Nostalgietreffen der Hippies auf der griechischen Insel Kreta

Das war so Ouzo

Im griechischen Matala der Sechziger und Siebziger hatten es sich Hippies aus aller Welt in den Felshöhlen bequem gemacht. Inzwischen ist der Ort fest in Touristenhand. Am Pfingstwochenende aber wollen die ehemaligen Aussteiger dort eine Art Klassentreffen abhalten.

Ein paar weiß getünchte kleine Häuser, die von Fischern und Olivenbauern bewohnt wurden. Ein Kiosk, eine Taverne, kein Strom. Nur ein staubiger Feldweg führte zu dem kleinen Dorf, das dort versteckt an der Südküste Kretas lag. Davor ein weiter Sandstrand und ein Felsen, der sich trotzig wie ein Rhinozeros in das libysche Meer schiebt. Die Westseite der Küste ist durchzogen von Steinhöhlen. »Oh, wie schön ist Matala«, haben sich die Hippies aus aller Welt in den sechziger und siebziger Jahren wohl gedacht, als sie diesen Ort für sich entdeckten. Und gleichzeitig begannen, ihn zu verändern. Matala wurde der Sehnsuchtsort der Blumenkinder, eine Projektionsfläche für ein anderes, freies, einfaches und vermeintlich selbstbestimmtes Leben mit einem antibürgerlichen Norm- und Wertesystem. Matala, ein Dorf wie geschaffen für die Aussteiger in jenen von Vietnamkrieg und Kritik an sinnentleerter Überflussgesellschaft geprägten Jahren.
Manche blieben zwei, drei Monate, andere für immer, und wieder andere nutzten Matala nur als erholsamen Zwischenstopp auf dem langen Weg nach Indien, Nepal oder Afghanistan. Wer blieb, der ließ sich in den Höhlen nieder, die dort einstmals in vorgeschichtlicher Zeit in den Fels gehauen wurden. In christlicher Zeit dienten sie vermutlich als Grabstätten. Später boten sie Flüchtlingen Schutz, und die deutschen Besatzer in Wehrmachtsuniform nutzten sie im Zweiten Weltkrieg als Waffenmagazin. Dort also richteten sich die Aussteiger häuslich ein. Man verscheuchte die gefährlichen Skorpione, und vom Felsboden fegte man den Sand, der ständig vom nahen Strand herwehte. Die Bewohner renovierten ihre Höhlen, die überaus begehrt waren. Sie bemalten die grauen Felswände mit bunten Farben, verhängten die Eingänge mit Tüchern. Innen schafften selbstgebaute Vorrichtungen Ablageflächen für Essen und Kleidung. Und wenn die Bewohner dann irgendwann mal weiterzogen, »vermakelten« sie ihre Heimstätten an den nächsten – gegen eine kleine Provision.
Das griechische Dorf Matala wurde schnell das Epizentrum der globalen und hochmobilen Hippiekultur. Und ein Mythos, ein Phänomen mit Weltruhm dazu. Der deutsche Journalist und Buchautor Arn Strohmeyer kam als einer dieser Suchenden nach Matala. »Ich habe die Faszina­tion und den Zauber dieser Zeit erlebt. Sie sind Teil von mir geworden, der mich nie verlassen wird«, so schreibt er im Vorwort zu seinem Buch »Mythos Matala«. Die Erinnerung an jene Zeit, die Tage, Wochen, Monate, sei »ein Schatz für den Rest des Lebens«. Die Erfahrung eint wohl all jene, die dort gelebt haben. Sie fanden dort einen Ort, der scheinbar keine Statusunterschiede oder sozialen Differenzierungen kannte. »Kumpelhaft« ging es dort zu, wie Strohmeyer das Leben in den mythischen Höhlen beschreibt.
