Prämierter Antisemitismus. Streit über die Vergabe des Aachener Friedenspreises

Sokrates an der Klagemauer

Demnächst wird der Aachener Friedenspreis verliehen. Doch der zuständige Verein macht zurzeit vor allem mit einem Antisemitismusstreit auf sich aufmerksam.

Am 1. September soll der Aachener Friedenspreis verliehen werden. Aber im gleichnamigen Verein, der die Auszeichnung, eine der renommiertesten der deutschen Friedensbewegung, vergibt, geht es nicht sehr friedlich zu. Zwei Preisträger, insbesondere die lokale Posse um einen von ihnen, haben einen Streit um Antisemitismus ausgelöst. In den vergangenen zwei Wochen haben zwei Mitglieder des Vorstandes deshalb ihre Ämter niedergelegt. Die Aachener Bürgermeisterin und Grünen-Politikerin Hilde Scheidt ist seit Montag vo­riger Woche nicht länger im Vorstand des Vereins. Sie kritisierte, dass dieser sich nicht ausreichend von den beiden Preisträgern distanziert habe. Kurz zuvor hatte Matthias Fischer, Mitglied der Partei »Die Linke«, auf einer Vorstandssitzung aus demselben Grund sein Amt niedergelegt.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen Bernhard Nolz, Preisträger von 2002, und Walter Herrmann, im Jahr 1998 ausgezeichnet. Um für die Ausstellung »Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948« zu werben, hatte sich Nolz, ein bekannter Friedensaktivist und ehemaliger Lehrer, einer Karikatur bedient. Sie zeigte eine Krake, die am Kopf eine israelische Flagge mit einem Hakenkreuz statt des Davidsterns trägt und ein Schiff der Gaza-Flottille attackiert. Herrmann, Initiator der sogenannten Kölner Klagemauer, hatte in seiner auch als »Palästina-Wand« bekannten Freiluftausstellung vor dem Kölner Dom Anfang 2010 eine Karikatur präsentiert, in der ein mit einem Davidstern gekennzeichneter Mann ein palästinensisches Kind mit Messer und Gabel verspeist und ein Glas Blut dazu trinkt.
Die Vereinsmitglieder streiten sich vor allem wegen Herrmann. Der Kölner hatte den Friedenspreis 1998 erhalten, nachdem die Behörden und die Kirche wegen der »Klagemauer« vor dem Dom gegen ihn vorgegangen waren. 1989 hatte Herrmann mit seiner Dauerdemonstration begonnen, die sich zunächst gegen das Elend von Obdachlosen richtete. 1991 wurde aus ihr die »Klagemauer für den Frieden«. Angesichts des Vorgehens von Stadtverwaltung und Kirche, die versuchten, den »Schandfleck« auf der Domplatte mit Gerichtsverfahren, Beschlagnahmungen und Räumungen zu beseitigen, erhielt Herrmann aus Solidarität den Aachener Friedenspreis.
Von 2004 an wurde die »Klagemauer« zu einer antiisraelischen Schau, wie Hans-Peter Killguss von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsex­tremismus der Stadt Köln bestätigt. Es seien »immer wieder höchst problematische antizionistische Texte« ausgestellt worden, die »antisemitischen Vorstellungen den Boden bereitet« hätten. Killguss weist auch auf weitere Bilder hin, »die an der Grenze des Antisemitismus sind«.

