch reaktionär.

Aber auch Felix Baum leugnet in seinem Beitrag zur Debatte über das Grundeinkommen die Krise der Arbeitsgesellschaft. Er tut sie als »vermeintliche Krise« ab. Nach »einer mehrere Jahrzehnte währenden Ausnahmesituation annähernder Vollbeschäftigung« kehre der Kapitalismus lediglich zu seiner »Normalität« zurück, meint er. Damit verharmlost er die historische Konstellation, mit der es kapitalismuskritische Bestrebungen heute zu tun haben.

Die seit den späten siebziger Jahren zu beobachtende zyklusübergreifende Freisetzung von unverwertbarem Menschenmaterial lässt sich keineswegs mit dem aus früheren Phasen kapitalistischer Entwicklung bekannten periodischen An- und Abschwellen der »industriellen Reservearmee« gleichsetzen. Das Kapital hat nicht bloß vorübergehend für die Masse der Arbeitslosen keine produktive Verwendung mehr, vielmehr nimmt seine Fähigkeit zur Absorption lebendiger Arbeit immer weiter ab, und das strukturell.

Der Verwertungsprozess spuckt auch in den Metropolen unweigerlich immer mehr Menschen aus, die vom kapitalistischen Standpunkt keine Daseinsberechtigung haben. Wer auf eine Trendwende spekuliert, kann lange warten, egal welche Regierung an die Macht kommt, egal welche Maßnahmen sie ergreift.

Die Krise der Arbeit bildet den Hintergrund für den so genannten Umbau des Sozialstaats. Der klassische Sozialstaat funktionierte als Instanz eines repressiven Einschlusses. Das Konzept der Zwangsversicherung mit seinem ausdifferenzierten System beitragsabhängiger Leistungen bildete das Pendant zum lebenslangen Normalarbeitsverhältnis und garantierte den metropolitanen Arbeitskraftverkäufern ein Leben in gesicherter Knechtschaft. Im Zeichen der Krise der Arbeit nimmt die reguläre Arbeit hingegen zusehends den Charakter eines Privilegs an, und der Sozialstaat wird durch seine Verwandlung in eine Selektionsinstanz darauf ausgerichtet, diese Veränderung mit durchzusetzen.

Hartz IV leitete in dieser Hinsicht hierzulande einen tiefgreifenden Wandel ein. An die Stelle »erarbeiteter Ansprüche« tritt immer mehr eine Kombination aus elendsegalitaristischer Minimalversorgung und arbeitsterroristischer Schikane. Der Sozialstaat orientiert sich mit seinen Leistungen nicht mehr am Idealbild regulärer Beschäftigung für alle. Er hat vielmehr die Aufgabe, die vom kapitalistischen Standpunkt her Überflüssigen in eine wachsende Grauzone aus Unterbeschäftigung, Überausbeutung, staatlich organisierter Pseudoarbeit und Scheinselbständigkeit abzudrängen oder wenigstens kostengünstig ruhig zu stellen.

In der entstehenden elendsegalitaristischen Ordnung ist eine Verteidigung sozialer Standards, die sich in erster Linie auf die Sicherung »erarbeiteter Ansprüche« ausrichtet, überholt. Eine in sich konsistente Kritik an der herrschenden Losung: »Jeder nach seiner Leistung für den Standort«, muss stattdessen selber egalitär argumentieren, und zwar arbeitskritisch egalitär. Repressiv war der Grundsatz schon immer: »Wer sich nicht arbeitsbereit zeigt, soll auch nicht essen.« Angesichts der fortschreitenden Abtrennung der stofflichen Reichtumsproduktion von der Vernutzung der Arbeit ist seine rabiate Durchsetzung aber absurd und entwickelt geradezu mörderische Konsequenzen.

