Selbstverständlich trug er immer einen korrekt sitzenden Anzug, eine Krawatte, ordentlich frisiertes Haar und eine Aktentasche, der Herr Kaiser. Denn genau dies braucht man, um in Deutschland als seriös zu gelten. Deshalb war der »Herr Kaiser«, die frühere Werbefigur der Hamburg-Mannheimer Versicherung, auch jahrzehntelang das Symbol für Sicherheit und Vertrauen, für braves Spießertum und Zuverlässigkeit schlechthin.
Doch Werbebilder, das ist ihre Aufgabe, trügen. In Wirklichkeit ist ein Versicherungsvertreter gerade keine biedere Bürokratenseele. Im Gegenteil muss er ein echter Draufgänger sein. Denn statt monatlich ein ordentliches Gehalt auf sein korrektes Konto überwiesen zu bekommen, mit ordentlicher Sozialversicherung und korrektem Rentenanspruch, lebt der Versicherungsvertreter ausschließlich von Provisionen, Wettbewerben und Bonifikationen. Gegen ihn ist der kreative Freelancer der digitalen Boheme, der in seinem kuscheligen Coworking Space beim Käffchen auf den nächsten Auftrag wartet, ein wahrer Spießer.
Versicherungsvertreter müssen unter Zeitdruck möglichst viele Verträge mit festgelegten Beitragsvolumina abschließen, um sich so für Wettbewerbe zu qualifizieren, bei denen sie wiederum mit anderen Vertretern konkurrieren. Oder so ähnlich. Jedenfalls: Die DSDS- und GNTM-Gesellschaft, die das Berufsleben längst erreicht hat und Bewerbungsgespräche zu Casting-Shows werden lässt, hat in den Herren Kaiser und Co. ihr Vorbild. Die sogenannte Sex-Orgie in Budapest, bei der 2007 eine Versicherungsfirma für ihre erfolgreichsten 100 Freelancer Schampus und Prostituierte spendierte, war kein Ausrutscher, sondern ist Teil eines Beschäftigungsverhältnisses, bei dem der Ehrgeiz nicht durch einen vernünftigen Lohn geweckt wird, sondern durch ein System aus Konkurrenz, Provisionen und unverbindlichen Belohnungen. Mindestens drei Mal im Jahr lud die Hamburg-Mannheimer ihre eifrigsten Mitarbeiter zu luxuriösen Bonusreisen ein. »Es war dann wie Ballermann mit Tanzen auf Tischen, mit Halleluja auf Tischen und Bänken. Es gab alles, Koks durch die Nasen ziehen, Tänze mit Geldscheinen«, zitiert die Bild-Zeitung einen offenbar schwer beeindruckten Teilnehmer.
Wenn also wieder mal ein »Herr Kaiser« an Ihrer Tür klingelt, mit korrektem Schlips und Anzug und einem Aktenkoffer in der Hand, dann seien Sie solidarisch und machen mit ihm einen Vertrag, um ihn vor einem Leben in öder Spießbürgerlichkeit zu bewahren.
