Marx und Engels auf dem Balkan

Volksgeist und Völkerabfälle

Bereits Karl Marx und Friedrich Engels betrachteten Südosteuropa als barbarisch und Preußen als Macht des Fortschritts und der Zivilisation. Ein Essay aus Anlass des zehnten Jahrestags des Krieges der Nato gegen Jugoslawien.

Karl Marx und Friedrich Engels, die im Februar 1848 das »Manifest der Kommunistischen Partei« veröffentlicht hatten, waren in vielerlei Hinsicht Kritiker der Frankfurter Paulskirchenversammlung. In ihren Aufsätzen zur »orientalischen Frage«, das heißt zur Zukunft Südosteuropas, finden sich je­doch auf den ersten Blick erstaunliche Übereinstimmungen mit den Argumentationen der bürger­lichen Politiker. So teilten Marx und Engels deren Auffassung von einer kulturellen und historischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber »Slawen«. Ihre Sichtweise war dabei stark von den Schrif­ten Georg Wilhelm Friedrich Hegels über die Philosophie der Weltgeschichte beeinflusst. Für Hegel stellte sich die Weltgeschichte als die »Dialektik besonderer Volksgeister« dar, deren jeder »nur ein Geschäft der Tat« (das heißt der »Realisierung der Vernunft«) zu vollbringen ha­be, um sodann für einen anderen »weltgeschicht­lichen Volksgeist« den Platz zu räumen. Hegel sprach jedoch nicht allen »Völkern« diese Aufgabe zu, sondern nur jenen, die er aufgrund ihrer natürlichen und geistigen Anlagen in der Lage sah, ein kräftiges Staatswesen zu schaffen. Nur solche »Völker« waren für ihn Träger des geschichtlichen Fortschritts. »Völker« hingegen, die keinen eigenständigen Staat geschaffen oder die ihren Staat für längere Zeit verloren hatten, nannte er »geschichtslos«. Sie hatten für ihn ausschließlich die Bestimmung, von anderen »Völkern« »unterjocht« und schließlich aufgesogen zu werden. Die Fähigkeit zur Staatenbildung sprach er ihnen ab. Zu diesen »geschichts­losen Völkern« rechnete Hegel die gesamte Bevölkerung Südosteuropas, die zu seiner Zeit unter der Herrschaft des Osmanischen beziehungsweise des Habsburger Reiches stand. Bulgaren, Serben und Albaner bezeichnete er ausdrücklich als »gebrochene barbarische Reste«, »Mittelwesen zwischen europäischem und asiatischem Geiste«. Er charakterisierte die »sla­wi­schen Nationen« als Gesellschaften von Ackerbauern. Die Vorstellung, dass »Slawen« nur für landwirtschaftliche Tätigkeiten zu gebrauchen seien, war Mitte des 19. Jahrhunderts in den deutschen Fürstentümern weit verbreitet. Die »germanische Welt« repräsentierte für Hegel demgegenüber die letzte und höchste Stufe der Entwicklung der Menschheit. Im preußischen Staat sah er die Verkörperung des absoluten Geistes. Die ein wenig konstitutionell korrigierte und sich ko­lonial ausdehnende preußische Monarchie betrachtete er als höchste Organisationsform der menschlichen Gesellschaft. Anknüpfend an die Hegelsche Theorie der »geschichtslosen Völker« und die Überzeugung von der angeblichen Rückschrittlichkeit Ost- und Südosteuropas, nahmen Marx und Engels zu den politischen Ereignissen im Habsburger Reich während der Ereignisse von 1848/49 Stellung. Über die »orientalische Frage« schrieb dabei hauptsächlich Engels, da Marx sich auf die­sem Feld für weitgehend inkompetent erklärte und selbst von ihm gezeichnete Artikel von Engels formulieren ließ. In deutlichem Bezug auf Hegel erklärte ­Engels 1848 pauschal: »Völker, die nie eine eigene Geschichte gehabt haben, die von dem Augenblick an, wo sie die erste, roheste Zivilisationsstufe ersteigen, schon unter fremde Botmäßigkeit kom­men oder die erst durch ein fremdes Joch in die erste Stufe der Zivilisation hineingezwungen werden, haben keine Lebensfähigkeit, werden nie zu irgendeiner Selbständigkeit kommen kön­nen. Und das ist das Geschick der österreichischen Slawen gewesen.