Deutscher Widerstand in der Krise

Aufruhr, Widerstand

Während sich andere Staaten auf Unruhen vorbereiten, soll hierzulande für eine »solidarische Gesellschaft« und die »soziale Marktwirtschaft« demonstriert werden.

Unbarmherzig schreitet die Krise voran. Nun erfasst sie auch Bereiche der Gesellschaft, die bislang als krisenresistent galten. » … die Krise hat uns alle überrascht, wir sind alle sprachlos«, sagte der Linzer Nationalökonom Friedrich Schneider der Financial Times Deutschland in dieser Woche. »Zum Beispiel fällt es Ökonomen schwer, die tatsächlichen Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie deren Interaktion zu analysieren. Ganz zu schweigen von Vorschlägen, wie wir sie lösen können.«
Dumm gelaufen. Die Leitwissenschaft, die der Ge­sellschaft ein gewisses Maß an Selbstreflektion über ihr wirtschaftliches Handeln ermöglichen soll, gesteht ein, dass sie den Krisenprozess nicht versteht – eine weitere Bankrotterklärung, die sich nahtlos an die unzähligen Firmen- und die befürchteten Staatsbankrotte anschließt.
Beste Zeiten also für die radikale Gesellschaftskritik. Doch schaut man sich den Aufruf zu den Demonstrationen an, die am 28. März beim »Aktions­tag zum Welt-Finanz-Gipfel (G20)« in Frankfurt a. M. und Berlin stattfinden sollen, reibt man sich verblüfft die Augen. »Wir zahlen nicht für eure Krise!« heißt es. »Die Entfesselung des Kapitals und der erpresserische Druck der Finanzmärkte haben sich als zerstörerisch erwiesen. Ein anderes Weltwirtschaftssystem ist nötig. Eines, das Mensch und Natur dient; das auf den Prinzipien globaler Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischer Kontrolle aufbaut.«
Das hätte die SPD-Ortsgruppe aus Posemuckel nicht schöner formulieren können: Das Problem ist die »Entfesselung des Kapitals«, nicht der Kapitalismus, und dieser »Entfesselung« will man mit dem moralisierenden Stuss von »globaler Solidarität« zu Leibe rücken. Was soll das sein, »glo­bale Solidarität«? Solidarität auch mit den Taliban, die ebenfalls »Menschen des globalen Südens« sind, auf die »die Krise nicht abgewälzt wer­den« darf? Es ist alles egal, so scheint es. Hauptsache, es wird demonstriert, um »den ökologischen und demokratischen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben – als Schritte auf dem Weg in eine solidarische Gesellschaft«, wie auch immer die aussehen soll.
Das ist der Aufruf für die linke Demonstration, die von Attac, Linkspartei und den eher linken Kräften aus den Gewerkschaften getragen wird. Aber der deutsche Widerstand wird sich nicht darin erschöpfen. Auch der DGB will demonstrieren, wenngleich erst Mitte Mai. DGB-Chef Michael Sommer hat bereits Vorgaben gemacht. Es soll um eine »echte Renaissance der sozialen Marktwirtschaft« gehen; bereits im Oktober forderte er »ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und gegen den Share-Holder-Kapitalismus« amerikanischer Provenienz ein. Angela Merkel sieht das nicht anders, wenn sie die deutsche soziale Marktwirtschaft weltweit einführen will und als »dritten Weg zwischen Kapitalismus und Staatswirtschaft« anpreist.
Allerorten bereiten sich die Staaten auf soziale Un­ruhen vor, in Großbritannien befürchtet die Polizei bereits einen summer of rage. Das muss nicht unbedingt schön werden, denkt man etwa an die wilden Streiks mit der Parole »British jobs for British workers«, an die die britischen Nazis »anknüpfen« wollten. Hierzulande aber wollen sich die Demonstrierenden offenbar schon präventiv hinter der Regierung einreihen. Der »soziale Friede« im Modell Deutschland war schließlich schon immer ein echt deutscher Standortfaktor.