Derzeit hat wieder einmal die Idee eines garantierten, arbeitsunabhängigen Grundeinkommens Konjunktur. Auf den ersten Blick scheint diese Forderung eine geeignete Antwort auf die beängstigende Perspektive zu sein. Zumindest so, wie sie derzeit diskutiert wird, hat sie jedoch eher den Charakter eines Placebos für den Widerstand. Angesichts einer fundamentalen Krise der kapitalistischen Reichtumsproduktion setzt sie nämlich an die Stelle der neokeynesianischen Illusion von der Vollbeschäftigung nur ein anderes, genauso groteskes Hirngespinst. Ihre Befürworter entwerfen vornehmlich Bilder einer freundlicheren Zukunftsgesellschaft, die zwar den kapitalistischen Arbeitsautomaten als Auslaufmodell behandelt, sein Pendant, den Warenkonsumenten, aber verewigt. Im 21. Jahrhundert soll zwar kein Mensch mehr als Warenverkäufer auftreten und seine Haut zu Markte tragen müssen, gleichzeitig sollen aber alle jederzeit als Käufer agieren können.

Zunächst einmal dokumentiert die originelle Vorstellung einer Trennung der kapitalistischen Konsumtionsweise von der kapitalistischen Produktionsweise eine heillose Begriffsverwirrung. Die Fehlkalkulationen der diversen Befürworter eines Grundeinkommens beruhen auf der Übernahme des Aberglaubens, Kapital würde genauso von Natur aus Geld abwerfen wie Birnbäume Birnen. Sie verwechseln konsequent den tatsächlichen Überfluss an Gebrauchswerten mit dem Überfluss an abstraktem Reichtum, an Geld. Der spezifische Inhalt kapitalistischen Reichtums wird mit großer Selbstverständlichkeit als Inbegriff von Reichtum anerkannt.

Die Diskussion über das Grundeinkommen macht freilich nicht nur den Stand der verkümmerten Theorie sichtbar. Auch praktisch läuft sie auf einen Akt vorauseilender Selbstdemontage des Widerstands hinaus. Eigentlich liegt auf der Hand, was für eine antikapitalistische Opposition angesichts von Hartz IV unmittelbar auf der Tagesordnung stünde. Sie hätte zum einen den hochgradig individualisierten Arbeitszwang zu skandalisieren, der aus der Krise der Arbeit ein pädagogisches Problem macht.

Sie müsste außerdem ansprechen, wie sich der Umbau des Sozialstaats in den laufenden Angriff auf das Normalarbeitsverhältnis einfügt, etwa mit den Ein-Euro-Jobs. Hartz IV trifft nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch die noch Beschäftigten.

Und zu guter Letzt wäre der ganz banale Verteilungskampf zu eröffnen, und zwar in offensiver Gleichgültigkeit gegenüber irgendwelchen Fragen der Finanzierbarkeit. Dass die Erfüllung der unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen, vom kapitalistischen Standpunkt aus betrachtet, zum Luxus wird, kann aus einer emanzipativen Perspektive nie ein Argument gegen diese Bedürfnisse sein, sondern immer nur eines gegen die kapitalistische Logik.

Und was machen die Befürworter des Grundeinkommens? Statt entschlossen gegen die Zumutungen anzugehen und die grotesken Widersprüche des neuen Kapitalismus zu skandalisieren, akzeptieren sie den herrschenden Maßstab. Sie verschwenden ihre Energie darauf nachzuweisen, dass das Kapital sich an seinen langfristigen Eigeninteressen versündigt, wenn es sich unsozial und gegenüber den Überflüssigen wenig spendabel zeigt. Ein halbwegs »gutes Leben« und der ungestörte Fortgang des kapitalistischen Verwertungsbetriebs müssen miteinander vereinbar sein, nur so wird für die Befürworter des Grundeinkommens der Widerstand gegen die laufenden Depravierungsprozesse offenbar legitim.

Auf dieser Sorte von Illusionsproduktion lässt sich nie und nimmer eine Gegenbewegung gründen. Sie hätte ihre Kapitulationserklärung bereits unterzeichnet, bevor sie sich überhaupt formierte. Die Befürworter des Grundeinkommens flüchten sich aus Scheu vor der Konfrontation mit der rauen Realität der Krise in einen Modellplatonismus, der niemandem weh tut und niemanden überzeugt.