Über den letzten DDR-Fußballnationaltrainer Eduard Geyer

Mauerfall vs. Konzentration

Im Gespräch erzählt der letzte DDR-Nationaltrainer, Eduard Geyer, vom Ende des Landes und des Teams.

Was für Namen, was für eine Mannschaft. Andreas Thom, Ulf Kirsten, Matthias Sammer, Thomas Doll – und die illustre Liste ließe sich noch um einige Spieler ergänzen. Eduard Geyer kommt in diesen Monaten, rund 20 Jahre nach dem Mauerfall, noch immer mäch­tig ins Schwärmen, wenn er sich das Aufgebot der DDR-Fußballnationalmannschaft von 1989/1990 in Erinnerung ruft. »Alles sehr gut ausgebildete Spieler. Das hätte richtig was werden können«, erklärt er mit seiner markanten, etwas mürrischen Stimme. Ede Geyer, heute 65 Jahre alt, war damals im Wendejahr der Trainer des DDR-Nationalteams. Der letzte. »Und darauf bin ich nach wie vor stolz«, sagt der im damaligen Oberschlesien geborene Fußballlehrer. »Denn das war sicher keine parteipolitische Entscheidung. Das Amt wurde mir 1989 übertragen, weil ich im Verein zuvor so gute Arbeit geleistet habe«, meint er ganz unbescheiden. Zur Erinnerung: Geyer führte seinen Club SC Dynamo Dresden in der DDR-Oberliga-Saison 1988/1989 zur DDR-Meisterschaft. Die auch staatlich be­stimm­te Vorherrschaft von Dynamo Berlin, protegiert von Stasi-Chef Erich Mielke, war damit nach zehn Jahren gebrochen. Eine kleine sportpolitische Sensation im Jahr der Wende. Aber auch über die Nationalmannschaft unter Coach Ede Geyer, in Doppelfunktion nun Vereins- und Auswahltrainer, wurde im Herbst 1989 viel und ausnahmslos anerkennend geredet.
Geyers Elf hatte sehr gute Chancen, sich für die Weltmeisterschaft in Italien 1990 zu qualifizieren. Es wäre nach 1974 in der Bundesrepublik erst die zweite Teilnahme einer DDR-Fußballmannschaft an einer Weltmeisterschaft gewesen. »Wenn nicht diese Mauer gefallen wäre. Das kam für unser Team ein halbes Jahr zu früh«, sagt der Trainer, der ein Diplom der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig besitzt.
Am Tag nämlich, als sich die Grenzen öffneten, war er mit seinem Team in Magdeburg im Trainingslager. »Ede Gnadenlos«, wie Geyer wegen seines autoritären Führungs- und überaus harten Trainingsstils später genannt werden wird, bereitete die DDR-Auswahl auf das entscheidende WM-Qualifikationsspiel am 15. November 1989 gegen Österreich vor. Hätte die DDR das Match gewonnen, wäre sie im Sommer 1990 als Gruppenzweiter hinter der damaligen UdSSR nach Italien gereist.
»Ich war fest davon überzeugt, dass uns das ge­lingen wird. Die Mannschaft war intakt und voll motiviert«, erinnert sich Geyer. Doch dann kam die Nachricht, die alles veränderte. Auch den DDR-Fußball. »Als wir vom Mauerfall aus dem Fernsehen erfuhren, war die Konzentration weg. Wir wussten ja überhaupt nicht mehr, wie es weitergeht. Der Fußball spielte ab dem 9. November in der DDR nur noch eine Nebenrolle«, so Geyer. Und folgerichtig verlor die DDR sechs Tage nach dem Mauerfall ihr entscheidendes Match in Wien mit 0:3.
Der WM-Traum war für Geyer geplatzt. Es war das letzte Pflichtspiel einer DDR-Fußballmannschaft, deren Geschichte am 12. September 1990 in Brüssel im Freundschaftsmatch gegen Belgien mit einem 2:0-Erfolg zu Ende gehen sollte. Das Match verfolgten nur 10 000 Zuschauer im Gonstant-Vandenstock-Stadion, das Ergebnis war eine kleine Sensation, »die für ewig in den Geschichts­büchern stehen wird, das bleibt«, sagt Geyer.
