Die Suche nach den Verschwundenen

Die spanische Regierung hat den Gesetzesentwurf zur Rehabilitierung der Opfer der Franco-Diktatur, den sie vor einem Jahr vorgelegt hat, verändert. Einige antifaschistische Forderungen wurden aufgenommen. In der Öffentlichkeit wird erregt darüber diskutiert. von alexandre froidevaux, teruel

»Meine Mutter hat sich nie zur franquistischen Repression geäußert, und das obwohl ihre Mutter ermordet wurde. Und nun, mit 85 Jahren, wettert sie mit großer Vehemenz gegen alles, was franquistisch sein könnte«, erzählt Joaquín Orellana*, Mitglied der Organisation Pozos de Caudé. In Spanien sind die Verbrechen der Franco-Diktatur jahrzehntelang verschwiegen worden, doch in den vergangenen Jahren wurden sie Thema der öffentlichen Debatte. Diese verschärft sich zunehmend, unter anderem weil die sozialdemokratische Regierung ein Gesetz verabschieden will, das das franquistische Erbe »aufarbeiten« soll.

Sofort nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs, der sich am 18. Juli zum 61. Mal jährte, hatten rechte Militärs und Falangisten begonnen, ihre politischen Gegner – Sozialisten, Republikaner, Anarchisten u. a. – zu verhaften und massenweise zu ermorden. Auch am Brunnen von Caudé (Pozos de Caudé) in der Nähe der Stadt Teruel, nach dem sich die Organisation der Franco-Opfer benannt hat, erschossen franquistische Todesschwadronen Hunderte Linke und warfen sie in den Schacht. Heutzutage ist Pozos de Caudé einer der herausragenden Erinnerungs­orte, den es zum Gedenken an den faschistischen Terror in Spanien gibt. Dafür hat die Vereinigung Pozos de Caudé gesorgt, die an dem Ort ein Monument zur Erinnerung an die Ermordeten errichtete und dort jährlich am 1. Mai Gedenkveranstaltungen organisiert.

Lange waren die Mitglieder dieser und anderer Initiativen hinsichtlich der franquistischen Repression, die mindestens 140 000 Menschen das Leben kostete, mit öffentlichem Schweigen konfrontiert. Denn der Übergang zur Demokratie (transición) nach dem Tod von Diktator Francisco Franco im Jahr 1975 basierte auf einem historischen Ausgleich zwischen »progressiven« Angehörigen der franquistischen Eliten und den bestimmenden Kräften der illegalen Opposition, vor allem den Sozialisten und der spanischen KP. Dieser Kompromiss beinhaltete sowohl eine Generalamnestie, die franquistische Folterer und Henker mit einschloss, als auch eine Art Schweigepakt in Hinblick auf die Auseinandersetzungen in den dreißiger und vierziger Jahren.

Dieser Schweigepakt der transición ist in den vergangenen Jahren immer wieder in Frage gestellt worden. Großen Anteil daran haben linke Organisationen, die zum Ziel haben, »die historische Erinnerung (memoria histórica) wiederzugewinnen«, wie diese neuartige Thematisierung der konfliktreichen spanischen Vergangenheit von ihnen genannt wird. Über ganz Spanien verteilte Gruppen wie die Vereinigung Pozos de Caudé machen sich auf die Suche nach den mehr als 30 000 »verschwundenen« Opfern der franquistischen Repression, thematisieren öffentlich die verschwiegenen Bombardements republikanischer Städte während des Bürgerkriegs oder die Rolle der antifranquistischen Guerillabewegung und fordern die staatliche Unterstützung ihrer Aktivitäten. Nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten (Psoe) im Jahr 2004 versprach die neue Regierung, den Forderungen nachzukommen.

