Besuch verschiedener Uni-Besetzungen

Malen und singen gegen Bologna

Um die Proteste der Studierenden ist es ruhig geworden. Aber noch sind diverse Räume an den Universitäten besetzt. Was geht da eigentlich vor sich?

Irgendetwas ist anders in den sonst recht nüchternen Gängen zwischen der Mensa und dem Hörsaal 1a der Freien Universität Berlin. Wo sonst für Konzerte, Krankenkassen und diverse andere Dinge Reklame gemacht wird, herrscht Chaos. Die Wände links und rechts sind mit teils selbst bemalten Plakaten tapeziert, und sogar die in leuch­tendem Betongrau gehaltenen Säulen sind mit Papier verhüllt. »Besetzt«, »Solidarische Grüße« oder »Diskutiert mit uns«, heißt es auf den Plakaten. Obwohl in einigen Ecken bereits Sitzgelegenheiten, die den Charme eines Wartesaals im Krankenhaus versprühen, zu einer entspannten Verschnaufpause einladen, steht derzeit zusätzlich ein wuchtiges, gepolstertes Sofa auf dem breiten Flur. Einige Stühle, Tische, Lebensmittel sowie große Bottiche, die mit schmutzigem Wasser und reichlich Geschirr gefüllt sind, runden das Gesamtbild ab.
Von den visuellen Reizen überflutet, könnte weniger aufmerksamen Personen glatt die besondere Akustik entgehen. Milde Gitarrenklänge und Gesang versetzen die Trommelfelle der Vorbeiziehenden in Schwingung. Der dafür verantwortliche junge Mann kann, wie sich später herausstellt, »nach einem Mal Hören einen gesamten Song« nachspielen und »sorgt damit immer für gute Stimmung«.
Eine Gruppe von Streikenden bietet mir veganes Essen und Mate an. »Wenn wir mit Mate für den Bildungsstreik werben würden, rennen die uns hier die Bude ein!«, sagt eine der Besetzerinnen. Das lässt tief blicken.

Barbara studiert Erziehungswissenschaften und ist enttäuscht darüber, dass »in dem Zeitraum von zwei Monaten Besetzung nur die Abschaffung der Anwesenheitspflicht bis zum Ende des Seme­sters« erreicht wurde. Sie weiß aber nicht, »ob es besser oder schlechter gewesen wäre, die Proteste radikaler anzugehen«. Franziska, die Islamwissenschaften studiert, sagt: »Wir sind, auch wenn manche radikaler sind als andere, immer zu einer Entscheidung gekommen, die für alle akzeptabel war. Ohne Freundschaft geht hier gar nichts.«
Für manche ist bereits die Besetzung zu radikal, ein Student der Sinologie namens Maxim findet, dass sie nur den »normalen Unterrichtsverlauf« behindere. Weiter sagt er, dass er »den Bildungsstreik schon zum Teil« unterstütze, für den Besuch einer Vollversammlung habe er allerdings keine Zeit, da er »eigene Probleme« habe.
Eigene Probleme haben auch die Besetzerinnen. So macht sich das Engagement für den Bildungsstreik nicht nur durch körperliche Erschöpfung, sondern auch durch Zeitmangel und Ernüchterung bemerkbar. Tine, eine Psychologiestudentin, die von Anfang an aktiv am Streik beteiligt war, will nicht mehr so oft im Hörsaal übernachten: »Ich kann hier einfach nicht lernen. Wir finden hier meistens erst zu später Stunde Schlaf.« Sie ist enttäuscht darüber, dass die anfängliche Euphorie vieler Studierenden nachlässt. Es kommt ihr so vor, als ob »Präsidium und Politiker den Ausfall des Hörsaals 1a ausblenden«, ganz so, »als fänden dort Renovierungen statt«.
Franziska erläutert einen weiteren Grund, der die Besetzung auf Dauer unangenehm macht: »Der Kanzler hat die Duschen abschließen lassen.« Der fand im Übrigen zwei Monate lang keine Zeit, die Streikenden zu besuchen. Am Donnerstag soll es endlich so weit sein. Vorher wird eine Vollversammlung stattfinden. Das Präsidium gibt sich unbeeindruckt und zeigt keinerlei Reaktion auf die ungehorsamen Studierenden. »Während der sogenannten Feiertage ging es auf dem FU-Gelände eher unpolitisch zu«, erzählt Franziska.
Eine Frau drängt sich erst hektisch vorbei, ist dann jedoch zu einem Statement bereit. Ihre Hektik erklärt sich schnell. Mit gerümpfter Nase schimpft die Geschichtsstudentin: »Ach, mich nervt das hier! Es stinkt, und außerdem habe ich neulich sogar gesehen, wie Penner das Unigelände betreten haben! Das Essen, das hier herumliegt, zieht natürlich auch solche Leute an.«
Mit diesem Kommentar wird ein weiteres Mal klar, dass es nicht nur die Bachelor-Abschlüsse und andere durch das Bologna-Abkommen entstandene Umstände sind, die Wut entstehen lassen. Einen ähnlichen Stellenwert nehmen bisweilen interne Probleme wie fehlendes veganes Essen ein. Das liegt wohl daran, dass es sich die Protestierenden nicht mit der großen Masse verscherzen wollen. Der Kreis der aktiven Unterstützerinnen und Unterstützer schrumpft ohnehin allmählich.

