Menschenwürdige Arbeit ist Heuchelei

Arbeit für die Nation

Der Begriff der »menschenwürdigen Arbeit« entlarvt sich schnell als Ideologie und spätsozialdemokratische Heuchelei.

Im Dezember vorigen Jahres veröffentlichte die IG Metall ein exquisites Papier: »Perspektiven der deutschen militärischen Schiffbaukapazitäten im europäischen Kontext«. Es ist ein lupenreines Plädoyer für den deutschen Sozialimperialismus, so dreist und offenherzig die Identität proletarischer Interessen mit dem Wohl der Nation propagierend, dass es fast schon billig ist, daraus zu zitieren. »Bundeswehraufträge tragen zum Erhalt der international herausgehobenen wehrtechnischen Kernfähigkeiten auf dem Gebiet des Marineschiffbaus und der Marinetechnik bei. (…) Der Erhalt der wehrtechnischen Kernfähigkeit im Marineschiffbau ist für die IG Metall von nationaler Bedeutung«, heißt es da. »Hochqua­lifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte sind das größte Kapital und die beste Investition in die Zukunft im Bereich der militärischen Schiffswerften.« Und schließlich: »Unternehmen, Betriebsräte und Gewerkschaften müssen gemeinsam die Entwicklung neuer Produkte für neue Märkte beschleunigen.«
Schon klar: Mit »neuen Produkten« ist Kriegsgerät gemeint. Und weshalb jemand auf den »neuen Märkten« agiert, um Waffen und die dazugehörige Technologie zu erwerben, kann sich ­jeder leicht ausmalen. Unter den Autoren dieses Papiers findet sich Kai Burmeister, kein ultrarechter Sozialdemokrat, sondern ein Gewerkschaftslinker, der auch schon dem Magazin Prager Frühling Rede und Antwort stand, welches der »Emanzipatorischen Linken« in der Linkspartei nahesteht.

Wenn die im DGB vereinigten Gewerkschaften dazu aufrufen, am 7. Oktober den »Welttag für menschenwürdige Arbeit« auch in Deutschland zu begehen, sollte man sich nicht allzu lange damit aufhalten, wieder über die zu laschen Gewerkschaften zu schimpfen, die sich an zwei, drei Gedenktagen im Jahr zu großen Gesten aufraffen. So ein IG-Metall-Papier macht schlagartig klar, worum es sich bei ihnen tatsächlich handelt: um de facto halbstaatliche Agenturen zur sozialen Integration von Arbeitern und Angestellten. Diese Integrationsleistung schließt ein, noch im Imperialismus – nein: gerade im Imperialismus der Nation einen Beitrag zum sozialen Frieden zu sehen. Der Widerspruch, dass sozialpartnerschaftlich hergestelltes Kriegsgerät irgendwo auf der Welt – und wer weiß, vielleicht auch mal an der Heimatfront – dazu dient, Arbeiterinteressen auszulöschen, stellt sich für den handelsüblichen IG-Metall-Vordenker gar nicht.
Allein schon die »Perspektiven der deutschen militärischen Schiffbaukapazitäten« entlarven den Anspruch eines »Welttags für menschenwürdige Arbeit« als Ideologie und spätsozialdemokratische Heuchelei. Denn »menschenwürdige Arbeit« setzt ja offensichtlich auch eine prosperierende Militärindustrie voraus. Die »weltweite Solidarität«, die der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) propagiert, ist die etwas schrille sozialromantische Begleitmusik für die als Wahrer ihrer jeweiligen nationalen Interessen durchaus einander feindlich gegenüberstehenden Gewerkschaften.

Dementsprechend ist auch nicht klar, was »menschenwürdige Arbeit« überhaupt sein soll. Auf den Kampagnenseiten im Netz ist viel von informeller und prekärer Arbeit die Rede, die weltweit rasant zunehme. Auch wird auf die enorm wachsende Jugendarbeitslosigkeit hingewiesen. Aber zum naheliegenden Schluss will sich der IGB nicht durchringen: dass nur eine konsequente Arbeitszeitverkürzung – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich – dazu führen würde, die Arbeit angemessener zu verteilen. Die Aktionen am »Welttag« setzen gar nicht am Begriff der Arbeit an, sondern sind »politisch«, soll heißen: Die Forderungen richten sich an den jeweiligen Staat, er soll für soziale Mindeststandards sorgen. Die Gewerkschaften werden »von ihren Regierungen und Parlamenten neue Initiativen für mehr und bessere Arbeit fordern«, kündigt Verdi an und stellt sich damit nebenbei selbst ein Armutszeugnis aus: Denn wo der Staat sozialregulierend eingreifen soll, sind die Gewerkschaften unfreiwillig-freiwillig zu schwach, diese Forderungen auf eigene, kämpferische Initiative hin durchzufechten.
Der Begriff der »menschenwürdigen Arbeit«, wie ihn der IGB propagiert, trägt seine Aufhebung in sich: »Menschenwürdige Arbeit« legt nahe, dass arbeiten menschenwürdig sei – schließlich: Überhaupt eine Arbeit zu haben, sei menschenwürdig. »Die Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen für die Beschäftigten im europäischen Schiffbau hat für die IG Metall oberste Priorität«, heißt es im zitierten IG-Metall-Papier. Man sollte es am 7. Oktober vielleicht mit folgender Parole versuchen: Deutsche Waffen, deutsches Geld stiften sozialen Frieden in aller Welt.