2007 zitierte die Taz einstige Weggefährten, die in Herrmann nur noch einen »querulantischen Plagegeist« und »Eiferer« im »Größenwahn« sahen. Nun sorgt der rüstige alte Herr und notorische Israel-Hasser für Streit im Verein des Friedenspreises, in dem Flügelkämpfe in jüngster Vergangenheit als überwunden galten. Seit 1988 ehrt der Verein einmal im Jahr Menschen und Initiativen, die »von unten her« dazu beitragen, »der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen«. Preisträger waren etwa der peruanische Priester Marco Arana im Jahr 2010, der sich gegen die unmenschlichen Zustände beim Goldabbau engagiert, oder das »Friedensdorf« San José de Apartadó im Jahr 2007, dessen Einwohner sich friedlich gegen die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Kolumbien wehren. Auch Menschenrechtlerinnen aus der Türkei wie Eren Keskin und Leyla Zana wurden geehrt. Viele Preisträger sind Angriffen von Nationalisten, Kriegsparteien oder Milizen ausgesetzt, manche müssen den Tod fürchten.
Auch Menschen, die sich gegen den Nahost-Konflikt engagieren, wurden geehrt, 1997 etwa der israelische Friedensaktivist Uri Avnery. 2003 wurde der Holocaust-Überlebende und ehemalige israelische Soldat Reuven Moskovitz gemeinsam mit der Palästinenserin Nabila Espanioly ausgezeichnet. 2008 ehrte der Verein den palästinensischen Pfarrer Mitri Raheb und die israelische Menschenrechtsinitiative Machsom Watch. Kritiker des israelischen Staates waren immer wieder unter den Preisträgern. Roni Hammermann beispielsweise, die 2008 für Machsom Watch den Preis in Aachen in Empfang nahm, kritisiert scharf die israelische Besatzungs- und Militärpolitik.
Doch auch Hammermann bezeichnet Herrmanns Treiben als »Demonstration von rohem Antisemitismus«. Ende 2010 verabschiedeten der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD), die Ratsfraktionen – mit Ausnahme der Linkspartei – sowie religiöse Gemeinden eine Resolution gegen die »Klagemauer«. Darin wurde die »extreme Einseitigkeit gegen Israel« verurteilt. Herrmanns Ausstellung vermittele »keine Botschaften des Friedens, sondern des Hasses«. Offenkundig werteten Vereinsmitglieder des Friedenspreises das als ungerechtfertigten Angriff auf ihren Preisträger, deshalb publizierten sie Anfang 2011 eine Solidaritätserklärung. Die »Klagemauer«, so schrieben der Vereinsvorsitzende Karl Heinz Otten und seine Stellvertreterin Vera Thomas-Ohst, sei »ein Angebot zur politischen Bewusstseinsbildung« und eine »Plattform des Diskurses im öffentlichen Raum«. Die beiden verglichen Herrmann sogar mit Sokrates.
Der Streit in Köln spitzte sich wegen der Pläne zur Erweiterung des linken Bürgerzentrums Alte Feuerwache (BAF) zu, dessen Räumlichkeiten Herrmann zur nächtlichen Lagerung seiner »Klagemauer« nutzte. Das BAF soll zu einer »Kulturbotschaft« umgebaut werden, in der Künstler aus aller Welt leben, arbeiten und ausstellen können. Herrmann bezeichnete das Vorhaben als »elitäres Prestigeobjekt für Vorzeigekünstler«. Das BAF kündigte ihm angesichts des heftigen Streites die Räumlichkeiten und erteilte ihm im Juni sogar Hausverbot.

Anlässlich dieser Auseinandersetzung veröffentlichten Otten, Thomas-Ohst und Gerhard Diefenbach, ein ehemaliger Vorsitzender des Friedenspreis-Vereins, eine weitere Solidaritätsnote. Die »Kampagne« gegen Herrmann habe »mit dem Versuch, ihn aus der Alten Feuerwache in Köln zu vertreiben«, eine »neue Eskalationsstufe« erreicht, hieß es darin. Bürgermeister Roters müsse »Schutz für einen Künstler und ein weltweit bekanntes Kunstobjekt« gewähren. Die Erklärung wurde in Köln kaum beachtet, in Aachen traten die Vorstandsmitglieder Scheidt und Fischer ihretwegen zurück, auch weil der Verein mit der nach Scheidts Ansicht »unglaublich formulierten Erklärung« sich ohne Not weiter in die Nähe von Herrmanns antisemitischen und antiisraelischen Positionen begebe.
Am 1. September sollen der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin und die Tübinger Informationsstelle Militarisierung geehrt werden. Der Aachener Friedenspreis, sagt Otten, habe weiterhin »ein wunderbares Renommee nach außen«. Nur »nach innen« herrsche »Krieg«.