Natürlich wohnt jeder Rückschau immer auch eine romantische Verklärung inne, gerade wenn Langzeitfreaks von damals heute ins Erzählen kommen. Der »Spirit von Matala« war sicher auch geprägt von schlimmen Drogenerfahrungen und der Arroganz gegenüber den griechischen Bewohnern. So wurden den Einheimischen ganz selbstverständlich die Oliven und Früchte von den Feldern geklaut. Die Höhlen-Community war wohl auch nicht ganz so hierarchiefrei strukturiert, wie es oft dargestellt wird. Es war mitunter ziemlich kompliziert, dort zu wohnen. Aber schön. »Die Abende waren unvergesslich. Man traf sich am Lagerfeuer bei Gitarrenmusik, konsumierte Wein und Anderes und fand sich sympathisch. Die Welt war in Ordnung«, so schreibt es der Höhlenbewohner Wolfgang Kistler. Die heute schon historischen Fotos jener Zeit, die dort zu den Texten gestellt wurden, lassen erahnen, wie außergewöhnlich wunderschön Matala einstmals gewesen ist. »Abends tanzten wir unter dem Sternenhimmel am Strand nach griechischer Musik, die aus einem uralten Plattenspieler kam. Wir wussten nicht, was in der Welt passiert war. Aber wir waren gesund, hatten etwas zu essen, Musik, Bücher und Gespräche. Vor allem: Wir hatten einander. So gingen die Tage vorüber, es war wunderbar!«, schreibt ein Zeitzeuge in »Mythos Matala«. Das ist der erste Teil der Geschichte von Matala.
Der zweite könnte so beginnen: »Ich bin vor über dreißig Jahren hier als Hippie-Mädchen gewesen. Ich bin zum ersten Mal seitdem wieder hier. Mein Gott, was haben sie aus diesem Ort gemacht!«, klagt eine Frau in dem Buch. Dass die Hippie-Veteranin es selbst war, die diesen Veränderungsprozess ganz ordentlich in Schwung brachte, blendet sie lieber aus. Heute ist Matala ein gewöhnlicher griechischer Ferienort an der Südküste Kretas. Profitabel in Beton gegossen, mit Hotels, Vergnügungsstätten, Fast- Food-Buden, Karaoke-Bars und Sonnenschirm-Verleih am prall gefüllten Strand. Dazwischen wuseln die sogenannten Einheimischen umher, Griechen, die einen langen, heißen Sommer als Tourismus-Maschinen funktionieren. Staunende Touristen stehen schwitzend und mit großen Augen fast ungläubig vor den Höhlen. Sie hören die Geschichten von einst, die jetzt von den gebuchten Fremdenführern zum Besten gegeben werden. Was es schon lange nicht mehr gibt, wird nun wenigstens als Illusion verkauft.
Als Strohmeyer im vergangenen Jahr in einer Buchhandlung in Matala sein Buch vorstellte, entstand die Idee, noch einmal die Höhlen-Community zu versammeln. Eine Art kleines Retro-Klassentreffen »im kleinen Kreis« also. Stroh­meyer wusste damals selbst nicht, was er damit in Gang setzte. Heute fürchtet er sich fast davor. In Matala wird über Pfingsten das »Mythos-Matala«-Fest der Ehemaligen gefeiert. Es kommen die Hippies aus Nah und Fern, um noch einmal, vielleicht das letzte Mal überhaupt, gemeinsam zu feiern und kräftig in den Erinnerungen zu schwelgen. Menschen, weit über sechzig Jahre alt und mit überwiegend bürger­lichen Lebensentwürfen im Gepäck. Es wird Live-Musik geben, ein gemeinsames Essen an den langen Tischen auf dem Dorfplatz, der Platia, ist organisiert. Zu all dem hat die Bürgermeisterin der Gemeinde eingeladen, Maria ­Petrakogiori. Und weil es Matala wie überhaupt Griechenland in diesen Tagen so fürchterlich schlecht geht, wurde für das Treffen gleich ein »Event-Manager« eingestellt. Das Veteranen-Festival wird global vermarktet, und irgendwie passt das auch besser zu dem Ort. Man redet in Matala von einer »Initialzündung« für den Tourismus, von einer »Aufbruchstimmung«, die diesen Ort ein zweites Mal erfasst hat. Dafür haben mal wieder die Hippies gesorgt.