Der Coach musste im letzten der insgesamt 293 Spiele der DDR-Nationalmannschaft auf die meisten seiner Aktiven verzichten. Sie sagten Ede Geyer ab, wollten das DDR-Trikot nicht mehr überziehen. »Wegen fadenscheiniger Begründun­gen, wie ich meine«, so Geyer heute. Es ist also nur eine kleine Delegation, die sich da am 11. Sep­tember 1990 schließlich vom Flughafen Berlin-Schönefeld in die Hauptstadt Belgiens aufmacht und dort durch zwei Tore des beim VfB Stuttgart unter Vertrag stehenden Matthias Sammer gewinnt. »Das letzte Aufgebot der DDR«, beschreibt Geyer sein Team von damals.
Kurz vor dem Anpfiff gab es noch eine Premiere. Es werden alle drei Strophen der DDR-Nationalhymne gespielt, und vor allem wird von den Spielern kräftig mitgesungen. Das war den Spielern zuvor von der DDR-Obrigkeit untersagt wor­den. Die Textzeile »Deutschland einig Vaterland« passte nicht in die Zeit des geteilten Deutschland. »Stolz und erst am Morgen nach dem Spiel sind wir dann ins Bett gefallen«, erinnert sich Geyer an die lange Nacht von Brüssel. Die letzte gemeinsame für eine DDR-Fußball- National­mann­schaft.
Danach begannen turbulente Monate für den DDR-Fußball. Was folgte, war eine Art »Schaulaufen für die Westvereine«, wie Geyer die Auftritte der DDR-Spieler in ihren Ost-Vereinen charakterisiert. »Die Häscher waren doch sofort da und lockten unsere Jungs mit guten Verträgen in den Westen«, darüber ärgert sich Geyer noch heute. Er selbst wurde nach der Wende nicht, wie »Dixi« Dörner oder Eberhard Vogel zum Beispiel, in den Trainerstab des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) aufgenommen.
Ein Grund dafür war sicher auch die über 20 Jahre dauernde Stasi-Tätigkeit Geyers. Unter dem Decknamen »IM Jahn« schrieb er fleißig Berichte über Spieler und Trainerkollegen. Das ist ebenso Teil seiner DDR-Fußballgeschichte, zu der er aber steht. Ganz im Gegensatz zum anderen »DDR-Kulttrainer« Hans Meyer, der als Gesellschaftlicher Mitarbeiter des Staatssicherheits­dienstes unter dem Decknamen »Hans Schaxel« in den Akten geführt wurde und sich bis heute darüber ausschweigt.
Geyer ging nach der Auflösung der DDR-Na­tio­nal­mannschaft im Jahr 1990 zunächst als Trai­ner nach Ungarn (Banyasz Siofok). Er führte später Energie Cottbus für drei Jahre (2000 - 2003) in die erste Bundesliga. Mit dem »Wunder von der Lausitz« machte sich Geyer in der ehemaligen DDR schließlich unsterblich. Neben Hans Mayer gilt Geyer, der ewige Osttrainer, als die Identifikationsfigur des Ostfußballs.
Heute lebt er in Dresden. Er arbeitet derzeit nicht mehr als Fußballlehrer, wäre aber dazu sofort wieder bereit. Egal wo. »Es muss nicht un­bedingt der Osten sein«, sagt er. Warum auch? Geyer sieht den Ost-Fußball »weiterhin schwer benachteiligt, weil sich keiner ernsthaft für ihn einsetzt«. Das klingt ein wenig verbittert und soll es wohl auch sein. Und er gibt den Ostclubs wie Rostock, Dresden oder Cottbus in naher Zukunft kaum eine Chance, wieder in die Bundesliga aufzusteigen. »Es fehlen die Strukturen, die Sponsoren, die Geduld, das Geld. Im Ost-Fußball ist derzeit alles grau. Wie das Wetter im November«, sagt Geyer gewohnt mürrisch wie treffend.