Tatsächlich präsentierte die Regierung im Sommer 2006 einen Gesetzentwurf, der der memoria histórica staatlicherseits Rechnung tragen, deren Reichweite offensichtlich aber auch begrenzen sollte. Wichtige Punkte des Entwurfs waren die staatliche Hilfestellung bei der Suche der antifaschistischen Organisationen nach den »Verschwundenen«, die Entfernung franquistischer Symbole von öffentlichen Einrichtungen und eine höhere Entschädigung für diverse Opfergruppen. Außerdem sollte den Opfern franquistischer Unrechtsurteile nach offizieller Verlautbarung eine »persönliche Anerkennung« mittels einer förmlichen Erklärung ausgesprochen werden. Eine juristische Revision der Urteile oder gar Prozesse gegen die noch lebenden Täter waren freilich nicht vorgesehen. (Jungle World 32/06)

Viele memoria-histórica-Gruppen sahen sich durch Formulierungen des Entwurfs in ihren Befürchtungen bestätigt, die Regierung wolle beide Bürgerkriegslager miteinander gleichsetzen. Im April setzte das Parteienbündnis Vereinigte Linke in einem mit dem Psoe erzielten Kompromiss schließlich Änderungen an dem Gesetzesentwurf durch. Der franquistische Staatsstreich und die Diktatur sollen nun eindeutig verurteilt und die umstrittenen Formulierungen geändert werden. Angestrebt wird jedoch weiterhin lediglich eine moralische Anerkennung der Opfer.

Trotz seines moderaten Inhalts wird das memoria-histórica-Gesetz von der konservativen Volkspartei (PP) grundsätzlich verworfen. Eduardo Zaplana, Fraktionssprecher des PP, wirft den Sozialdemokraten vor, »die transición endgültig zu begraben«. Und das, obwohl die sozialdemokratische Regierung in der Präambel des Gesetzesentwurfs ausdrücklich den »Versöhnungswillen« des demokratischen Übergangs beschwört. Die aufgrund der Fundamentalopposition des PP gegen die Regierung – die sich etwa auch anhand der Frage des Umgangs mit der Eta zeigt – ohnehin angespannte innenpolitische Situation verschärft sich somit weiter. Hinter der Haltung der Volkspartei verbirgt sich dabei auch der Unwille, sich den Kontinuitäten zu stellen, die den PP mit dem Franco-Regime verbinden.

Die Reaktionen auf den neuen Gesetzesentwurf unter den memoria-histórica-Gruppen sind unterschiedlich. Moderate Aktivisten wie Joaquín Orellana betrachten das Gesetz als ausreichend oder zweifeln daran, dass in der angeheizten innenpolitischen Situation mehr zu erreichen sei. Doch viele Aktivisten sind erbost über den Entwurf. So vermutet die Ortsgruppe Teruel der anarchistischen Gewerkschaft CNT, dass mit dem Gesetz ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden soll. Sie fordert unter anderem, die Unrechtsurteile des Franco-Regimes zu annullieren, und kritisiert die ihrer Meinung nach unzureichende Höhe der Entschädigungszahlungen.

Im April entschieden die Anarchosyndikalisten, die Vereinigung Pozos de Caudé, der sie von Beginn an angehört hatten, zu verlassen. Ein Grund dafür war die Kontroverse darüber, ob die Vereinigung staatliche Subventionen für die Suche und Bergung der sterblichen Überreste der »Verschwundenen« in Anspruch nehmen soll. Während Aktivisten wie Orellana dies befürworten, erklärt CNT-Mitglied Juanjo Belvis: »Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Vereinigung staatliche Finanzhilfen für Exhumierungen annimmt, denn dies sollte ein institutionalisierter Auftrag des Staats sein.«

Derzeit verhandelt die sozialdemokratische Regierung mit verschiedenen Regionalparteien, um deren Unterstützung für das neue Gesetz zu erhalten. Obwohl der Kompromiss zwischen dem Psoe und der Vereinigten Linken im Parlament wohl eine Mehrheit bekäme, ist es aus Zeitgründen zweifelhaft, ob das Gesetz vor den Wahlen im nächsten Jahr noch verabschiedet werden wird. Für den Fall eines Sieges seiner Partei hat der Vorsitzende des PP, Mariano Rajoy, bereits angekündigt, das Gesetz wieder abzuschaffen.

Für die memoria-histórica-Gruppen stellt sich die Frage, ob man sich angesichts dieser Drohung mit dem Gesetzesvorhaben zufrieden geben oder im Gegenteil das Vorgehen inhaltlich radikalisieren sollte, indem beispielsweise der Forderung nach der Annullierung der Urteile der franquistischen Justiz mehr Gewicht gegeben wird.

* Name von der Redaktion geändert