Über den griechischen Mai im Dezember

Mai im Dezember

Die Wut der griechischen »Generation 600« ist für Jugendliche in aller Welt nachvollziehbar, die antiautoritären Impulse erinnern an Mai ’68. Schon befürchten europäische Regierungen eine Internationalisierung der Proteste.

Nach einer Woche harter Straßenkämpfe, die es den Unzufriedenen erlaubte, sich auf der Straße zu treffen, hat in Griechenland eine große Bewegung der Besetzungen begonnen. Hunderte Schulen und Universitätsinstitute, in einzelnen Fällen auch lokale Rathäuser, in denen mit Anwohnern Versammlungen abgehalten werden, hat die Bewegung sich bislang angeeignet. Versuche der griechischen Regierung, die Unruhen einzudämmen, wie die Ankündigung, 40 Prozent der Gefangenen – Tausende Inhaftierte hatten in den vergangenen Monaten rebelliert – aus den restlos überfüllten Gefängnissen freizulassen, haben bislang nicht gefruchtet. Nach einer Umfrage der konservativen Tageszeitung Kathimerini betrachten rund die Hälfte der befragten Griechen die Riots eher als einen »sozialen Aufstand« denn lediglich als Reaktion auf die Erschießung eines Jugendlichen durch die Polizei.
Die offiziösen internationalen Reaktionen auf die Unruhen sind bemerkenswert. Die französische Tageszeitung Le Monde versah ein Editorial in der vorigen Woche mit dem leicht paranoid an­mutenden Titel »Griechenland ohne Staat«, der britische Independent entdeckte die ersten »Kreditklemmen-Riots«, das US-amerikanische Time-Magazine stellte die Frage: »Könnten sich die griechischen Riots auf Frankreich ausweiten?«
Das befürchtet jedenfalls die französische Regierung. Am Montag legte der als unnachgiebig bekannte Bildungsminister Xavier Darcos einen Plan für eine Schulreform, der Zehntausende Stellenstreichungen mit sich gebracht hätte, auf Eis, um für diese Woche angekündigte Demons­trationen von Schülern und Lehrern präventiv zu entschärfen. War es in den vergangenen Jahren der geheime Traum vieler Radikaler, in ihren jeweiligen Ländern »französische Verhältnisse« zu schaffen, geht nun das Gespenst des »griechischen Aufstands« um.
Und zwar auf der ganzen Welt. In der vorigen Woche wurden überall in Europa und von Petersburg über Ljubljana bis Milwaukee Protestaktionen zur Unterstützung der griechischen Bewegung organisiert, die teilweise, wie in Rom, zu kleinen Riots wurden. Das ist kein Wunder. Die Unzufriedenheit der »Generation 600«, wie Le Monde die griechischen jungen Prekären nennt, die bei ihren ersten Jobs kaum 600 Euro verdienen, ist von Jugendlichen in anderen Ländern unmittelbar nachvollziehbar – sie kennen die prekären Lebensverhältnisse aus eigener Erfahrung. Websites wie die des »Center for Strategic Anarchy« lassen die Neuigkeiten von dem Aufstand und Auf­rufe zum Generalstreik aus besetzten Fakultäten in aller Welt zirkulieren. Und die anti-autoritäre Bewegung in Griechenland, die eine wichtige Rolle in der Revolte spielt, ist nicht durch die Anhänglichkeit an diverse Chavez’ oder Haniyehs diskreditiert, während Würdenträger der griechischen Kirche und KP den Aufstand als Verschwörung ausländischer Geheimdienste halluzinieren. Die Autoritäten stehen mit dem Rücken zu Wand.