« (MEW 6: 275) Den Tschechen, Slowaken, Slowenen, Kroaten, Serben und Ukrainern würden »die ersten historischen, geographischen, politischen und industriellen Bedingungen der Selbstständigkeit und Lebensfähigkeit fehlen« (ebd.: 275). Als »Trä­ger der geschichtlichen Entwicklung« seien die Deutschen und Österreicher zur Unterjochung dieser »Völkerruinen« berechtigt gewesen. In direkter Berufung auf Hegel bezeichnete er die südosteuropäische Bevölkerung als per se konterrevolutionär: »Diese Reste einer von dem Gang der Geschichte, wie Hegel sagt, unbarmherzig zertretenen Nation, diese Völkerabfälle, werden jedesmal und bleiben bis zu ihrer gänzlichen Vertilgung oder Entnationalisierung die fanatischen Träger der Konterrevolution, wie ihre ganze Existenz überhaupt schon ein Protest gegen eine große geschichtliche Revolution ist« (ebd.: 172). Unter allen Nationen des Habsburger Reiches sah Engels nur die Deutschen, Polen und Ungarn als »Träger des Fortschritts«. Daher seien sie jetzt revolutionär. Alle anderen »Stämme und Völker« Österreich-Ungarns hätten »die Mission, im revolutionären Weltsturm unterzugehen«. (Ebd.: 168, 274) In der Broschüre »Aufruf an die Slawen« von 1848 trat Bakunin für eine Gleichberechtigung der »slawischen« Bevölkerung des Habsburger Reiches mit der deutschen Bevölkerung ein. Er wandte sich gegen eine deutsche Herrschaft über Ost- und Südosteuropa und wies die deutschen »Revolutionäre« darauf hin, »wie notwendig es für die Deutschen wäre, allen Ansprü­chen auf slawische Länder zu entsagen« und sich an einem gemeinsamen Kampf gegen die re­aktionären Monarchen Preußens, Österreich-Ungarns und Russlands zu beteiligen. Demgegenüber rechtfertigte Engels die deutsche Ostkolonisation der vergangenen Jahrhunderte, in­dem er die Preußen beziehungsweise die Norddeutschen zu Trägern der Zivilisation erklärte. Dabei verwandte er geopolitische Argumentationsmuster. Er vertrat die Auffassung, dass die »bürgerliche Zivilisation« sich allein entlang der Seeküsten und des Laufes großer Flüsse ent­wickelt und ausgebreitet habe, während die Binnenländer und insbesondere die Hochgebirge Sitze der »Barbarei« und des Feudalismus geblieben seien. So habe sich die »Barbarei« in den Binnenländern Süddeutschlands und Südosteuropas konzentriert. Diese Länder würden »das Flussgebiet des einzig reaktionären Stroms von Europa … bilden«: der Donau. Dieser Fluss bringe Südosteuropa »mit noch weit kräftigerer Barbarei in Verbindung«, womit Engels auf Russland und das Osmanische Reich anspielte. (MEW 4: 505) Von dieser Überzeugung ausgehend rechtfertigte er in Erwiderung auf Bakunin die Tatsache, dass »slawische Gebiete« in den vergangenen Jahrhunderten »vollständig germanisiert« worden seien. »Den Slawen« sei kein »jahrhundertelanges Unrecht« angetan worden, denn die »Eroberungen« seien »im Interesse der Zivi­li­­sation« erfolgt. Die »Germanisierung« dieser Ge­biete und die Durchsetzung der deutschen Spra­che und der »deutschen Bildung« legitimierte er mit dem naturwüchsigen »Einfluss der ent­wi­ckelteren Nation auf die unentwickelte«. Die Deut­­­schen handelten, so Engels, als »Träger des Fort­schritts« und der »geschichtlichen Entwicklung«. In Erwiderung auf Bakunin, der den Deutschen Verbrechen gegenüber den »Slawen« vorwarf, verlangte Engels die rücksichtslose Verwirklichung der »zivilisatorischen Mission« in Ost- und Südosteuropa durch die Deutschen. Dergleichen lasse »sich nicht durchsetzen, ohne manch sanftes Nationenblümlein gewaltsam zu zerknicken. Aber ohne Gewalt und ohne eher­ne Rücksichtslosigkeit wird nichts durchgesetzt in der Geschichte.« (MEW 6: 279) Er erklärte die von Bakunin benannten »Verbrechen« gegen die »Slawen« zu »den besten und anerkennenswertesten Taten«, derer sich das deutsche und das ungarische Volk in der Geschichte rühmen könnten (ebd.). Seit der Zeit Karls des Großen hätten sich »die Deutschen mit der größten Ausdauer und Beharrlichkeit um Eroberung, Kolonisation oder zum mindesten Zivilisierung des östlichen Europa bemüht«. Dem­gegenüber seien die »Slawen« ein Volk von Ackerbauern. Handel und Industrie hätten bei ihnen nie in großem Ansehen gestanden. Die Herstellung aller Industrieartikel sei allein deut­schen Einwanderern zu verdanken, und fast alles, was zur geistigen Kultur gehöre, habe aus Deutschland eingeführt werden müssen. (MEW 8:50) Die Geschichte der deutschen Ostkolonisation beweise »die geschichtliche Tendenz und die physische und intellektuelle Fähigkeit der deut­schen Nation … , ihre alten östlichen Nachbarn zu unterwerfen, aufzusaugen und sie zu assimilieren; (und) dass diese absorbierende Ten­denz der Deutschen stets eines der mächtigsten Mittel gewesen und noch ist, wodurch die westeuropäische Zivilisation in Osteuropa verbreitet wurde, …  und dass es deshalb das natür­liche, unvermeidliche Schicksal dieser sterbenden Nationen war, diesen Prozess der Auflösung und Aufsaugung durch ihre stärkeren Nachbarn sich vollenden zu lassen« (ebd.: 81). Wie die Abgeordneten der Paulskirche be­trach­­tete Engels somit die mittelalterliche Ostkolonisation als Vorbild für eine neue deutsche Erobe­rungspolitik im Dienste der Zivilisation. Bakunin bemerkte treffend: »Panslawisten sind den Deutschen alle Slawen, die mit Widerwillen und Zorn die Kultur zurückweisen, die sie ihnen aufzwingen wollen.