Die Parteitage von FDP und CDU

Hört die Signale

Beinahe zur gleichen Zeit fanden die Parteitage von FDP und CDU statt. Beide Regierungsparteien wollten klare Botschaften an ihre verunsicherte Wählerschaft senden.

Niemand wurde gewählt, ein Putsch gegen den Parteivorsitzenden Philipp Rösler war nicht zu erwarten. Die durchaus brisante Mitgliederbefragung zur Politik der Partei in der Euro-Krise wird erst am 17. Dezember ausgewertet – der außerordentliche Parteitag der FDP in Frankfurt diente in erster Linie propagandistischen Zwecken. Den anhaltend schlechten Umfragewerten sollte entgegengewirkt, Kampfbereitschaft sollte demonstriert werden. Gelungen ist das kaum.
Röslers Ansprache blieb blass, eine Debatte über das Grundsatzprogramm, an dem unter Generalsekretär Christian Lindner gearbeitet wird, stand gar nicht erst auf der Tagesordnung. Eine klare Linie vertrat der Parteitag allenfalls bei Projekten mittlerer Reichweite: Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen, Vorschläge für eine »gesteuerte Zuwanderung« in den hiesigen Arbeitsmarkt.

Damit bestätigte die Partei einmal mehr, dass sie in einer Zwickmühle steckt. In den letzten Jahren von Rot-Grün und der großen Koalition ist sie als populistische Mini-Volkspartei stark geworden – Guido Westerwelle vermochte es, den Klientelismus und die radikale Mittelstandspolitik als beinahe universellen Traum vom Glück auszugeben. Steuerentlastungen und individuelle Leistungsanreize befeuerten die Wohlstandsphan­tasien nicht nur einheimischer Unternehmer, sondern auch zahlreicher Kleinbürger: Wirtschafts­­individualismus für alle. Dieser Populismus ist jedoch einer Regierungspartei, die eine Dauerkrise verwalten muss und zudem den Anspruch hat, in Europa die deutsche Hegemonie durchzusetzen, nicht angemessen. Mit Verkleinbürgerung hat Westerwelle (und früher auch Jürgen Möllemann) nach 1998 die Partei mühsam zurück an die Macht geführt, doch das erweist sich nun als Pyrrhussieg. Konzentriert sich die FDP auf ihre Klientel, verzettelt sie sich in Vorhaben, die angesichts der Euro-Krise borniert wirken. Will sie sich gegenüber der CDU profilieren, muss sie sich als eine Art Oppositionspartei gerieren – was mit ihrer Regierungsverantwortung unvereinbar ist.
Das Dilemma der Partei spiegelt das des Kleinbürgers wider: Dieser ist zwar kein Opfer der Verhältnisse, aber er sieht sich als solches, denn er kann auch kein großer Gewinner sein. Er bewegt sich zwischen den Klassen, getrieben von der Angst, dass ihn die nächste Krise endgültig ins ökonomische Abseits katapultiert. Dementsprechend weiß die FDP nicht, ob sie ihre Wähler als potentielle Opfer ansprechen soll, denen man etwa eine »harte Währung«, einen Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone anbieten müsste, oder als gesamteuropäische Elite. Das altbundesrepublikanische »kleine« Klassenbündnis zwischen mittelständischen Unternehmern und ­liberalen Intellektuellen, das der FDP einige Jahrzehnte stabile Wahlergebnisse zwischen fünf und acht Prozent bescherte, existiert nicht mehr. Exemplarisch dafür sind das Ausbleiben einer Grundsatzdebatte auf dem Parteitag und die Tatsache, dass von der jungen, sich betont urban gebenden Generation um Rösler, Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr keinerlei Ideen für die Zukunft ausgehen. Stattdessen ist innerhalb eines halben Jahres der vielleicht aggressivste Mittelstandsapologet der FDP zum wichtigsten Machtpolitiker der Partei aufgestiegen: Rainer Brüderle. Die Zeit stellte kürzlich fest: »Brüderle betreibt nach Westerwelles permanenter Po­litikinszenierung eine Fortsetzung des Unernsten mit anderen Mitteln.« Sie erkannte »bei der Brüderle-FDP vorauseilende Regression« und charakterisierte Brüderle »als Handschüttelapparat und Scherzmaschine«, hinter der sich »eine ungewöhnliche politische Härte« verberge.
Eine Idee, die auf dem Sonderparteitag präsentiert wurde, klang tatsächlich nach etwas Umfassenderem: das »Bürgergeld«, mit dem Rösler auf den überraschend von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewünschten Mindestlohn reagieren will. Das »Bürgergeld« darf natürlich nicht »bedingungsloses Grundeinkommen« heißen (obwohl es das de facto ist) und würde die Hartz-IV-Leistungen ersetzen. Es wäre steuerfinanziert, ­finanzierte sich also über die Belastung der Einkommen derer, denen das Bürgergeld als Ergänzung zu ihren sinkenden Löhnen zugutekommen soll. Eine Mogelpackung, die derzeit selbst der CDU zu billig wäre.
Fast gleichzeitig mit dem Sonderparteitag der FDP tagte die CDU in Leipzig. Äußerlich betrachtet, ähnelt ihre Situation der des Koalitionspartners. Vor dem Parteitag wurde eine »Profilanämie« (Wirtschaftswoche) diagnostiziert, erwartet wurde ein »Aufmarsch der Frustrierten« (Spiegel Online), man rechnete mit einem aussichtslosen Kampf gegen den »Euro-Frust« (Deutsche Welle). Merkel musste sich im Interview mit der ARD fragen lassen, was aus dem »konservativen Kompass« geworden sei. Die CDU wurde als Partei beschrieben, deren Personal nach einer Reihe von Wahlniederlagen ausgelaugt ist, deren Programm keine Konturen mehr aufweist, die nach Ansicht der Traditionskonservativen zu viele Zugeständnisse an die Linke macht (Atomausstieg, Bundeswehrreform) und wegen des Euro-Rettungsschirms zu unpopulären Maßnahmen gezwungen ist.

