Globale Gollwitz-Linke

G8 sei Dank: Die deutsche Konsenslinke ist wieder da. Vom Antisemitismus will sie endlich nichts mehr wissen müssen. von tjark kunstreich

Das Gift hat eine neue Plattform«, kommentierte Dieter Graumann, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Gründung der Partei »Die Linke«. Es gebe traditionell eine »krankhafte Feindseligkeit« gegenüber Israel. Es ist jedoch nicht nur der Antizionismus, die politische Rationalisierung des Antisemitismus, sondern auch der Antikapitalismus dieser Linken, der an Versatzstücke der Nazi-Ideologie anknüpft.

Das wollten auch die Antifa-Gruppen deutlich machen, die am 2. Juni in Rostock im »Ums ­Ganze«-Block neben Palästina-Deutschen, Antiimps und anderen Freaks, die Völker, Kulturen und Saatgut gegen den globalen Kapitalismus verteidigen wollen, demonstrierten. Anstelle einer Kritik des Antikapitalismus kam am Ende jedoch etwas anderes heraus: Anarchosyndikalisten und Gewerkschafter, Autonome und MLer, Antideutsche und Maoisten, Antifas und Antizionisten – sie alle können wieder gemeinsam auf eine Demon­stration gehen. Mit Palästinensertuch und Davidstern vereint gegen die Mächtigen der Welt.

Es wurde der Hauptwiderspruch wieder entdeckt, der Kapitalismus, der wahlweise dafür verantwortlich ist, als Imperialismus verkleidet die Völker der Welt zu knechten, oder für den Antisemitismus, der die Existenz des Staates Israel leider notwendig macht: Such dir eine Wahrheit aus! Nicht nur die Wasg und die Linkspartei haben sich vereinigt, auch die unterschiedlichen Strömungen der radikalen Linken haben wieder zum guten, alten Minimalkonsens gefunden.

Dieser besteht darin, zum einen die Verhältnisse als »strukturelle Gewalt« zu interpretieren, zum anderen gezielte Militanz als deren Brechung zu würdigen. In den neunziger Jahren war der Begriff »strukturelle Gewalt« aus dem Repertoire kritischer Bemühungen verschwunden, weil er ebenso gut dazu taugt, aus einem rassistischen oder antisemitischen Hassverbrechen eine Ver­zweif­lungs­tat zu machen, an der letztlich die Verhältnisse schuld sind – noch heute eine beliebte Übung, wenn es darum geht, islamischen Untaten ein irgendwie fortschrittliches oder wenigstens antikapitalistisches Moment anzulügen.

Angesichts der Pogromwelle Anfang der neunziger Jahre wurde dieser Sorte linken Interpretierens vorläufig der Garaus gemacht, weil zu offensichtlich geworden war, dass es nicht ausreicht, Antisemitismus und Rassismus als ein Spaltungsmanöver der Herrschenden zu erklären, das die Untertanen davon abhalten soll, ihre wirklichen Interessen wahr­zunehmen. Stattdessen wurde unterstellt, dass Leute, die Flüchtlinge jagen und umbringen, nichts anderes wollen, als Flüchtlinge zu jagen und diese umzubringen. Auf die Geschichte bezogen wurde dies übersetzt in die Erkenntnis, dass der Nazi-Faschismus nicht eine Diktatur gegen die Mehrheit der Bevölkerung war, sondern dass er von dieser mehrheitlich getragen und exekutiert wurde.

In der Wiederkehr des deutschen Antisemitismus in den neunziger Jahren bündelte sich das Unbehagen an Deutschland wie in einem Brennglas. Als im Jahr 1997 im ostzonalen Gollwitz die Bevölkerung die Unterbringung jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion verhinderte, wurden als »Gollwitz-Linke« jene bezeichnet, die Verständnis für den zum Pogrom bereiten Mob äußerten, wie etwa Werner Pirker in der jungen Welt.

