Repression gegen kurdische Oppositionelle in Syrien

Nach der Abschiebung in den Knast

Kurdischen Oppositionellen drohen in Syrien weiterhin Inhaftierung und Folter. Dennoch werden Flüchtlinge dem Regime ausgeliefert.

Ein Syrer, »der im Ausland wissentlich falsche oder übertriebene Informationen verbreitet, die die Würde des Staates oder dessen finanzielle Position verletzen«, muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und einer hohen Geldstrafe rechnen. So bestimmt es Artikel 287 des syrischen Strafgesetzbuchs. Nach Ansicht des Regimes hat sich Xalid Mio Kenco dieses »Verbrechens« schuldig gemacht.
Kenco wurde am 1. September vergangenen Jahres aus Deutschland nach Syrien abgeschoben, nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war. In Syrien wurde er verhaftet und angeklagt. Der Organisation Kurd Watch, einer Beobachtungsstelle, die Menschenrechtsverletzungen an syrischen Kurden dokumentiert, berichtete Kenco nach seiner erneuten Flucht am 19. Januar, dass er während seiner Haft in der Stadt al-Qamishli sieben Tage in einer Einzelzelle festgehalten wurde, die zu klein gewesen sei, um sich während des Schlafs auszustrecken.

Die Zelle sei vollkommen dunkel gewesen, so dass er nicht zwischen seiner Wasserflasche und der Flasche, die ihm zum urinieren überlassen worden war, habe unterscheiden können. Nur einmal täglich habe er die Zelle zum Stuhlgang verlassen können. Während sämtlicher Verhöre habe man ihm die Augen verbunden, die Hände auf den Rücken gefesselt, ihn beschimpft, geohrfeigt und mit Kabeln geschlagen. Immer wieder sei er gefragt worden, ob er an einer Kundgebung im Dezember 2008 in Berlin gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Syrien teilgenommen habe.
Dieses »Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen« sowie das Durchführungsprotokoll vom 14. Juli 2008 betreffen nicht nur syrische Staatsbürger, sondern auch staatenlose syrische Kurden, die bis dahin vom Regime meist nicht »zurückgenommen« wurden und die auch aus anderen europäischen Staaten normalerweise nicht nach Syrien abgeschoben werden.

Diese Staatenlosen sind jene 120 000 Kurden, denen 1962 die syrische Staatsbürgerschaft entzogen worden war, sowie deren Nachkommen, für die diese Maßnahme ebenfalls gilt. Derzeit sind 200 000 bis 250 000 syrische Kurden staatenlos. Für die Betroffenen heißt dies, dass sie von der Schulbildung und legaler Arbeit ausgeschlossen sind, ohne Genehmigung des Geheimdienstes dürfen sie sich nicht einmal innerhalb Syriens bewegen. Somit sind rund zehn Prozent der über zwei Millionen syrischen Kurden vollkommen rechtlos. Tausende gingen in den vergangenen Jahren nach Europa ins Exil, insbesondere nach der Niederschlagung kurdischer Proteste in Qamishli im Jahr 2004.
Kenco wurde aus der Haft entlassen, ihm gelang es, vor seinem für Anfang Februar geplanten Prozess in die Türkei zu fliehen. Beim UN-Flüchtlingshifswerk UNHCR läuft derzeit ein neues Asylverfahren. Währenddessen geht in Syrien eine Serie von Prozessen gegen kurdische Oppositionelle weiter. Bereits am 1. Januar begann das neue Jahr mit der Verhaftung eines liberalen kurdischen Geistlichen, Sheikh Ebdilrezaq Cengo, der am Flughafen in Aleppo festgenommen wurde und dessen Aufenthaltsort seither ungeklärt ist. Mitte  Januar wurden sechs Kurden wegen der Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung für den Giftgasangriff auf die irakisch-kurdische Stadt Halabja zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt, Munira Henan Hemo wurde während der Vorbereitungen für eine Feier zum fünften Jahrestages der Gründung der Yekitiya Star, der Frauenorganisation der PYD, verhaftet.
Am 9. Februar soll Mihemed Selahedin al‑Moso wegen Mitgliedschaft in der PKK bzw. deren syrischer Schwesterpartei, der Partei der Demokratischen Union, vor das Militärgericht in Qamishli gestellt werden. Ebendort soll am darauffolgenden Tag der Prozess gegen Mehmud Ziber Mehmud, Ziber Hesen Mehmud und Ebdilwehab Shexmus al‑Faris beginnen. Ihnen wird der Besitz von Pub­likationen der ebenfalls verbotenen Kurdischen Demokratischen Partei vorgeworfen. Derzeit steht noch eine ganze Reihe weiterer Kurden, denen politische Delikte vorgeworfen werden, vor Militär- und Zivilgerichten.

Auf jeden kurdischen Asylsuchenden im Westen kann der Artikel 287 des syrischen Strafgesetzbuches angewendet werden. Denn wer einen Asylantrag stellt, verbreitet aus der Sicht des Regimes bereits damit »falsche oder übertriebene Informationen«, da er ja Schutz vor politischer Verfolgung in Anspruch nehmen will. Daher muss jeder Abgeschobene mit einer Verhaftung und Folterungen rechnen. Das aber scheint für die Bundesregierung kein Grund zu sein, auf die »Rückgabe« der Flüchtlinge zu verzichten.