Die »Afpak«-Strategie der US-Regierung

Top- und andere Prioritäten

Obama hatte angekündigt, die Priorität der US-Politik auf Afghanistan und Pakistan zu legen. Ob dies noch gilt, ist nicht ganz sicher.

Eine Strategie der US-Regierung, den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu davon abzuhalten, Ärger zu machen, sei offenbar, ihn damit zu beschäftigen, US-Diplomaten zu treffen, so dass er zu nichts anderem mehr Zeit habe. So witzelte ein Kommentator in der links­liberalen Zeitung The Nation. In der Tat gaben sich allein in den vergangenen Tagen der US-Sondergesandte George Mitchell, der US-Sicherheitsberater James Jones, der US-Verteidigungsminister Robert Gates und der US-Sondergesandte für den Iran, Dennis Ross, in Jerusalem die Klinke in die Hand. Israel genießt »Top-Priorität« bei der neuen US-Regierung.
Zwar hatte Präsident Barack Obama bereits in seinem Wahlkampf angekündigt, den Israel-Palästina-Konflikt »mit neuer Kraft anzugehen«, doch eigentlich hatten alle erwartet, zunächst würde Afghanistan zur amerikanischen »Top-Priorität« erklärt. Immerhin gab es bereits einen Namen für die neue Strategie: »Afpak«. Sie be­inhaltet, dass dem allmählichen Abzug aus dem Irak die Konzentration der US-Außenpolitik auf die Region Afghanistan und Pakistan, speziell die Grenzregion, folgen soll. »Alle Kraft auf Afpak« war die Devise. Viel ist davon bisher nicht zu sehen. Zwar wurden 21 000 zusätzliche amerikanische Soldaten in die Region geschickt, was die Gesamtzahl der US-Soldaten dort auf beachtliche 57 000 erhöht hat. Bis Ende des Jahres sollen es 68 000 Soldaten sein. Doch an der Lage hat sich bisher wenig geändert. Und schon gar nicht zum Guten. Die Zahl der Anschläge mit Sprengfallen hat dramatisch zugenommen, allein im Juni waren es 736. Und die Zahl der getöteten US-Soldaten nimmt ebenso zu. Die Sicherheitslage wird schlechter statt besser, den Taliban werden immer mehr Zugeständnisse gemacht. Es gibt eigentlich zurzeit keine einzige gute Nachricht aus Afghanistan. Nicht für die amerikanische Politik und nicht für die afghanische Zivilbevölkerung.
Und alles, was eventuell als gute Nachricht für Afghanistan durchgehen könnte, ist bei genauerem Hinsehen eine schlechte für Pakistan. Sofern al-Qaida-Truppen in Afghanistan weitgehend ausgeschaltet sind, bedeutet das nur, dass sie sich in Pakistan aufhalten. Der US-amerikanische Journalist Chris Hedges schrieb: »Al-Qaida braucht Afghanistan nicht, und wir brauchen es auch nicht.« Aber dennoch ist klar: Zögen alle Interventionsarmeen ab, würden die Taliban das Land schnell wieder wie vor 2001 »an die al-Qaida verpachten«, wie es Josef Joffe in der Zeit formulierte. Eine Ausweitung des Kriegs, ein Abzug der Truppen, beides wäre fatal. Und das ist die Krux: Man kann es einfach nicht richtig machen in der Gegend, die jetzt »Afpak« genannt wird.
Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass die »Top-Priorität« der US-amerikanischen Außenpolitik zurzeit in Israel liegt. Dort wird es zwar auch nicht vorwärts gehen, aber man kann andere als sich selbst dafür verantwortlich machen.