Staatsgläubig

So wenig wie es einen »sozialistischen Staat« geben kann, kann es eine sozialistische oder kommunistische Partei geben. von joachim bruhn

Das Unbewusste der kapitalisierten Gesellschaft, also das, was vernunftfrei als Herrschaft und Ausbeutung agiert, erscheint nicht allein, wie die Ökonomisten aller Fraktionen meinen, in Wert und Kapital; es erscheint mit Notwendigkeit zudem in Politik und Souveränität. Das kommt davon, dass die Ausbeutung ohne die Herrschaft nicht zu haben ist, die Warenform keineswegs ohne die Rechtsform. Während die Wirtschaft das Schicksal ist, und damit das Reich von Notwendigkeit und Determinismus, erscheinen Politik und Souveränität als das Reich der Freiheit und der Selbstbestimmung des Willens. Die Rechtsform und ihr Garant, der Staat, gelten als reine Vergegenständlichung des freien Willens, und daher ist schon das Diktum Ferdinand Lassalles, auch der unfreieste Staat könne nicht gegen die Idee des Staates an sich, die Freiheit, verstoßen, ein Idiotismus, der sich von August Bebel über Lenin bis zu Lafontaines Satz durchzieht: »Der Sozialdemokratismus ist dem Volk einfach nicht auszutreiben.« Noch anders gesagt: gerechter Lohn fürs gerechtes Tagwerk, und Good Governance als Dreingabe gratis.

Karl Marx, dessen Kritik des Kapitals den Wert als doppeltes, also politisches wie ökonomisches Ereignis begreift, kam nicht in seinen schwärzesten Momenten auf die Idee, erst das Kapital zu denunzieren und dann eine Apologie des politischen Souveräns zu verfassen, etwa als »Staat des ganzen Volkes« oder »Rechtsstaat« oder als »Demokratie«. Es kommt hier nicht, wie bei Beton, darauf an, was man draus macht. Und bei der Demokratie kommt es nicht auf den Demos an (der an sich gar nicht existiert, sondern nur als das Produkt der Homogenisierung der Individuen zu Subjekten), sondern auf die Kratie, auf das Befehlen und das Gehorchen.

Woher nun kommt die gesellschaftlich systematisch erzeugte Illusion und Ideologie, der Staat sei ein an sich neutraler Apparat, der Hausmeister des produktiven Volkes, dessen Wille und Aktion im Prinzip die Interessen des deutschen Wahlmobs als ein bewaffneter Notar exekutiert (wenn die dunklen Mächte, die hinter den Kulissen agieren und die allemal »gleicher als gleich« sind, auf Null gebracht und die »Heuschrecken« einmal exterminiert sind)? Woher der Wahn und die Wirksamkeit solcher Slogans wie »Politik für alle« (Oskar Lafontaine)?

Die Attraktivität der Linkspartei zeigt das Maß des gesellschaftlich Unbewussten. In Wahrheit verhält es sich ja so, dass »links« und »Partei« einander ausschließen. Eine Partei ist, ein Blick ins Grundgesetz zeigt das, ein Organ der staatlichen Willensbildung; und jedwede Partei ist, genaueres regelt das Parteiengesetz, ein ideologischer Staatsapparat, eine Instanz, bei der es keineswegs um den Inhalt, um das Programm, um die gute, wahre, schöne Absicht geht, sondern um die politische Zentralisierung jener Gewalt des Kapitals, die in Gestalt der Bundeswehr praktisch längst vorliegt. Weil es kein »sozialistisches Geld« (Karl Kautsky) geben kann, wird es auch keinen »sozialistischen Staat« geben können, keine sozialistische oder kommunistische Partei.

An der »Linkspartei« ist nicht der Namensbestandteil »links« relevant, sondern die Partei, die Partei als Form. Schon die Gründungskalamitäten der Linkspartei zeigen, worum es geht: Zentralisierung des Willens als reine Form, als Selbstzweck, das heißt als Agentur der Selbstverwertung des Werts. Nur wenn man sieht, dass es um rein gar nichts geht, werden die erbitterten Streitereien um Listenplätze verständlich. Wer die Nummer eins besetzt, wird der Souverän seines Wahlmobs. Überall da, wo, sei es in Oberammergau, sei es in Berlin, die Zentralität verbindlich geltender Entscheidung bejaht wird, ist das Kapitalverhältnis als solches bejaht worden. Die Leidenschaft der Kämpfe spiegelt genau die Absenz subversiver Vernunft wieder. Wo der Wahn des Politischen um sich greift, da ist die Herrschaft fein raus.

Marx wusste das, im Gegensatz zu den Marxisten, genau: »Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen« (1844).

Wie sagt das Sprichwort? Fleischmann schaut durch Wollmanns Laden, das heißt, die Socken sind verschlissen, wenn auch nicht vom langen Marsch, und der große Onkel guckt vor. Die Linkspartei ist eine fadenscheinige Angelegenheit.