Gedenkwut & Leugnungsfuror

Die Gegenwart der Vergangenheit von tjark kunstreich

Ebenso wenig, wie der Holocaust-Leugner an seine Leugnung wirklich glaubt, meint der Erinnerungsarbeiter, mit seinen Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen etwas »gegen das Vergessen« bewirken zu können. Weil sie in ihrem Glauben und Meinen zugleich wissen, dass die von ihnen getroffenen Voraussetzungen gar nicht existieren, sind sie gleichermaßen ideologisch. Denn weder ließe sich über ein Für und Wider der historischen Tatsachen streiten, noch hat die fortwährende institutionalisierte Erinnerung irgendeinen Nutzen in Bezug auf die einzige Forderung, die noch zu erheben wäre: Nie wieder!

Im Gegenteil. Die Diskussion historischer Tatsachen bedient die Leugner – die Indienstnahme der deutschen Verbrechen im Namen einer scheinbar zweckfreien, von allen politischen Bezugnahmen gesäuberten Erinnerung allerdings auch. Die in der Uno wie in der Geschichtsschreibung weitgehend durchgesetzte postkoloniale Perspektive auf den Holocaust als einer gigantischen Menschenrechtsverletzung war eine der Voraussetzungen der Konferenz von Teheran. Am Judenmord wurde der Antisemitismus durchgestrichen und mit ihm auch seine Genese und seine Präzedenzlosigkeit – alles das also, was das Wort »Menschenrechtsverletzung« als Verniedlichung erkennbar machen könnte.

Wiederum deswegen lässt es sich in Deutschland zurzeit so gut gedenken, die Erinnerungsarbeit läuft nahezu geräuschlos. Der Fall einer der letzten Bastionen der Erinnerungsverweigerung – der Deutschen Bahn – ist keineswegs ein Sieg der Erinnerung über das Vergessen, sondern ein Anzeichen für die Einebnung der Geschichte: Auschwitz ist nicht länger eine No-Go-Area. Es ist nicht einmal mehr moralischer oder finanzieller Profit, um den es hier geht, eine Ausstellung über die deportierten Kinder gehört zum guten Ton wie die Weihnachtsbeleuchtung in den Bahnhöfen.

Die einfache Leugnung der historischen Tatsachen und die Enthistorisierung des Judenmords als Menschenrechtsmaßeinheit für Geschehnisse der Gegenwart treffen sich – ganz und gar nicht zufällig – dort, wo es darum geht, Israels historische Legitimation zu dekonstruieren. Ist die einfache Leugnung an Aberglauben, Verblendung und Antisemitismus gekoppelt und darum in ihrer Reichweite zwar wirksam, aber begrenzt, soll das deutsche und mit ihm das europäische Gedenken mit der Erinnerung an den vergangenen von der Komplizenschaft mit einem möglichen nächsten Massenmord an Juden ablenken. Die Botschaft der Holocaust-Konferenz ist ebenso die vieler Erinnerungsarbeiter: »Keinesfalls darf der Holocaust als Rechtfertigung missbraucht werden, die Palästinenser ungerecht zu behandeln«, brachte der britische Rabbi Ahron Cohen den gefundenen Minimalkonsens auf den Punkt. Ob es die Vernichtung selbst gegeben hat, darüber kann man ja weiter unterschiedlicher Meinung sein, solange es gegen Israel keinen Unterschied macht.

Die Enthistorisierung ist dabei nur die scheinbar harmlosere Variante der Leugnung, denn obwohl sie nicht die Vergangenheit in Frage stellt, will sie die Gegenwart nicht zur Kenntnis nehmen. Angesichts der Wiederkehr des deutschen Vernichtungsprojekts unter islamischen Vorzeichen geraten die Monumente und Ausstellungen der Erinnerungskultur zu zweideutigen Objekten: Sind sie Erinnerung an Vergangenes oder Vorschau auf Kommendes? Ist das Bildnis des deportierten und ermordeten jüdischen Kindes eine Mahnung oder ein Versprechen?