Prozess gegen rechtsextreme Bombenbastler in Aachen

Verbot statt Böller

In Aachen sind zwei Nazis angeklagt, die einen Sprengstoffanschlag vorbereitet haben sollen. Von terroristischen Bestrebungen möchten die Behörden aber nicht sprechen.

Die Detonation »dieser Sprengkörper in einer Menschenmenge hätte zu tödlichen Folgen bei den Menschen geführt«. Das sagt Jost Schützeberg, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Aachen. Seine Behörde hat im November die beiden Nazis Falko W. und Daniel T. wegen der Vorbereitung eines »Explosionsverbrechens« sowie Sachbeschädigung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angeklagt. Die beiden 20 und 25 Jahre alten Aachener sollen die Sprengsätze aus Silvesterböllern und Glassplittern hergestellt haben. Es besteht der Verdacht, dass die Männer ihre selbstgebastelten Bomben am 1. Mai bei einem Nazi-Aufmarsch in Berlin gegen Polizisten und Gegendemonstranten einsetzen wollten. Aus Angst, in eine Polizeikontrolle zu geraten, sollen die Verdächtigen die Sprengkörper jedoch weggeworfen haben. Anwesende Beamte entdeckten diese.

W. und T. sitzen in Untersuchungshaft. Beide standen der »Kameradschaft Aachener Land« (KAL) nahe, W. gehörte der Gruppe bis Juli an. Dominik Clemens von der »Info- und Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in der Region Aachen« sagt, die KAL habe seit ihrer Gründung im Jahr 2001 viele Anlässe für ein Verbot geliefert. Warum sie auch nach den neuesten Entwicklungen nicht verboten wurde, versteht er nicht.
Wie gefährlich die KAL ist, zeigt ein laufender Prozess: Derzeit müssen sich vor dem Amtsgericht Aachen vier Nazis wegen eines Überfalls auf eine antifaschistische Demonstration im März 2008 verantworten – drei Angeklagte gehören der Führung der KAL an, unter ihnen ist der »Kameradschaftsführer« René L. An einem Prozess­tag wurden die Vorstrafenregister der Männer verlesen, dies dauerte fast eine halbe Stunde.
Schlagzeilen machte unlängst auch der Fall von Daniel K. Er sitzt in Leipzig in Untersuchungshaft, weil er gemeinsam mit einem Bekannten einen Iraker erstochen haben soll. Der gebürtige Leipziger K. war 2001 in die Region Aachen gezogen und hatte über Jahre der KAL angehört. Im Februar 2007 verurteilte das Landgericht Aachen K. und den »Kameradschaftsführer« L. wegen unterlassener Hilfeleistung, weil beide nach einem Saufgelage einen »Kameraden« nicht da­ran gehindert hatten, seine schwangere Freundin zu misshandeln. Mitte 2007 wurde K. wegen Geiselnahme und Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt. Diese saß er in der sächsischen Justizvollzugsanstalt Waldheim ab, nach der Entlassung in diesem Jahr blieb er in Leipzig.

Wegen solcher Verbrechen und des unverhohlenen Bekenntnisses der KAL zum Nationalsozialismus – am 20. April dieses Jahres gratulierten die Nazis auf ihrer Homepage »unserem Führer« zum »121. Geburtstag« – kritisiert Clemens, dass die Gruppe nicht verboten wird. »Möchte es sich die Gesellschaft tatsächlich erlauben, dass unter den Augen der Behörden eine rechtsterroristische Zelle heranwächst?« Doch seit Wochen äußert sich das nordrhein-westfälische Innenministerium immer mit den gleichen Worten. In Deutschland seien derzeit »keine Anhaltspunkte für rechtsterroristische Bestrebungen« zu erkennen.
Das Verhalten anderer Stellen lässt das Gegenteil vermuten. Nachdem W. und T. im September verhaftet worden waren, verbot die Polizei aufgrund der Erkenntnisse die für denselben Monat angesetzten Nazi-Aufmärsche in Dortmund und Aachen, weil sie Sprengstoffanschläge auf Gegendemonstranten oder Polizisten befürchtete. Gerichte hoben die Verbote wieder auf. Aus einem Polizeidokument, das der Jungle World vorliegt, geht zudem hervor, dass am 1. Mai in Berlin nicht nur mit Glassplittern gespickte Böller gefunden wurden, sondern auch weitere selbstgebaute Sprengkörper und Rauchbomben.
Die Funde führten zur Verhaftung von W. und T., doch im September ermittelten die örtliche Polizei und das Landeskriminalamt (LKA) in der Sache noch gegen weitere Verdächtige. Aus dem vorliegenden Dokument geht hervor, dass die Behörden etwa wegen eines weiteren Mitglieds der KAL Nachforschungen anstellten, das aber untergetaucht ist. Die Beamten, die am 1. September die Wohnungen von Nazis in Aachen durchsuchten, fanden Beweise dafür, dass die beiden später Inhaftierten bis Ende August weiter mit Sprengstoff experimentiert hatten. Aus Abhörprotokollen, vorgefundenem pyrotechnischem Material und beschlagnahmter Munition schloss man, dass neue, stärkere Sprengkörper gebaut, getestet und vielleicht sogar an »Kameraden« weitergegeben worden waren.
Aus dem Dokument geht auch hervor, dass W. im August kurz vor seiner Festnahme zwei informelle Treffen mit Beamten des nordrhein-westfälischen Innenministeriums hatte. W., der 2009 zur Bundeswehr gegangen war, um sich zum Einzelkämpfer oder Fallschirmspringer ausbilden zu lassen, aber nach einer Intervention des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) die Armee wieder verlassen musste, sagte dabei demnach, er sei Anführer einer Gruppe, die Wehrsportübungen und Schulungen abhalte. Die überwiegend jungen Mitglieder würden ihm »bedingungslos folgen« und seien auf ihn »eingeschworen«. Er selbst heiße terroristische Aktionen gut.

Diese Gruppe und Mitglieder und Sympathisanten der KAL sollen seit dem Frühjahr Angriffe auf Antifaschisten und das »Autonome Zentrum« (AZ) in Aachen verübt haben. So wurden Besucher des AZ an zwei Nächten Anfang Juni aus W.s Auto heraus mit einer Gaspistole und Stahlkugeln beschossen. Hauswände in der Umgebung von Wohnungen tatsächlicher oder vermeintlicher Nazigegner wurden mit Morddrohungen besprüht. Im Juli wurde die Attrappe einer Paketbombe vor dem AZ abgelegt. Auf die Sprengstoffexperten des LKA wirkte die Attrappe echt, so dass sie sich an die Entschärfung machten. Zudem besaß W. eine Schusswaffe und soll geprahlt haben, Antifaschisten erschießen zu wollen.
Offenbar kann man W. und T. bisher nur die Vorbereitung des »Explosionsverbrechens« in Berlin sowie das Beschmieren von Parteigebäuden und der Mauer des jüdischen Friedhofs in Aachen nachweisen. In dem Prozess sollen nur diese Punkte verhandelt werden. Anna Conrads, die innen- und rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, fordert weitere Schritte. Die KAL müsse verboten werden, denn »Sprengstoff- und Morddelikte sind keine Lappalien«.