« Engels wiederum malte ein Bedrohungsszenario aus, wonach sich die panslawische Be­wegung kein geringeres Ziel gesetzt habe »als die Unterjochung des zivilisierten Westens durch den barbarischen Osten, der Stadt durch das flache Land, des Handels, der Industrie und des Geisteslebens durch den primitiven Ackerbau slawischer Leibeigener« (MEW 8: 53). Ganz Europa solle zur »Domäne der slawischen Rasse«, insbesondere der Russen werden (ebd.). Der »Hass« auf die »kleinen slawischen Nationen«, die durch ihr Bündnis mit der Monarchie zur Niederlage der bürgerlichen Revolution beitrugen, war im westeuropäischen Bürgertum 1848/49 weit verbreitet. Auch Marx und En­gels vermochten in ihrer Analyse der Ereignisse nicht zu differenzieren. Sie blendeten in ihren Artikeln die ökonomischen und politischen Beweggründe jugoslawischer Politiker und Militärs gegen den ungarischen Aufstand aus und konzentrierten ihre Kritik nicht auf die Habs­burger Regierung als Verantwortliche für die Niederschlagung des Wiener Aufstandes, sondern auf die ost- und südosteuropäischen Soldaten. Marx etwa begann seinen Artikel »Sieg der Kon­ter­revolution zu Wien« mit dem Satz: »Die kroatische Freiheit und Ordnung hat gesiegt und mit Mordbrand, Schändung, Plünderung, mit na­menlos verruchten Untaten ihren Sieg gefeiert … Bewaffnetes und erkauftes Lumpenproletariat gegen das arbeitende und denkende Proletariat.« (MEW 5: 455, 457) Die Gegenüberstellung von jugoslawischem Lumpenproletariat und Wiener Proletariat weist darauf hin, dass Marx, ausgehend von sei­nem Fortschritts- und Zivilisationsmodell, die Freiheits- beziehungsweise Gleichheitsbewegungen der vorwiegend im Agrarsektor beschäftigten südosteuropäischen Bevölkerung nicht an­erkannte, sondern revolutionäres Potential nur dem städtischen, westeuropäischen Industrieproletariat zuschrieb. Die deutschen Kommunisten übersahen in ih­rer Enttäuschung über den Rückschlag der Revolution, dass sich Tschechen, Kroaten und Serben nicht deshalb auf die Seite der österreichischen Regierung stellten, weil sie per se antirevolutionär und antidemokratisch waren, wie Marx und Engels behaupteten, sondern weil sie die großdeutschen und großungarischen Pläne der bürgerlichen Demokraten ablehnten. Von den Wortführern der bürgerlichen Revolution in den deutschen Fürstentümern, Österreich und Ungarn versprach sich die Bevölkerung Ost- und Südosteuropas keine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Im Gegenteil. Der von Ungarn beherrschten jugoslawischen und rumänischen Bevölkerung blieb beispielsweise in den Monaten der entscheidenden kriegerischen Auseinandersetzungen 1848/49 nur die Alternative, entweder mit ihren ungarischen Feudalherren gegen den österreichischen Absolutismus oder mit diesem gegen die Ungarn zu kämpfen. Marx und Engels zeigten sich aufgrund ihres Festhaltens an der Hegelschen Geschichtsmetaphysik und am westeuropäischen Fortschritts- und Zivilisationsglauben sowie aufgrund ihrer Furcht vor dem russischen Zarismus nicht in der Lage, die politischen und sozioökonomischen Hintergründe der südosteuropäischen Freiheits- und Gleichberechtigungsbewegungen wahrzunehmen, geschweige denn angemessen zu analysieren. Es blieb nicht bei ihren klischeebehafteten Darstellungen. In den Artikeln von Engels finden sich seit 1848 zudem Revanchegelüste wegen des angeblichen Verrats der Bevölkerung Ost- und Südosteuropas an der bürgerlichen Revolution. Die Bevölkerung sei »um ihrer kleinlichen Nationalhoffnungen willen« »wie ein Mann unter die Fahne der Konterrevolution« getreten: »Für diesen feigen, niederträchtigen Verrat an der Revolution werden wir einst blutige Rache an den Slawen nehmen.