An der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) begann die Besetzung am 12. November. Allerdings sind die Studierenden bereits im Dezember vom Audimax in einen kleineren Raum umgezogen. Das könne man als Erfolg betrachten, da dieser Ort nun als »Studenten-Initiativ-Raum« diene, und einen solchen habe man schon lange gefordert, sagt Andrea. Sie war von Anfang an dabei und erzählt: »Wir fordern nicht nur den Stopp der Ökonomisierung der Bildung, sondern auch den Stopp der Ausbeutung in allen Lebensbereichen!«
Einmal in der Woche findet an der ASH ein Treffen mit dem Rektorat statt, bei dem die Studierenden Forderungen stellen und ihre Perspektive verdeutlichen. »Anfangs haben sich etwa 60 bis 70 Menschen beteiligt«, inzwischen seien es aber »leider nur noch zehn«, gibt Andrea an, das liege »wohl an der Prüfungszeit«. Bei manchen Plena an der ASH ging es hoch her. So empfanden es einige Besetzerinnen und Besetzer angeblich als »abschreckend«, sich mit »Themen wie der Räumung der Brunnenstraße, Hausdurchsuchungen in der Liebigstraße oder der Silvio-Meier-Demo« zu beschäftigen. Auch wurde den Besetzerinnen und Besetzern vorgeworfen, ein »elitärer, linker Haufen« zu sein. Trotz allem betrachtet Andrea den Streik als »gute Möglichkeit, verschiedenen Leuten gesellschaftskritische Positionen« näher zu bringen.
An der Potsdamer Universität ist nur noch das Foyer besetzt, ein kleines Zimmer, in dem einige leere Kisten Bier, eine kleine Auswahl von Büchern kritischen Inhalts und eine Kunstwerkstätte Platz gefunden haben. Ich treffe drei Besetzerinnen und Besetzer sowie einen unbeteiligten Besucher an. Mir wird Bier und ein Sitzplatz angeboten. Eine junge Frau malt am Nebentisch sehr konzentriert an einem realistischen Gemälde. »Wir haben hier echt richtig kunstbegabte Leute«, erzählt mir Joseph. Auch die neuen Schlafplätze werden mir gezeigt: ein mittelgroßes Zimmer mit kahlen Wänden und einigen Schlafsäcken und Matten. Während mir Joseph erzählt, dass »es schrecklich war«, als er »den Hörsaal nach dem Umzug hierher« gesehen habe, weil alles »so trist und leblos« erschien, sind in einer Ecke Bewegungen wahrzunehmen. Anscheinend hat eine Person bereits Schlaf gesucht. »Ach, klar hätten wir gerne mehr gemacht! Das fanden allerdings nicht alle gut«, sagt Joseph. Auch hier Erschöpfung und Ablenkung. Die Besetzung erscheint als Selbstzweck. Das ist jedoch nur eine Momentaufnahme.

Dem Sinologie-Studenten Maxim würde das jedenfalls nicht gefallen. Er ist der Meinung, dass es eine »Frechheit« sei, dass an seiner Universität »ein Sprachunbegabter eine Sprache studieren« könne. Viele, sagt er, würden »das Studium zur Selbstverwirklichung missbrauchen«. Daran sei »alleine die BRD schuld«, denn »in der DDR hätte es so was nicht gegeben, erst recht keine Professoren, die aufgrund einer Gastprofessur ausfallen«.
Große Pläne werden nicht geschmiedet, und es gibt Zoff, der möglicherweise zu einer Stagnation der Proteste führt. Was feststeht, ist, dass die Besetzerinnen und Besetzer noch da sind und sich über mehr Unterstützung freuen würden. Andrea von der ASH bringt es auf den Punkt: »Wenn wir nicht tanzen können, ist das nicht unsere Revolution. Getanzt haben wir, der Rest steht noch aus.«