Früher war es antideutscher

Die Antideutschen stellen die richtigen Fragen, liefern aber die falschen Antworten. von christian stock

Antideutsche? Durchgeknallt! Antiimperialisten? Ewiggestrig! So oder ähnlich dürfte das Urteil vieler Linker in Deutschland ausfallen, die mit beiden Extrempositionen nichts oder nichts mehr zu tun haben wollen. Weder mit den Inter-Nationalisten, die jede noch so reaktionäre Volksbewegung gutheißen, solange sich diese gegen »Globalisierung« und »Krieg« richtet, noch mit jenen zur (Kriegs-)Partei gewordenen Antideutschen, gegen die Bush und Sharon inzwischen wie Friedenstauben anmuten. Und sind sich die Kontrahenten nicht viel ähnlicher, als sie es selbst wahrhaben möchten? Beide sind solidarisch mit nationaler Befreiung – die einen mit Palästina oder Venezuela, die anderen mit der nationalen Befreiungsbewegung des Zionismus. Wenn Antideutsche »Waffen für Israel« und Antiimps »Zehn Euro für den irakischen Widerstand« fordern, lehnen sich beide an die frühere internationalistische Kampagne »Waffen für El Salvador« an und deklarieren ihre Aktion als antifaschistisch.

Doch für eine radikale Linke in Deutschland wäre es zu leicht, sich bloß angewidert zurückzulehnen. Gerade aus einer Sicht auf die Welt, die über deutsche Verhältnisse hinausgeht, ist antideutsche Kritik ein kategorischer Imperativ. Dem Land der Täter, das eliminatorischen Antisemitismus und Rassismus hervorgebracht hat und das bis heute Innen- wie Außenpolitik auf der Grundlage einer völkischen Gemeinschaftsideologie gestaltet, darf gar nichts anderes als tiefes Misstrauen entgegenschlagen.

Gleiches gilt für all jene rechten wie linken Deutschen, die ausgerechnet an Israel ihr antifaschistisches und anti­imperialis­tisches Mütchen meinen küh­len zu müssen – an jenem Staat also, der durch Auschwitz zur unbedingten Notwendigkeit geworden ist und der seit seiner Gründung permanent davon bedroht ist, von der »Landkarte getilgt« zu werden, wie es zuletzt der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad formulierte.

Zugleich muss man nach einer antideutschen Linken suchen, die aufgeklärter ist als jene, die heute darunter firmiert. Fündig kann man dabei oft bei den Antideutschen selbst werden, wenn auch meist in ihren älteren Texten. Beispiel Antirassismus: Im Jahr 1993 bemühte sich die Berliner Sektion der »Gruppe K«, aus der die heutige Bahamas-Redaktion hervorging, um eine Begriffsbestimmung des Rassismus, den sie als »Herrschaftsideologie« bezeichnete. Sie kritisierte den orthodoxen Marxismus, der Rassismus ökonomisch verkürzt als Unterdrückungsinstrument der »herrschenden Klasse« zu erklären versuchte. Zugleich wandte sie sich dagegen, bei antirassistischen Aktivitäten »das bürgerliche Gleichheitsideal ins Feld zu führen«. Mit solcher Kritik ging es der »Gruppe K« darum, den Antirassismus zu schärfen, den sie »trotz inhaltlicher Schwächen« als fähig zu »ausgesprochen gelungenen Aktionen« erachtete, insbesondere im wiedervereinigten Deutschland.

Dieses grundsätzlich positive Bekenntnis zum Antirassismus begann sich in dem Maße zu wandeln, wie man ihn mehr und mehr als »Kümmerform von Gesellschaftskritik« (Detlev Claussen) wahrnahm. Eine wichtige Station dieser Entfremdung war die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban im Jahr 2001, auf der Israel von Teilnehmern insbesondere aus der Dritten Welt als »Apartheidstaat« gebrandmarkt wurde.

Ein weiterer nachvollziehbarer Grund für die Enttäuschung über den Antirassismus war die Konjunktur der Islamversteher nach dem 11. September 2001 und dem Mord an Theo van Gogh. Viele Antirassisten versuchten, jede Kritik am Islam, ja jede Kritik am Islamismus, mit dem stereotypen Verweis auf »Islamophobie« zu unterbinden. Dabei hätte es ihnen allein darum gehen müssen, wie die Kritik an einer Religion, die Terror hervorbringt, so formuliert werden kann, dass sie nicht rassistisch und kulturalistisch ist.

Doch statt diesen Strömungen des Antirassismus das Terrain auf eigenem Gebiet streitig zu machen und beispielsweise seine antizionistischen Formen zurückzudrängen, brachten sich einige Antideutsche in Fundamentalopposition.

Nun war, etwa bei Clemens Nachtmann, pauschal vom »Ungeist des Antirassismus und der Entkolonialisierung« die Rede. Man verteidigte Oriana Fallacis ressentimentgeladenes Machwerk »Die Wut und der Stolz« und fand es witzig, eine Karikatur über das angebliche Bündnis zwischen der Uno, Attac, Autonomen und islamistischen Selbstmordattentätern mit »Onkel Kofis Hütte« zu betiteln. Soll das der Weisheit letzter Schluss sein, die Kritik des Antisemitismus und die Kritik des Rassismus gegeneinander auszuspielen? Dass auf eine solch hirnrissige Idee nicht nur Antideutsche, sondern auch Antirassisten kommen, macht die Sache nicht besser.