« (MEW 6: 281 ff.) »Im Interesse der Revolution« proklamierte Engels »einen Vernichtungskrieg« gegen »die sla­wischen Barbaren«. Den Verlauf der geschichtlichen Entwicklung erwartete er wie folgt: »Bei dem ersten siegreichen Aufstand des französischen Proletariats … werden die österreichischen Deutschen und Magyaren frei werden und an den slawischen Barbaren blutige Rache nehmen. Der allgemeine Krieg, der dann ausbricht, wird diesen slawischen Sonderbund zersprengen und alle diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen vernichten. Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.« (MEW 6: 176) Der »Russenhass« sei »die erste revolutionäre Leidenschaft bei den Deutschen«. Nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution habe sich dieser Hass auf die gesamte »slawische« Be­völkerung Österreich-Ungarns ausgeweitet. Nur »durch den entschiedenen Terrorismus gegen diese slawischen Völker« lasse sich die Revolution sicherstellen. »Wir wissen jetzt, wo die Feinde der Revolution konzentriert sind: in Russland und den österreichischen Slawenländern; und keine Phrasen, keine Anweisungen auf eine unbestimmte demokratische Zukunft dieser Länder werden uns abhalten, unsere Feinde als Feinde zu behan­deln … Kampf, unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod, mit dem revolutionsverräterischen Sla­wentum; Vernichtungskampf und rücksichts­losen Terrorismus.« (Ebd.: 286) Diese Zeilen schrieb Engels in der ersten Jahreshälfte 1849, der Phase der Niederschlagung des ungarischen Unabhängigkeitskampfs, des letzten Revolutionsherds in Europa, den die österreichische Regierung unter Heranziehung kroatischer und tschechischer Truppen bekämpf­te. Der endgültige Sieg gelang im August 1849 unter Beteiligung russischer Hilfstruppen. Diese Entwicklung bildete den Hintergrund für die Vehemenz des Slawenhasses von Marx und Engels, kann jedoch für die Vernichtungsphantasien des letztgenannten keine hinreichende Er­klärung sein. Diffamierende und stereotype Darstellungen der südosteuropäischen Bevölkerung Österreich-Ungarns finden sich auch in der von Marx ab Sommer 1848 herausgegebenen Neuen Rheinischen Zeitung. Die seitens der Habsburger Monarchie gegen die Aufstände des österreichischen und ungarischen Bürgertums eingesetzten südosteuropäischen Soldaten wurden dort etwa am 27. Februar 1849 als »Kopfabschneider, Bauch­aufschlitzer und Kinderspießer« dargestellt. Sie würden sogar Menschen braten und seien »so geldgierig wie die Juden«. Der Artikel fuhr fort: »Ein ähnliches Schauspiel zu sehen, reist man vergebens in die Urwälder zu den Barbaren und Menschenfressern; es gibt dort höchs­tens nur Wilde, aber keine Satane«. Die jugoslawischen Soldaten von der Militärgrenze Österreich-Ungarns zum Osmanischen Reich seien »Scheu­sale, wider welche alle Völker sich wie zum Kampf mit dem Drachen des Urdespotismus erheben sollten« (Neue Rheinische Zei­tung Nr. 232, 27. 2. 1849). Die jugoslawische Bewegung innerhalb des Habsburger Reiches wurde in Umkehrung der Tatsachen des »Deutschenhasses« bezichtigt, während sie für eine Gleichberechtigung der Be­völkerungsgruppen Österreich-Ungarns eintrat. In ähnlich diffamierender Weise nannte Engels 1850 die an der Grenze zum Osmanischen Reich lebenden Jugoslawen die »barbarischsten Stämme« Österreich-Ungarns (MEW 7: 215). An anderer Stelle lehnte er eine Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens von einem künftigen Deutschen Reich und von Österreich-Ungarn ka­tegorisch ab. Eine Abschließung Deutschlands und Ungarns von der Adria­küste durch die Loslösung Kroatiens und Sloweniens könne nicht zugelassen werden. Aus »geographischen und kommerziellen Notwendigkeiten« sei ein Adria-Zugang für einen deutschen Staat und für Ungarn eine Lebensfrage. Er bemerkte anschließend: »Und wo es sich um die Existenz, um die freie Entfaltung aller Ressourcen großer Nationen handelt, da wird doch eine solche Sentimen­­talität wie die Rücksicht auf ein paar ver­spreng­te … Slawen nicht entscheiden!« (MEW 6: 276) Engels ging somit von einem Recht eines deutschen Staates auf wirtschaftliche Entfaltung aus, für dessen Sicherstellung eine Autonomie der südosteuropäischen Bevölkerung des Habsburger Reiches nicht toleriert werden dürfe. Während die Abqualifizierung der jugoslawischen Bevölkerung bei Marx und Engels einhellig war, betrachteten sie in einer zweiten Phase ihrer Beschäftigung mit Südosteuropa, während des Krimkrieges 1853–1856, zumindest Teile der südosteuropäischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches differenzierter. