Fanmeile im Gaza-Streifen

Wenn Sie nicht aus Berlin sind, könnten Sie fälschlicherweise glauben, der Gaza-Streifen läge im Nahen Osten und die Sonnenallee in Ostberlin. Irrtum! Beides ist ein und dasselbe und befindet sich im Kreuzberger Stadtteil Neukölln. In jenem – zumindest der Legende nach – ausschließlich von Libanesen, Palästinensern und palästinensischen Libanesen bewohnten Teil der Sonnenallee war es in den vergangenen Wochen zu einem bizarren Fahnen-Streit gekommen, bei dem Linke versuchten, die größte Deutschland-Flagge der Stadt, die ein Libanese an einem viergeschossigen Wohnhaus befestigt hatte, zu entwenden und anzuzünden (siehe Sport-Seiten 16/17 im Dschungel).
Nach dem Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft über Argentinien am Samstag fanden sich natürlich all jene Journalisten, die vorher über die Begebenheit berichtet hatten zusammen mit weiteren Schaulustigen dort ein, um halt mal lustig zu schauen. Umso mehr gaben sich die Einwohner der Sonnenallee Mühe, den Erwartungen zu entsprechen. Während die Bratwurst- und Lena-Deutschen an der Siegessäule organisiert ihre tönende Bewusstlosigkeit feierten, wurden Sonnenallee und Karl-Marx-Straße spontan zur Fanmeile der migrantischen Unterschicht. Vor dem berühmten Fahnenhaus, dessen Bewohner inzwischen vom Kiez wie Helden gefeiert werden, knallte ein endloser Bölleralarm. Erst Public Viewing, dann Public Party. Den Gaza-Streifen entlang wankten alkoholisierte Deutsche und bekiffte Araber, die den Autofahrern Schwarz-Rot-Gold vor die Scheiben schwenkten. Die Autofahrer wiederum waren vornehmlich die ansässigen Türken, die ganz »Kreuzkölln« in einen riesigen hupenden Korso verwandelten: Deutsch­land­-Flaggen, Türkei-Flaggen und nicht wenige Palästina-Flaggen, wohin man auch blickte. Kurz: Integration komplett, mit alles. Offenbar versuchten sich auch ein paar Deutsche am Korso-Fahren: Alle 100 Meter sah man später Polizeistreifen Auffahrunfälle aufnehmen.