Ungelöste Probleme im Südsudan

Am Rande eines Krieges

Nach heftigen Kämpfen im Südsudan haben sich die Regierung in Khartoum und die ehemalige Guerillabewegung SPLM auf ein Abkommen geeinigt. Doch die Probleme bleiben ungelöst.

Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn zwei Konflikt­parteien sich auf eine road map verständigen, denn meist bedeutet dies, Verhandlungen über die schwierigsten Probleme hinauszuschieben. Wenn nach dem erneuten Ausbruch eines Kon­flikts eine road map zur Verwirklichung der road map ausgehandelt werden muss, konnten nicht einmal die einfacheren Probleme gelöst werden, eine weitere Eskalation ist dann nicht unwahrscheinlich.
Die in der sudanesischen Presse als road map agreement bezeichnete Einigung zwischen Präsident Omar al-Bashir, dem Repräsentanten des islamistisch dominierten Militärregimes, und Vize­präsident Salva Kiir vom Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) soll es ermöglichen, die im »Umfassenden Friedensabkommen« (CPA) vereinbarte Politik weiterzuführen. Seit Mitte Mai kam es in der an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan gelegenen Region Abyei zu heftigen Kämpfen. Nach der Ernennung eines zivilen Administrators durch die südsudanesische Regierung der SPLM griff die von der Zentralregierung in Khartoum befehligte Armee gemeinsam mit arabischen Stammesmilizen den gleichnamigen Hauptort der Region an. Die Uno schätzt die Zahl der Flüchtlinge auf 90 000. »Beide Parteien stehen am Rand eines Bürgerkriegs«, warnte Ende Mai Pagan Amum, der Generalsekretär der SPLM.
Am vorvergangenen Sonntag vereinbarten Bashir und Kiir, die Kämpfe einzustellen und ein internationales Schiedsgericht einzusetzen, das über die Grenzen und die Zugehörigkeit der umstrittenen Region befinden soll. Vorerst soll Abyei von Einheiten der Armee kontrolliert werden, die aus Soldaten Bashirs und der SPLM bestehen.