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Bourgeoisie der christlichen Gebiete Südosteuropas auf einer höheren Stufe der Kultur beziehungsweise Zivilisation stünde als Türken beziehungswei­se Moslems. (MEW 9: 27, 33 f.) Da Marx und Engels jedoch über den Mangel einer bürgerlichen Schicht in Südosteuropa klagten und die fehlende Entwicklung und Staatenbildung in Süd­osteuropa darauf zurückführten, maßen sie partiellen Differenzierungen zwischen Christen und Moslems, Bürgern und Ackerbauern keinen großen Stellenwert zu. Wie bereits während ihrer Stellungnahmen zur bürgerlichen Revolution im Habsburger Reich stand auch bei ihren Artikeln zur Situation der europäischen Gebiete des Osmanischen Reiches die Klage über die feh­lende Zivilisation in Südosteuropa im Mittelpunkt. So bezeichnete Engels 1853 in einem von Marx gezeichneten, jedoch von ihm geschriebenen Artikel zur »orientalischen Frage« die feh­lende Zivilisation und die »Durchmischung der Rassen« als die größten Probleme, mit denen die Großmächte in den europäischen Teilen des Osmanischen Reiches konfrontiert seien. Nachdem er erklärt hatte, dass eine Auflösung des Osmanischen Reiches nicht zu verhindern sei, bemerkte Engels: »Der wirklich strittige Punkt ist immer die europäische Türkei, die gro­ße Halbinsel südlich der Save und der Donau. Dieses herrliche Gebiet ist so unglücklich, von einem Konglomerat der verschiedensten Rassen und Nationalitäten bewohnt zu werden, von denen man schwer sagen kann, welche von ihnen die für die Zivilisation und Fortschritt am wenigsten befähigte ist.« (MEW 9: 6 f.) Letztlich gingen Marx und Engels davon aus, dass Zivilisation und Fortschritt nur durch west­europäischen Handel und westeuro­päi­sche Kultur nach Südosteuropa eingeführt werden könnten. Dazu sei, so Engels, die Fertigstellung einer Eisenbahnlinie von Hamburg über Budapest und Belgrad nach Konstantinopel notwendig (ebd.: 33 ff.), womit er sich in Übereinstimmung mit dem »Vater der deutschen Nati­onal­ökonomie«, Friedrich List, befand. Auch während des Krimkrieges hielten Marx und Engels daran fest, alle Entwicklungen in Südosteuropa aus dem Blickwinkel eines drohen­den Vordringens des russischen Zarismus nach Europa zu betrachten. Marx betonte, der »russische Bär« sei zu allem fähig, solange die europäischen Großmächte ihn gewähren ließen. (Ebd.: 168 f.) Mit dieser Bemerkung klagte er über die seiner Meinung nach zu geringen militärischen Anstrengungen der westeuropäischen Großmächte, den russischen Einfluss in Südost­europa zurückzuschlagen. Engels erklärte Russland 1853 pauschal zur »Eroberernation« und vertrat die Auffassung, seit 1789 gäbe es nur noch zwei Mächte auf dem europäischen Kontinent: Russland mit seinem Absolutismus auf der einen Seite und die Revolution mit der Demokratie auf der anderen. Ihre antirussische Haltung legten sie auch nach der russischen Niederlage im Krimkrieg nicht ab. In einem Brief, den Marx am 24. Juni 1865 an Engels sandte, heißt es: »Sie [die Russen] sind keine Slawen; gehören überhaupt nicht zur indogermanischen Race, sind des intrus [Ein­dringlinge], die wieder über den ­Dnjepr gejagt werden müssen, etc.« (MEW 31: 127) Marx und Engels waren nicht nur von der He­gelschen Geschichtsmetaphysik, sondern auch von den sozialdarwinistischen und rassistischen Theorien ihrer Zeit beeinflusst. Als 1875, ausgehend von Bosnien-Herzegowina, ein Aufstand der Bevölkerung Südosteuropas gegen die osmanische Regierung begann, der 1877 in einem Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich mündete, war von der Möglichkeit zur Bildung einer jugoslawischen Föderation in den Schriften von Marx und Engels keine Rede mehr. Statt dessen wurden die Aufständischen nun, in Wiederaufnahme der Argumentation von 1848/49, allein als Handlanger des »russischen Despotismus« betrachtet. Eine Autonomie der Länder Südosteuropas würde, so bemerkte Engels, nur einer russischen Invasion den Weg nach Konstantinopel öffnen. (MEW 34: 235) Engels notierte: »Glücklicherweise kriegen die Serben Keile« (ebd.: 26). Und an Wilhelm Lieb­knecht meldete er etwas später: »Inzwischen wird Montenegro zu Brei zerstampft. Freut mich.