Die autoritären Tendenzen in Venezuela

Per Dekret schreitet er voran

Sollen die Kommunalwahlen in Venezuela zum neuen Plebiszit über die Politik von Präsident Hugo Chávez werden? Wie sieht es derzeit mit den autoritären Tendenzen im Land der »bolivarischen Revolution« aus? Zu Beginn des Wahlkampfs wurden zahlreiche Oppositionskandidaten von den Wahllisten gestrichen. Chávez will in vielen Bereichen weiterhin per Dekret regieren.

Gut drei Monate vor den Regionalwahlen liegt die venezolanische Opposition in einem Punkt unbestritten vorne: In 19 Staaten konnte sie sich bereits auf einen Kandidaten für den Gouverneursposten einigen. Den politischen Parteien, die Präsident Hugo Chávez nahe stehen, gelang dies bisher nur in zehn Fällen. Neben 22 Gouverneuren werden am 23. November 330 Bürgermeister und die Mitglieder der regionalen Legislativräte gewählt. Die Chávez nahe stehende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas hat im Juni als erste in der venezolanischen Geschichte die Kandidaten für Gouverneurs- und Bürgermeisterposten in internen Vorwahlen von der Parteibasis bestimmen lassen. Da es aber versäumt wurde, sich mit den kleineren Bündnisparteien auf einen Mechanismus für die Kandidatenaufstellung zu einigen, schicken diese nun teilweise eigene Kandidaten in den Wahlkampf.
Die Opposition verließ sich bei der Bestimmung ihrer Kandidaten hingegen auf Umfrageergebnisse. Seit der knappen Niederlage von Chávez beim Verfassungsreferendum im Dezember sieht sie sich erstmals seit Jahren im Aufwind, obwohl es ihr noch immer an eigenen politischen Ideen mangelt.

Chávez als Person bleibt Umfragen zufolge in der Bevölkerung weiterhin beliebt, mit der Amtsführung chavistischer Politiker sind vielerorts jedoch auch die eigenen Anhänger unzufrieden. Daher erhofft sich die Opposition, Einfluss zurückzugewinnen. Bei den vorigen Regionalwahlen im Jahr 2004 konnte sie lediglich zwei Gouverneursposten erringen, und wegen ihres kurzfristigen Boykotts der Parlamentswahlen 2005 steht sie derzeit ohne eigene Abgeordnete da.
Unabgängig davon, ob die Antrittsverbote verfassungsgemäß und für den Kampf gegen die Korruption sinnvoll sind, könnten sie sich für die Regierungspartei durchaus negativ auswirken. Denn die Opposition wird alles daran setzen, die Legitimität der Wahlen anzuzweifeln.
Der prominenteste Betroffene ist Leopoldo López, Bürgermeister des wohlhabenden Bezirkes Chacao in Caracas, der für das Oberbürgermeisteramt der venezolanischen Hauptstadt kandidieren wollte. López, der nach Meinungsumfragen gute Chancen gehabt hätte, Caracas’ Bürgermeister zu werden, wird nun unter anderem vorgeworfen, 1998 in seiner Zeit als Angestellter des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA Geld unterschlagen zu haben. Das Oberste Gericht habe »aus Angst« gegen ihn entschieden, kommentierte López und kündigte an, sich weiter für die Einheit der Opposition einsetzen zu wollen. Andere schlugen radikalere Töne an: »Was will die Regierung? Sie will, dass wir diese Stadt anzünden«, rief der oppositionelle Studentenführer Yon Goicoechea auf einer Demonstration Anfang August ins Mikrofon.
Der Unmut der Opposition mischt sich mit ihrer Ablehnung der von Chávez am 1. August erlassenen Dekrete. Darunter fallen Gesetze, die die Streit­kräfte, öffentliche Verwaltung, Sozialsysteme, Banken, Agrarproduktion und den Tourismus betreffen. Die Regierung will mit den Gesetzen vor allem die staatliche Kontrolle über strategische Wirtschaftssektoren und wichtige öffentliche Institutionen erweitern. Am 1. August ist die auf 18 Monte begrenzte Frist der »revolutionären Vollmachten« abgelaufen. Das Parlament hatte Chávez im Januar 2007 diese legislativen Sondervollmachten gewährt, damit der Präsident in elf verschiedenen Politikbereichen per Dekret regieren kann. Was er auch bisher mit insgesamt 67 Dekreten tat, darunter eine Währungsreform, mehrere Verstaatlichungen, Preiskontrollen sowie ein umstrittenes Geheimdienstgesetz und dessen Aufhebung.
Die Opposition bezeichnete die am 1. August erlassenen Dekrete als autoritär. Zudem kritisieren nahezu sämtliche oppositionellen Parteien und Gruppierungen diese Gesetze, weil sie mehrere Elemente der im Dezember von der Bevölkerung abgelehnten Verfassungsreform enthalten.

Die Verfassungsreform werde somit hinterrücks »eingeschmuggelt«, lautet der Vorwurf. Dass in den Dekreten einige Aspekte der Verfassungsreform auftauchen, sei kein Zufall, betonte hingegen Vizepräsident Ramón Carrizalez. Die nach der Reform geplanten Gesetze seien umgeschrieben und an den geltenden Verfassungstext angepasst worden. Zudem sei es offensichtlich, dass die Gesetze der Bevölkerung nützten. »Das beste Indiz dafür ist die Heftigkeit, mit der sie von der Opposition attackiert werden«, sagte Carrizalez. In der Vergangenheit hat die Opposition stets am schärfs­ten reagiert, wenn Privilegien des alten Establishments eingeschränkt wurden.
»Ohne zu Gewalt aufzurufen, mahnen wir das gesamte Land, diese Gesetze zu ignorieren«, verkündete Julio Borges von der rechten Partei Primero Justicia. Vereinzelte Stimmen wie Carlos Tablante von der wichtigsten Oppositionspartei Un Nuevo Tiempo schlugen hingegen vor, ein Referendum über die Dekrete anzustreben. Nach der Verfassung muss über erlassene Dekrete in einem Aufhebungsreferendum abgestimmt werden, sofern fünf Prozent der Wähler dieses fordern. Bisher wurde noch nie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Nachdem das Parlament Chávez 2001 schon einmal das Recht verliehen hatte, per Dekret zu regieren, folgten aus Protest ein Putsch im April 2002 und ein Managerstreik im Erdölsektor Ende 2002. Genützt hat der Opposition beides nichts.