Der erste sudanesische Bürgerkrieg begann bereits 1955, ein Jahr vor der Unabhängigkeit. Süd­sudanesische Guerillagruppen kämpften bis 1972 gegen die Vorherrschaft der nordsudanesischen Oligarchie. 1983 nahm die SPLM den Kampf wieder auf, nachdem die Autonomielösung gescheitert war und die Regierung »islamische« Gesetze verabschiedet hatte. Seit der Unterzeichnung des CPA im Jahr 2005 regieren die islamistischen Militärs aus dem Norden und die süd­sudanesische SPLM gemeinsam, auch die Öleinnahmen sollen geteilt werden.
Doch das CPA ist nur ein Rahmenabkommen, das viele Probleme ungelöst lässt, darunter auch die Frage des genauen Grenzverlaufs zwischen Nord- und Südsudan. Bis 1905 gehörte Abyei zum Südsudan. Besiedelt wird die Region überwiegend von halbnomadischen Ngok-Dinka, die zu den Dinka im Südsudan enge wirtschaftliche, politische und familiäre Beziehungen pflegen, und arabisierten Nomaden vom Stamm der Misseriya. Allerdings besitzen die arabisierten Nomaden auch in Teilen der Siedlungsgebiete der Ngok-Dinka, wie überall in der Grenzregion zwischen Süd- und Nordsudan, sekundäre Nutzungsrechte, vor allem saisonale Weiderechte.
Klar gegliederter Landbesitz mit eindeutigen Grenzen existiert in dieser Region nicht. Vielmehr überschneiden sich vielfach unterschiedliche Nutzungsrechte, die unter günstigeren politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen durch traditionelle Instanzen verhandelt wurden. Bauern und Hirten können auch ihre Produkte tauschen, und Vieh, das auf abgeernteten Feldern weiden darf, düngt den Boden.
Randall Fegley, Professor an der Penn State University, der die südsudanesische Regierung als Fachmann für den internen Grenzverlauf des süd­sudanesischen Autonomiegebiets beraten hatte, schilderte im Mai auf der jährlichen Konferenz der Sudan Studies Association, wie kompliziert die Grenzverläufe zwischen Nord- und Südsudan im Detail sind. Manche Provinzgrenzen wurden sowohl während der britischen Kolonialherrschaft als auch nach der Unabhängigkeit des Sudan mehrfach verschoben. Die sich überlagernden Nutzungsrechte, so Fegley, würden heute noch eine Rolle spielen und insbesondere dann problematisch werden, wenn aus boundaries, internen Verwaltungsgrenzen, borders, internationale Grenzen, werden.
Dies wäre der Fall, wenn die nordsudanesische Oligarchie tatsächlich das für 2011 im CPA vereinbarte Referendum über die Unabhängigkeit des Südens zulässt und dessen Einwohner sich, wie allgemein erwartet wird, für die Eigenstaatlichkeit entscheiden. Grenzkonflikte wären in diesem Falle in einer ganzen Reihe von Regionen entlang der neuen Staatsgrenze programmiert. Eine durch­lässige Grenze, die auch sekundäre Landrechte anerkennt und es den Nomaden ermöglicht, saiso­nal zwischen nord- und südsudanesischen Gebieten hin- und herzuwandern, könnte die Konflikte entschärfen, sagt Fegley.
In Abyei geht es jedoch nicht nur um Weiderechte von Nomaden, für deren Interessen das Regime in Khartoum wohl kaum einen neuen Bürgerkrieg mit der SPLM riskieren würde. Ökonomisch bedeutsamer sind die Rohölreserven der Abyei. Zwar konnten sich die Kontrahenten darauf einigen, dass der Grenzverlauf vor der Revision von 1905 wiederhergestellt werden sollte, allerdings ist der umstritten. Während die Regierung Bashirs die Position vertritt, dass es sich bei den Ngok-Dinka-Häuptlingstümern, die 1905 an die nordsudanesische Provinz Kordofan angegliedert wurden, nur um Territorien südlich des Flusses Kiir handele und die Ngok-Dinka später in nördlich gelegene Gebiete eingewandert seien, sagt die südsudanesische Regierung, auch diese nördlichen Territorien seien traditionelle Gebiete der Ngok-Dinka, die vor 1905 zur südsudanesischen Provinz Bahr al-Ghazal gehörten.
Die Abyei Boundary Commission schlug vor, die Region am Breitengrad 10°22'30" zu teilen, wobei die Nomaden bestehende Weiderechte auf der jeweils anderen Seite der Grenze behalten sollten. Die Regierung in Khartoum wies diesen Vorschlag zurück. Damit blieb auch unklar, ob die Einwohner der Abyei an dem Referendum teilneh­men können. Kiir hingegen erklärte, der Kommissionsbericht sei »bindend für alle Parteien«, die SPLM setzte Edward Lino als Verwalter für das Gebiet ein. Anderthalb Monate nachdem Lino seine Arbeit aufgenommen hatte, griffen Bashirs Truppen an.

Die Kämpfe waren die politisch brisanteste, jedoch nicht die einzige bewaffnete Auseinandersetzung im Südsudan. In den vergangenen drei Jahren kam es immer wieder zu kleineren Gefechten zwischen süd- und nordsudanesischen Truppen, aber auch zu Kämpfen zwischen Stammesmilizen. Die Korruption wurde im Südsudan zum Dauerproblem, in einem »offenen Brief an Präsident Kiir« kritisieren Veteranen der SPLM, dass die ehemaligen Kämpfer »seit drei Jahren ohne Sold hungern, während die Kommandanten ein luxuriöses Leben führen«.
Zudem überfallen die christlichen Fanatiker der aus Norduganda stammenden Lord’s Resistance Army (LRA) immer wieder den Südsudan. Anfang Juni griff die zu einem großen Teil aus Kindersolda­ten bestehende Truppe das Dorf Nabanga in Western Equatoria an. Informationsminister Gabriel Changson Chang zufolge gab es Tote auf beiden Seiten, ehe die SPLM-Truppen die LRA vertreiben konnten.
Auch in anderen Landesteilen wird gekämpft. Nicht nur, dass der Konflikt in Darfur andauert und mit dem Angriff der Guerillagruppe Justice and Equality Movement (JEM) auf Omdurman am 10. Mai sogar bis an die Tore der Hauptstadt getragen wurde. Auch im nördlichen Niltal entstanden in den letzten beiden Jahren kleine Guerillagruppen, die Amri Martyrs Front und die Kush Liberation Front, die sich gegen die ökonomische Marginalisierung, vor allem die Vertreibungen wegen der Dammbauten von Merowe und Khajbar, wehren. Der Sudan scheint sich immer mehr zu einem failed state zu entwickeln.