« (Ebd.: 282) Marx subsumierte die südosteuropäischen Aufstände unter dem Stichwort »lokalisierte« Kriege zwischen den europäischen Groß­mäch­ten, in denen er quasi unabdingbare Bestandteile eines weltgeschichtlichen Stufenplans sah, der über »allgemeine«, das heißt: Welt-Krie­ge und die beschleunigte soziale Krise zur klassenlosen Gesellschaft führen würde (ebd.: 317 ff.). In ähnlicher Weise erwartete Engels als »zweiten Akt des Balkandramas« einen Krieg zwischen Russland und Österreich. In diesem Fall würde »ganz Europa in Flammen aufgehen. Es täte mir sehr leid – zweifellos würde es der letzte Krieg sein, und zweifellos muss auch das, wie alles andere, schließlich zu unseren Gunsten ausgehen.« (MEW 36: 530) Marx und Engels gingen davon aus, dass es Aufgabe eines deutschen Staates sei, den Zarismus niederzuwerfen, und dass nur durch einen Krieg mit Russland innenpolitische Erfolge der deutschen Revolution aufrechterhalten werden könnten. Sie glaubten fest an die Unvermeidlich­keit eines Krieges mit Russland. Die Missachtung der Interessen der südosteu­ropäischen Bevölkerung setzte sich bei Engels auch nach den Aufständen und dem russisch-osmanischen Krieg 1875–1878 fort. So schrieb er in einem Brief an Bebel vom 17. November 1885 von den »elenden Splittern ehemaliger Nationen« – »den Serben, Bulgaren, Griechen und an­deren Kopfabschneidern«. Als es 1882 in dem von Österreich militärisch okkupierten Bosnien-Herzegowina zu einem Aufstand kam, klagte Engels über das »bosnische Raubgesindel«, an dessen Revolte nur die russische Panslawistenpartei und der Zar ein Interesse hätten. Er habe »verdammt wenig« Sympathie für »die kleinen slawischen Völker und Völkertrümmer«. Erst wenn durch den Zusammenbruch des Zarentums die nationalen Bestre­bungen »dieser Völkerknirpse« von der Verquickung mit panslawistischen Welt­herr­schafts­­ten­den­zen befreit seien, könne man sie frei gewähren lassen. Sechs Monate Unabhängigkeit würden dann, so die Überzeugung von Engels, bei den meisten »österreichisch-ungarischen Sla­wen« ausreichen, »um sie dahin zu bringen, wieder um Aufnahme zu flehen«. Aber keineswegs dürfe man »diesen Völkchen« das Recht zugestehen, wie sie es jetzt in Serbien und Bulgarien sich zuschrieben, »den Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes bis Konstantinopel zu verhindern«. (MEW 35: 270 ff.) Im Eisenbahnbau, der der wirtschaftlichen Durch­dringung Südosteuropas durch westeuro­päisches Kapital den Weg ebnete und in dessen Kontext die südosteuropäischen Staaten zu Roh­stoff- und Agrarlieferanten insbesondere für ein künftiges Deutsches Reich und Österreich wurden, sahen Marx und Engels weiterhin ein Instrument des Fortschritts und der Zivilisation. Dass die südosteuropäischen Staaten keinen Einfluss auf Richtung, Umfang und Zweck der Ei­senbahnstrecken hatten und sich für den Bau dieser Linien maßlos verschulden mussten, wurde von ihnen ignoriert. Nicht die Befreiung der südosteuropäischen Bevölkerung von Leibeigenschaft, Kolonialismus und Imperialismus stand im Mittelpunkt ihres Interesses, son­dern einzig und allein das »westeuro­pä­ische Proletariat«. Die negative und abwertende Einstellung von Marx und insbesondere Engels gegenüber der Be­völkerung Südosteuropas war keine kurzlebige, sich bloß auf die Revolutionsjahre von 1848/49 beziehende Episode in der Geschichte des Marxismus. Vielmehr weiteten Marx und Engels ihre Diffamierungen, die sie 1848/49 vor­nehmlich gegenüber den südosteuropäischen Untertanen des Habsburger Reiches aussprachen, bis in die 1880er Jahre auch auf die südost­europäische Bevölkerung des Osmanischen Reiches aus. Ohne Marx und Engels auf eine Stufe mit groß­deutsch denkenden bürgerlichen Poli­ti­kern zu stellen, kann die Ursachenforschung nicht bei der Tatsache stehen bleiben, dass kroatische und serbische Truppen in der Revolution von 1848/49 aus der Perspektive der deutschen und ungarischen Bourgeoisie eine konterrevolutionäre Rolle spielten. Die ideologischen Ausgangspunkte der Sichtweise von Marx und Engels über Südosteuropa lagen tie­fer. Sie gingen 1848/49 davon aus, dass die Revolution zunächst nur die deutsche Bourgeoisie und die mit ihr verbündete ungarische und pol­nische Adelsklasse an die Macht bringen würde und dass ihr Sieg mit verschärfter Unterdrückung der angeblich konterrevolutionären Autonomiebestrebungen der Tschechen, Slowaken, Slowenen, Kroaten, Serben, Rumänen und Ukrainer einhergehen müsse. Diese Politik fand ihre Rechtfertigung in Hegels Lehre von den »ge­schichtslosen Völkern«. Wenn Marx und Engels auch in anderen Bereichen in kritischer Rezeption über den Hegelianismus hinausgingen, so blieben sie ihm im allein auf Westeuropa zentrierten Fortschritts- und Zivilisationsglauben verhaftet. Wenn Engels »die Südslawen« als »Völkerabfall« bezeichnete, übertrug er Hegels Beschreibung der Bulgaren, Serben und Albaner als gebrochene bar­barische Fragmente. Auch die pauschale, undifferenzierte Bewertung des Panslawismus als Bedrohung »des zivilisierten Westens« durch den »barbarischen Osten« erfolgte vor dem Hintergrund dieser Geschichtsmetaphysik. In ihrer auf den Schriften Hegels und den Ideen der westeuropäischen Aufklärung basierenden Vorstellungswelt vom stufenweise verlaufenden Entwicklungsprozess der Weltgeschichte unterschieden Marx und Engels zwischen »revolutionären« und »reaktionären«, »zivilisierten« und »barbarischen Völkern«. In ihrem Denken verquickte sich die Idee von der Hegemonie der deutschen Revolution mit der Vorstellung von der durch die »tausendjährige Geschichte« begründeten Hegemonie der Deutschen in Ost- und Südosteuropa. Ein wesentliches Moment, das neben der Theorie über »geschichtslose Völker«, der Vorstellung von einer »Konterrevolution« der südosteu­ro­päischen Bevölkerung 1848/49 und dem auf West­europa fixierten Fortschritts- und Zivilisationsglauben die Artikel von Marx und Engels zur süd­osteuropäischen Frage durchzog, war ih­re Furcht vor dem Panslawismus im Allgemeinen, und im Besonderen vor dem zaristischen Russland, der ihrer Meinung nach gefährlichsten und am wenigsten zivilisierten Großmacht. Symptomatisch dafür war die 1849 von Engels geäußerte irrationale Vorstellung, wonach eine »halbe Mil­lion bewaffneter und organisierter Banden« nur auf die Gelegenheit warte, über die deutschen Fürstentümer herzufallen und die Deutschen zu Leibeigenen des Zaren zu machen. (MEW 6: 432 f.) Pan­ger­ma­nis­mus sowie englischer oder französischer Kolonialismus und Ras­­sismus, die für große Teile der Weltbevölkerung im 19. Jahrhundert eine weitaus größere Bedrohung darstellten als der Panslawismus, sind in den Werken von Marx und Engels demgegenüber kaum analysiert beziehungsweise kritisiert worden. Im Wesentlichen stimmte der ideologisch ein­gefärbte Blick von Marx und Engels auf Südosteuropa mit demjenigen der Pauls­kir­chen­ab­ge­ord­ne­ten überein. Dies zeigt sich, sowohl wenn sie einen Zugang zur Adria zur deutschen »Lebensfrage« erheben, als auch, wenn sie von einer »zivilisatorischen Sendung« der West­europäer, insbesondere der Deutschen, gegen­über der »Barbarei« des Ostens ausgehen und dabei die Bevölkerung Südosteuropas in pauschaler Weise als geschichtslos, kulturell minderwertig und unfähig zu eigener Entwicklung und Staatenbildung abwerten. In Übereinstimmung mit der Paulskirchenversammlung befürworteten Marx und Engels darüber hinaus einen Krieg gegen Russland. In der auf Marx und Engels folgenden deutschen Arbeiterbewegung blieben deren Sicht­wei­se auf die politische Situation in Südosteuropas und die Klischees vom »barbarischen Raubgesindel« des Balkan prägend. So notierte zum Beispiel Ferdinand Lassalle 1859 mit deutlichem Bezug auf Hegel und Engels, das Recht der »Volksgeister« auf eigene Existenz sei daran gebunden, dass ein in eigener Weise sich entwickelnder und mit dem Kulturprozess des Ganzen Schritt haltender »Volksgeist« vorhanden sei. Andernfalls werde die Eroberung ein Recht der in der Entwicklung fortgeschrittenen »Volks­geister«. Mit diesem Recht hätten »die angelsächsische Rasse« in Amerika, Frankreich in Algerien, England in Indien und »die Völker deutscher Abkunft von denen slawischer Zunge ihren Boden erobert«. Davon ausgehend, dass die großen Kulturnationen ein Recht dazu hätten, kleine Nationalitäten zu assimilieren, schlug Lassalle vor, die Balkanländer einem republikanischen