Und ein Philosoph? What the fuck is that?

Die Zeichnungen des amerikanischen Künstlers Raymond Pettibon in Hannover. von tobias premper

Raymond Pettibon gilt als schwieriger Gesprächspartner. Wahrscheinlich ist er im Interview die härteste Nuss seit Andy Warhol. Wiederholte Warhol manchmal nur die Fragen des Interviewers, dauert es bei Pettibon oft Minuten, bis er einen vollständigen Satz sagt. Er setzt zu einer Formulierung an, bricht sie wieder ab, springt zum nächsten Gedanken, bricht auch diesen ab – und so weiter. Das heißt natürlich nicht, dass er nichts zu sagen hätte, vielmehr gehört es zur Person und zum Konzept des 1957 in den USA geborenen Künstlers.

Pettibon gilt als einer der wichtigsten und bekanntesten Künstler der letzten Jahre. International schaffte er den Durchbruch in den späten acht­ziger Jahren mit sozialkritischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, in denen er sich mit der zeitgenössischen Kultur auseinandersetzt. Seine raumfüllende Arbeit zum 11. September 2001 auf der Dokumenta X machte ihn 2002 auch in Deutschland berühmt. Die Kestnergesellschaft in Hannover zeigt jetzt mehr als 230 seiner Zeichnungen.

Raymond Pettibon ist ein Poet der Zeichnung und immer auf der Suche nach den richtigen Worten. Offenkundig pflegt er eine intensive Beziehung zum Alkohol. Er beginnt irgendwann morgens, welchen zu trinken, und wann er nachts genau aufhört, steht in den Sternen. Ziemlich lange jedenfalls braucht er an diesem Tag, um in Fahrt zu kommen. Nach einem Glas hochprozentigem »Apfelsaft« auf der Pressekonferenz in Hannover versucht es der Kalifornier dann erfolgreich mit einem doppelten Espresso. Allmählich kommt er in Fahrt. Er schwärmt für die Westküsten-Autoren der sechziger Jahre wie Richard Brautigan und ist plötzlich hellwach. Ob er sich eher als Geschichtenerzähler oder als Philosophen sieht?

»Für mich ist es nicht wichtig, das eine oder das andere oder beides zu sein. Wenn Künstler oder Schriftsteller sagen: ›Well, ich bin dieser Geschichten­erzähler aus dem Süden‹ oder so was – das ist alles Mist. Und ein Philosoph? What the fuck is that?« Pettibon sieht seine Arbeit interdisziplinär, er arbeite mit Worten und Bildern, und wenn man Wert darauf lege, ja gut, er erzähle eben Geschichten, würde das allerdings nicht auf seine Visitenkarte schreiben.

Pettibon ist durchdrungen von Misstrauen in das gesprochene Wort. Sein Weg ist gepflastert mit Worten aus dem Slang und der Weltliteratur, er kom­biniert Dilettantismus und Virtuosität – und er führt in ein komplexes Bild- und Textuniversum, dessen Gesamtbedeutung insgesamt größer ist als jedes einzelne Bild. Wer trotzdem versucht, ihn auf eine klare Formel zu reduzieren, muss scheitern. Es ist der kontinuierliche Weg eines Zeichners, der unbeirrt und konsequent seinen eigenen Stil geformt und ihn stetig weiterentwickelt hat. Ende der siebziger Jahre machte sich Pettibon einen Namen mit Zeichnungen für Punkbands wie Black Flag, die seine Bilder für Flyer und Albumcover benutzten, oder mit selbstkopierten Heftchen. 1990 gestaltete er Cover und Booklet für das Sonic-Youth-Album »Goo«. Seine Motive dienten als Vorlage für T-Shirts und Poster. Inzwischen ist er ein Liebling der Kunstsammler in aller Welt. Gerne wird er in einem Atemzug mit Francisco Goya, Edward Hopper und vor allem dem englischen Maler, Schriftsteller und Großvisionär William Blake genannt.

Pettibon nimmt den Betrachter an die Hand und führt ihn durch ein weites Spektrum an Stilen und Themen, die in Ausführung und Radikalität ihresgleichen suchen. Dabei umkreist er seine Themen allmählich, so lange, bis er ein Thema von mehreren Seiten ausgeleuchtet hat. Sein Urteil kann dabei manch­mal hart ausfallen oder aber völlig offen bleiben. Seine Bild- und Textkombinationen sind nicht intellektueller oder philosophischer, sondern eben poetischer Natur. Und der Betrachter kann selbst entscheiden, ob er bei diesem Trip durch die Seiten- und Sackgassen einer düsteren, amerikanischen Welt mit all den schreienden, lachenden oder flüsternden Stimmen in Pettibons Bildern dabei sein will oder nicht.

Da ist zum Beispiel die frei nach Thomas Pynchon zitierte, populäre sick crew mit Nancy Reagan, J. Edgar Hoover oder Elvis Presley – für Andy Warhol sind dies alles Helden, für Pettibon sind sie dagegen Antichristen. Oder aber der Durchschnitts-Baseballspieler, der sich seiner Mittelmäßigkeit bewusst ist, während der Fastball an ihm vorbeirauscht und sein Strike Out besiegelt. Oder seine Alter Egos »Vavoom« und »Gumby«, die sich Pettibon aus Comicserien ausgeliehen hat. Vervollständigt wird das Pettibonsche Universum durch zahlreiche Motive, die sich in abgewandelter Form wiederholen und die die unterschiedlichsten Facetten der Populär- und Subkultur des amerikanischen Alltags zeigen: Surfer, phallische Züge, Sex & ­Crime, Film Noir, Natur und Verschmutzung, das künstlerische Schaffen an sich, kastrierte Statuen, Landschaften, Dollarzeichen oder die amerikanische Flagge.

Am Abend nach der Vernissage steht Raymond Pettibon auf der Tanzfläche eines Clubs. »Sheena Is A Punkrocker« von den Ramones dröhnt aus den Boxen – der beste Song des Abends. Pettibon tanzt nicht allzu gerne, das sieht man ihm an. Er trägt dieselbe Kleidung wie am Morgen – schäbige, weiße Slipper, graue Tennissocken, Cordhose, Sweatshirt mit Kugelschreiber im Ausschnitt und Blazer. In seiner Hosentasche steckt ein Flachmann. Die Musik wird immer lauter. Bis sie schließlich den Punkt erreicht hat, an dem Konversation unmöglich ist. Während die meisten anderen tanzen, sitzt da ein einzelner Mann am Tisch. Es ist Raymond Pettibon, und er kritzelt irgend­etwas Unidentifizierbares auf die Tischdecke.

v-boom. Raymond Pettibon in der Kestner­gesellschaft Hannover. Bis 6. Mai 2007