Ein anderes Beispiel für die kritikwürdige Verschiebung von antideutschen Positionen sind die Äußerungen zur »deutschen Ideologie« und zum Holocaust. Ursprünglich beharrten Antideutsche strikt auf deren jeweiliger Singularität – in Abgrenzung etwa zu jenen, die mit der Rede vom »Holocaust an den Palästinensern« ihren ordinären sekundären Antisemitismus offenbarten. Jene Antirassisten, die beispielsweise die Verbrechen des westlichen Kolonialismus mit dem Nationalsozialismus verglichen, wurden zu Recht als Relativisten bloßgestellt. Zugleich war den Antideutschen bewusst, dass die »deutsche Ideologie« durchaus gegenwärtig war. Die Warnung davor, dass wesentliche Bestandteile wie der völkische Nationalismus fortlebten, war angesichts der deutschen Südosteuropa-Politik ab 1989 berechtigt. »Angesichts einer drohenden Internationalisierung des ›Modells Deutschland‹ wird eine antideutsche Position zur Grundvoraussetzung jeder emanzipatorischen Aktivität«, schrieb Horst Pankow im Jahr 1995, was sich spätestens beim Kosovo-Krieg als hellsichtig erweisen sollte.

Doch mit dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada und den damit einhergehenden Selbstmordattentaten sowie dem 11. September 2001 wurde antideutsche Kritik zum anti­islamischen Projekt. Man fragte sich angesichts des zum Massenmord schreitenden islamistischen Antisemitismus nach der »Gegenwärtigkeit des antisemitischen Vernichtungsprojektes« (Horst Pankow/Tjark Kunstreich).

Die auf diese richtige Frage gegebene Antwort war jedoch reichlich simpel: Mit Vokabeln wie »Singularitätskeule« (Pankow/Kunstreich), die von Auschwitz-Rela­tivierern hätten erfunden werden können, wandte man sich gegen alle, die darauf insistierten, nicht die nationalsozialistische Vernichtungspolitik mit dem antisemitischen Jihad heutiger Islamisten gleich­zu­setzen.

Fortan verstiegen sich manche Antideutsche zu Aussagen wie jene, die Islamisten seien »grüne Nazis«, der Koran habe dieselbe Rolle inne wie seinerzeit Hitlers »Mein Kampf«, überhaupt sei der NS das »Vorbild islamischer Herrschaft«, aber auch des »Baath-Nazismus« im Irak und der »arabischen Herrenmenschen« im Sudan. Der einzige Unterscheid zu den Nazis bestehe darin, dass die heutigen Islamisten mit ihrem Vernichtungsprojekt »noch nicht soweit« seien wie ihre historischen Vorbilder.

Ein solcher Jargon beruht jedoch mehr auf einer moralischen Empörung denn auf einer fundierten Realanalyse, ohne die auch Ideologiekritik nicht auskommt. Wie Islamismus und säkularer arabischer Nationalismus (zwischen denen viele Antideutsche analytisch kaum unterscheiden) zum eliminatorischen Judenhass kamen, ist, abgesehen von verdienstvollen Ausnahmen wie Matthias Küntzels Buch »Djihad und Judenhass«, wenig untersucht worden.

Zweifelsohne gab es seinerzeit Kollaboration zwischen dem NS-Regime und einigen arabischen oder islamischen Bewegungen. Über die tatsächlichen historischen und möglicherweise bis heute fortbestehenden ideologischen Konvergenzen herrscht jedoch noch großer Klärungsbedarf (an dem die Orientalistik und die Islamwissenschaft allerdings demonstratives Desinteresse zeigen). Dabei handelt es sich nicht um eine akademische Frage. Wenn Islamisten und arabische Nationalisten auf ganz eigenem Weg zu einer antisemitischen Praxis kamen, erfordert dies andere Formen der Gegenwehr als beim Nationalsozialismus.

Hier, im postfaschistischen Deutschland, zu einer Position zu gelangen, die einerseits den Islamismus als Gefahr für jegliche Vorstellung von Emanzipation begreift und die andererseits nicht einfach die ›deutsche Ideologie‹ und die Konstellation des Zweiten Weltkriegs in die arabische Welt projiziert, ist eine Aufgabe, die ihrer Lösung noch weitgehend harrt.

Doch bei aller notwendigen Kritik stellt sich die Frage: Mag man wirklich die Anti-Antideutschen siegen sehen, die die Übergeschnapptheiten mancher Antideutschen dazu nutzen, ihr traditionslinkes Projekt des Antiimperialismus und des »Klassenkampfes« oder ihr globalisierungskritisches Projekt des nationalstaatskonformen Antikapitalismus fortzuführen, ohne auch nur ein kleines bisschen ideologiekritische Selbstreflexion walten zu lassen? No pasaran!

Allerdings wünscht man sich, dass die antideutsche »Gegenidentifikation« mit Israel und den USA nicht die Schwächen derjenigen teilt, gegen die sie sich richtet. Wenn Antideutsche mit Parolen wie »Bush – the Man of Peace« polemisieren und provozieren, vergessen sie, dass es, frei nach Wolfgang Pohrt, politische Gegner gibt, deren Programm so falsch ist, dass nicht einmal das Gegenteil davon richtig ist.