Großdeutschland einzuverleiben. Im von Wilhelm Liebknecht herausgegebenen Vorwärts wurden die Serben als »Raubgesindel« und ihre Aufstände als »Raubzüge« bezeichnet. Russland nannte Liebknecht eine »halbbarbarische Macht« und den »brutalste(n) Raubstaat, den die Geschichte kennt«. Liebknecht trat für die Schaffung eines großdeutschen Staates ein. Er klagte die »preußische Führung« dafür an, Österreich »aus Deutschland geworfen« zu haben. Damit sei Russland die »Durchbrechung des gewaltigen Damms, den die germanische Welt von der Nordsee bis an die Adria gegen das Slaventhum gezogen hatte«, ermöglicht worden. Durch die Schaffung eines »Rumpf-Deutsch­lands« überlasse Bismarck »Österreich ruhig der Über­flu­thung, der Wegfluthung durch das Slaventhum«, obwohl doch die Donau nicht bloß ein österreichischer, sondern auch ein deut­scher Strom und alle Interessen, die Österreich »im Orient« verfechte, auch deutsche Interessen seien. Die Unabhängigkeitskämpfe der Be­völ­ke­rung Südosteuropas betrachtete Liebknecht wie Marx und Engels allein unter dem Blickwinkel eines drohenden Vordringens Russlands in Europa. Nur wenige Stimmen unter den deutschen Linken ergriffen für die Freiheitskämpfe der südosteuropäischen Bevölkerung Partei. Rosa Luxem­burg, Eduard Bernstein, August Bebel und Karl Kautsky zeigten gelegentlich Sympathien für die Aufstandsbewegungen der südosteuropäischen Bevölkerung. Doch die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie blieb den Überzeugungen von Marx und Engels im Hinblick auf die Situation und Zukunft in Süd­ost­eu­ro­pa verbunden. Noch während der Balkankriege von 1912/13 gal­ten die südosteuropäischen Soldaten großen Teilen der deutschen Sozialdemokratie ausschließlich als Friedensbrecher und Räuber. Die von Marx und Engels ausgesprochene Not­wendigkeit eines Kampfes gegen das zar­isti­sche Russland und dessen angebliche süd­ost­eu­ro­pä­ische Vasallen prägte die außenpolitische Haltung der deutschen Arbeiterbewegung, die 1914 in der Zustimmung der Sozialdemokratie zum Krieg gegen Russland und Serbien kulminierte. Noch während des Ersten Weltkrieges wurden die Schriften von Marx und Engels über Süd­osteuropa von Teilen der deutschen Sozialdemokratie zur Legitimierung der deutschen Kriegs­führung angeführt. So hieß es in den Sozialistischen Monatsheften 1916, eine Nation, die zur staat­lichen Selbständigkeit aufsteigen wolle, müsse geschichtlich ihre Lebensfähigkeit erwiesen haben. Mit den »slawischen Völ­ker­schaf­ten« hätten Marx und Engels als Revolutionäre böse Erfahrungen gemacht. Aber nicht allein die Verärgerung über die Beteiligung südosteuropäischer Truppen an der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848/49 spreche aus ihren Urteilen über »die nationalen Bewegungen der Slawen«, sondern auch eine ganz bestimmte his­torisch-ökonomische Entwicklungstheorie. Und das gebe ihren geschichtlichen Ausführungen über »die nationalen Bestrebungen der Slawen« eine besondere, den Tag überdauernde all­gemeine soziologische Bedeutung. Nach dieser Entwicklungstheorie entscheide der Grad an Zivilisation über die Berechtigung nationaler Unabhängigkeit. Hiervon ausgehend rechtfertigte der Autor »die Gewalteinbrüche zivilisierter Nationen in die Rechte kulturell tieferstehender Völ­ker«. Auf der Tagesordnung stünde nicht die Au­tonomie der Bevölkerung Ost- und Südosteuropas, sondern die Schaffung großer Welt­wirt­schafts­­gebiete. Als ersten Schritt befürwortete der Autor dabei den Zusammenschluss des Deut­schen Reiches und Österreich-Ungarns zu einem »mitteleuropäischen« Großwirtschaftsraum. Somit wurden Marx und Engels auf Grundlage der von ihnen propagierten Rechte »zivilisierter Nationen« von der Sozialdemokratie als Kronzeu­gen für den deutsch-österreichischen Krieg gegen Serbien und Rumänien während des Ersten Weltkrieges und des angestrebten »mitteleuropäischen Groß­wirt­schafts­raums« unter deutscher Führung angeführt. Damit waren ideologische Argumentationsmuster über einen Zeitraum von mehr als 70 Jahren tradiert worden. Redaktionell gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags aus: Klaus Thörner: Der ganze Süd­osten ist unser Hinterland. Deutsche Südosteuropapläne von 1840 bis 1945. Ca-ira-Verlag, Freiburg 2008. 576 Seiten, 38 Euro