Feierabend in Afrika

Schäuble und Sarkozy wollen den Status des Gastarbeiters wieder einführen. Das Stichwort lautet »zirkuläre Migration«. von ernst lohoff

Die auf Abschreckung und Illegalisierung ausgerichtete Flüchtlingspolitik der EU hat nicht den gewünschten Erfolg gezeigt. Nach wie vor setzen Jahr für Jahr viele tausend Migranten von Afrika nach Europa über und drängen in die erbärmlichsten Abteilungen des schwarzen Arbeitsmarktes. Und sobald sich die Winterstürme legen und die wärmere Jahreszeit anbricht, werden wieder Aufnahmen von schiffbrüchigen Afrikanern und angeschwemmten Leichen über die Bildschirme flimmern.

Angesichts dieser Perspektive wollen der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy das Vorgehen bei der Verteidigung der Festung Europa koordinieren. Ende Oktober, auf dem jüngsten Treffen der Innenminister der sechs größten EU-Staaten im britischen Stratford-upon-Avon, stellten sie ihren Kollegen ein umfangreiches Papier vor, das einige Neuerungen vorsieht. Zum einen soll die Gründung einer europäischen Asylbehörde für eine bessere Koordination der Abwehrbemühungen und für eine einheitliche Behandlung der unerwünschten Zuwanderer sorgen. Zum anderen wollen die beiden Menschenfreunde den Migrationsdruck durch eine Art von Ventil lindern. Geht es nach Schäuble und Sarkozy, dann darf künftig ein gewisses Kontingent ausgewählter Arbeitskräfte aus den armen Ländern auf drei bis fünf Jahre befristet legal in der EU leben und schuften. »Zirkuläre Migration« heißt das neue Zauberwort.

Aufenthaltsrechtlich betrachtet, läuft diese Neuerung auf die Wiedereinführung des Gastarbeiterstatus hinaus, wie er in den fünfziger und frühen sechziger Jahren existierte. Auch die während der Ära des Wirtschaftswunders getroffenen Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und den mediterranen Herkunftsländern (etwa der Türkei, Jugoslawien, Spanien, usw.) sahen ursprünglich die Rückführung der importierten Malocher vor. »Rotationsprinzip« nannte sich der vertraglich festgeschriebene periodische Austausch der Arbeitskräfte damals im Verwaltungsjargon. Gewechselt hat aber nicht nur die Bezeichnung für diese Rückführungswirtschaft, auch die Situation auf den Arbeitsmärkten und die migrationspolitische Lage haben sich in der Zwischenzeit grundlegend verändert. Sollte das alte Instrument tatsächlich wieder zur Anwendung kommen, dann wird es in einem anderen Kontext neuen Zwecken dienen.

Die Rückführungsbestimmungen der Ära Adenauer waren ausschließlich identitätspolitisch begründet. Sie standen für die in Paragrafenform gefasste Illusion, die Anwerbung nicht deutscher Arbeitskraft sei nur vorübergehend und bleibe für den Charakter der Bundesrepublik als eines ethnisch rein imaginierten Staats folgenlos.

Wirtschaftlich waren diese Maßnahmen in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Die Rückkehrpflicht war mit dafür verantwortlich, dass die Zahl der verfügbaren ausländischen Beschäftigten deutlich hinter dem Bedarf zurückblieb. Außerdem litt die Produktivität unter dem beständigen Kommen und Gehen. Die Unternehmen mussten permanent neue, der deutschen Sprache unkundige Menschen in die Arbeitsprozesse eingliedern, ein Vorgang, der auch bei niedrig qualifizierten Tätigkeiten nicht ohne Probleme vonstatten geht. Schließlich setzte sich die Verwertungsvernunft gegen die deutsche Blut-und-Boden-Ideologie durch, und das »Rotationsprinzip« wurde wegen des Drucks der Unternehmerverbände im Jahr 1964 abgeschafft.