»So sind die realen Kräfteverhältnisse in der Linken: Die Nachdenklichkeit, die nach der Wiedervereinigung und dem Golfkrieg in allen Strömungen zu beobachten war, hat keine Wirkung gehabt. Die allermeisten Linken waren, sind und bleiben Spießer, Reaktionäre, Antisemiten«, resümierte Jürgen Elsässer damals (Jungle World 49/97). In Rostock-Lichtenhagen hatte der Mob 1992 Vietnamesen und Zigeuner verbrennen wollen, in Hoyers­werda tobte das Wir-sind-ein-Volk, bis die Asyl­bewerber unter Polizeibegleitung die Stadt verlassen mussten. An die 100 Menschen bezahlten nach der Wiedervereinigung den völkischen Terror mit dem Leben. Der Antisemitismus spielte dabei aufgrund der historischen Reminiszenz eine besondere Rolle, er war sozusagen der Beweis für die Kontinuität der volksgemein­schaftlich-nationalsozialis­tischen Gesinnung der Deutschen.

In der Verunsicherung ob dieser Entwick­lung wurde auch die eigene Tradition zum Gegenstand von Selbstkritik. Als Martin Wal­ser 1998 seine Rede wider die »Dauerpräsen­tation unserer Schande« hielt, funktionierte dies noch ganz gut: Linksradikal zu sein, hieß, sich der Befreiung der Nation von ihrer Vergangenheit zu widersetzen.

Anlässlich des ersten deutschen Krieges nach 1945, der sich 1999 nicht zufällig gegen den letzten Rest des unter deutscher Führung zuvor zerschlagenen Jugoslawiens richtete, ging die Kritik dieser Entsorgung noch Hand in Hand mit antiimperialistischen Parolen. Man brauchte nur die USA gegen Deutsch­land auszutauschen und war damit immerhin auf dem Erkenntnisstand von 1914: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Von da an ging’s bergab, weil der Nazi-Faschismus vom Tabu zum Präsentationsobjekt und zur Rechtfertigung militärischer Bemühungen um Menschenrechte wurde. Deutsch­land stellte sich seiner Vergangenheit, die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit wurde zum Allgemeinplatz, zum Ticket.

Was von der Konsenslinken übrig war, blickte schon Ende der neunziger Jahre neidisch ins Ausland, wo sich die Antiglobalisierungsbewegung formierte. Schon früh entdeckten einige, die von der Selbstkritik nie etwas wissen wollten, in dieser Bewegung mit ihrer kruden Mischung aus Öko­logismus und Antiimperialismus eine Chance, end­lich eine linke Politik machen zu können, die sich an deutschen Petitessen wie sechs Millionen toter Juden nicht länger aufzuhalten braucht. Antifaschismus und Antikapitalismus fielen nicht erst nach dem 11. September 2001 auseinander, weil erstgenannter als Herrschaftskritik die strukturelle Gewalt der unmittelbaren vorzieht und in der Vermittlung von Herrschaft einen Fortschritt erkennt, während letztgenannter in seiner heutigen ideologischen Form gegen diese Vermittlung den Kult der Unmittelbarkeit von Beziehungen setzt und nicht zufällig mit den grauenhaftesten Verfallsformen kapitaler Herrschaft im Bunde ist.

»Die politischen Generationen haben zusammen­gefunden. Anders als in den neunziger Jahren gibt es wieder eine junge Linke«, freut sich Thomas Seibert vom Bündnis »Interventionistische Linke« in der taz. Mit einiger Verspätung wurde endlich erreicht, was der Rest der Nation längst schon bewältigt hat: die Versöhnung mit sich selbst. Man ist als Teil der westlichen Linken endlich in der geschichtslosen Globalität angekommen. Dass Seibert nicht wahrnimmt, was für ein strenger Geruch von der Formulierung des Zusammenfindens der Generationen ausgeht, zeigt, wie stolz man darauf ist, endlich auch sein Scherflein zur Normalisierung Deutschlands beigetragen zu haben. Schließlich hat es in den neunziger Jahren durchaus eine Generation junger Linker gegeben, sie stand aber für das antiimperialistische Generationenkomplott, anders als die Mehrheit der 68er, nicht zur Verfügung.

Eigentlich steht nach dem Zusammenfinden der Generationen nun das Zusammenfinden der Fraktionen an. Der »Ums Ganze«-Block hat den Weg gewiesen: Zehn Jahre nach der Spaltung wird so auch die Wiedervereinigung von junge Welt und Jungle World denkbar. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch!