La Ola für die Straßenkehrer

Der Hildesheimer Schützenumzug stand ganz im Zeichen der WM. Man gab sich offen, blieb aber unter sich. von gregor mothes

Der Hildesheimer Schützenumzug fällt auf den zweiten Sonntag der Fußballweltmeisterschaft. Auf den Festwagen, die langsam durch die geschmückten Straßen rollen, wehen schwarz-rot-goldene Fahnen, Musiker haben sich die Nationalfarben auf die Wangen gemalt oder kleine Papierfähnchen an ihre Trachtenhüte gesteckt. Auf der Ladefläche eines Trucks stehen Kinder in den Trikots der deutschen Nationalelf, über ihnen prangt ein Transparent mit der Aufschrift »Zu Gast bei Freunden«. »Deutschland, Deutschland!« rufen sie den begeisterten Zuschauern am Straßenrand zu.

Gäste sieht man kaum unter den Freunden, obwohl die Universitätsstadt ein umfangreiches Begleitprogramm zu dem Großereignis auf die Beine gestellt hat. Schließlich bedeutet die Weltmeisterschaft auch für Hildesheim eine »Riesenmotivation«, um »außergewöhnliche Aktionen und Events auf den ›Spielplan‹ zu rufen«, wie es die Stadträtin Annamaria Geiger formuliert. Und tatsächlich: »Die Hildesheimer Stadtführer-Gilde verbindet auf ihre Weise die Fußball-WM in Deutschland und die Rosenblüte in Hildesheim«, die Citykirche St. Jakobi veranstaltete schon vor Wochen einen Workshop mit dem Titel »Was läuft denn so – Liturgie im Stadion«. Mit »Fan­animateur, Fanclub-Dirigenten und weiteren Fachleuten« wurden Fangesänge und Fanbewegungen eingeübt und »über das Spiel als solches« wurdenachgedacht. Eine Ausstellung, Theaterstücke und Lesungen widmen sich dem Fußball.

»Ich habe gestern zwei Mexikaner gehabt«, sagt ein am Rande des Schützenfestes auf Fahrgäste wartender Taxifahrer, an die Autotür gelehnt. »Das waren meine Mexikaner«, unterbricht ihn seine Kollegin. Die Erkenntnis, dass sie am Vorabend offenbar dieselben Leute befördert haben, ermuntert die beiden zu ein paar Scherzen über deren Fahrtziele in der örtlichen Clubszene.

Auch auf dem Festplatz bleiben die Hildesheimer weitgehend unter sich. Ein vielleicht 40jähriger Mann, der seine Fahne am Rucksack trägt, genießt die gute Stimmung in der Stadt, »weil alle dieses Gemeinschaftsgefühl haben«. Nach der WM würden die Flaggen wohl wieder eingerollt, vermutet er, hofft aber, dass »wir so einen kleinen Durchbruch schaffen, dass wir jetzt mal sagen können: So sind wir ja gar nicht mehr, wie früher, dass nicht mehr alles mit unserer dämlichen Vergangenheit zusammenhängt«. Gern wäre er auch nach Hannover gefahren, um die Stimmung in einer WM-Stadt mitzuerleben, aber »Hartz IV macht’s nicht möglich«.

Auf dem Weg zurück ins Zentrum bietet sich das gleiche Bild wie in der ganzen Stadt: Schwarz-Rot-Gold an Häuserfassaden, Autos und Fahrrädern. »Hildesheim zeigt im WM-Rausch Flagge«, titelt das druckfrische kostenlose Wochenblatt Kehrwieder am Sonntag und berichtet fröhlich von der spontanen WM-Feier am Paul von Hindenburg-Platz nach dem Spiel Deutschland gegen Polen vier Tage zuvor, als knapp 900 Fans dem hinter einer Polizeikette fahrenden Autokorso zujubelten und die um ein Uhr nachts eintreffende Kehrmaschine der Stadtreinigung mit La Ola begrüßten.

Lediglich als eine Hand voll polnischer Fans den Platz überquerten, kam es zu »Verbrüderungsszenen«, »die dann aber in verbal aggressive Auseinandersetzungen mündeten«, wie es im Polizeibericht über diese Nacht heißt. Platzverweise wurden ausgesprochen, jedoch nur von den polnischen Fans befolgt. Die deutschen warfen Flaschen und prügelten sich mit den Polizisten. Ein Polizeisprecher appellierte im Lokalradio insbesondere an die deutschen Fans, »endlich Ruhe zu geben und einen schönen Fußball­abend zu genießen«, sonst würden andere Städte bald mit dem Finger auf Hildesheim zeigen.

Aber das ist am Sonntag des Schützenfestes längst wieder vergessen.