Seit dem Anwerbestopp aus dem Jahr 1973 kennt die bundesdeutsche Politik offiziell keine Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten mehr, von der gezielten Rekrutierung weniger Fachkräfte einmal abgesehen. Selbstverständlich hat sich in den vergangenen 33 Jahren dennoch jede Menge Menschen auch und vornehmlich wegen des Broterwerbs in Deutschland niedergelassen. Das Aufenthalts- und das Arbeitsrecht definieren und konstruieren indes stur eine andere Realität. Sie räumen traditionell den Zuwanderern nicht deshalb ein Bleiberecht ein, damit sie hierzulande arbeiten können. Vielmehr wird umgekehrt bestimmten Menschen ein legaler Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt, wenn ihnen vorher aus arbeitsmarktfremden Gründen ein entsprechender Aufenthaltsstatus zugebilligt wurde.

In den siebziger Jahren ebnete vornehmlich die Regelung zum Familiennachzug neuen Arbeitsmigranten den Weg in die Bundesrepublik. In den achtziger Jahren übernahm kurzzeitig und in beschränktem Umfang das Asylrecht diese Funktion, später sorgte die Ankunft von Spätaussiedlern für ein zusätzliches Angebot an Arbeitskräften. Diese Zugänge sind mittlerweile verstopft. Die Arbeitsmigration ist damit aber nicht verschwunden, sie hat nur ihre Form geändert. Wie im übrigen Europa bedeutet Einwanderung auch in Deutschland primär illegalisierte Einwanderung.

Von der staatlichen Politik mitbefördert, hat sich de facto ein ethnisch segmentierter Arbeitsmarkt herausgebildet, mit der illegalisierten Arbeit als integralem Bestandteil. Dieser reale ökonomische Faktor lässt sich nicht einfach wegdekretieren. Die von Schäuble und Sarkozy ergriffene Initiative will dem teilweise gerecht werden, um die Zuwanderung besser regulieren zu können als nur dadurch, sie zu verbieten. Die Abschaffung des »Rotationsprinzips« vor 42 Jahren entsprach der ökonomischen Vernunft, ihre Wiedereinführung in Gestalt der »zirkulären Migration« ist ebenfalls ein Akt wirtschaftlicher, aber auch verfolgungstechnischer Ratio.

Die vorgesehene Regelung beabsichtigt vor allem die Einbindung der Herkunftsländer in die Abwehr von Migranten. Derzeit haben die armen afrikanischen Staaten kein Interesse an der Wiederaufnahme illegalisierter Auswanderer; das erschwert in Europa die Abschiebungen. Mit den jungen Männern, die in ihren Herkunftsländern keine Perspektive haben und ihre Heimat verlassen, wird dort nicht nur die Zahl der Arbeitslosen geringer. So erbärmlich die Löhne der illegalen Auswanderer auch ausfallen, ihre Überweisungen bilden eine wichtige Devisenquelle vieler afrikanischer Staaten.

Auf ihrem Elendsniveau haben die Illegalisierten mittlerweile eine ähnliche Bedeutung, wie sie in den siebziger Jahren die »Gastarbajteri« für Jugoslawien und andere mediterrane Länder hatten. Die Pläne von Sarkozy und Schäuble sehen vor, künftig den Staaten die Kooperationsbereitschaft bei der »Rückführung der Illegalen« mit entsprechenden Quoten bei den legalen Migranten zu vergüten.

Aber auch für die europäischen Arbeitsmärkte bliebe die Legalisierung der Elendsimmigration nicht ohne Folgen. Dieser Schritt würde die Aufspaltung des Arbeitsmarktes in ethnisch unterteilte Teilarbeitsmärkte bedeuten. Bisher garantierte ihre völlige Rechtlosigkeit die Ausbeutung der illegalisierten Arbeitskräfte. Legalisierte auf Zeit werden nur dann in nennenswertem Umfang an die Stelle der Illegalisierten rücken, wenn ihre Arbeitsverhältnisse genauso ungesichert sind wie die der Illegalisierten und ihre Ausbeutung genauso gesichert ist.