Dennoch agiert die CDU immer noch aus einer Position der Stärke heraus. Was bei der FDP strategisch wohl unvereinbar ist, kann die CDU in der Person ihrer Vorsitzenden Merkel zusammenhalten: Merkel muss keine Klientelpolitik betreiben, sie repräsentiert eine postkonservative Volkspartei, die allein noch für die Wahrung des Allgemeinwohls zuständig ist. Der von Merkel gedeckte Vorstoß Ursula von der Leyens für einen Mindestlohn wird in der Öffentlichkeit nicht als weitere Aufweichung ehedem eherner Parteigrundsätze verstanden, sondern als politisch richtiger, strategisch kluger Schachzug. Dabei war der Mindestlohnbeschluss bereits vor dem Parteitag durch einen von oben angeordneten Kompromiss der Parteiflügel zur Floskel geworden: »Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt und soll sich an den für allgemein verbindlich erklärten tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen orientieren.« Von »flächendeckend« und »einheitlich« ist nicht mehr die Rede. Davon abgesehen ist das, was der Kompromiss als Leitlinie für die Zukunft verkündet, bereits in vielen Branchen üblich. Ein Mittel gegen Lohnverfall und prekäre Arbeitsverhältnisse ist das natürlich nicht. Aber für Merkel zählt das Signal: Die CDU nimmt sich sozialer Probleme an und löst sie durch einen gerechten Kompromiss. Wenn etwas bei der CDU unausgegoren wirkt, liegt es daran, dass sie ihre Rolle als Staatspartei neu justiert. Die Durchsetzung oder besser die Bekräftigung einer deutschen Hegemonie in Europa wird von Merkel pragmatisch kühl verfolgt und bedarf einer ruhigen innenpolitischen Lage – sozialdemokratische Programmpunkte zu übernehmen, wie die Forderung nach einer Lohnuntergrenze, kann da nicht schaden. Dementsprechend dürfen die Signale, die vom Leipziger Parteitag ausgehen sollen, nicht aufputschend wirken – Merkel hat sich vor dem Parteitag klar gegen eine populistische Politik ausgesprochen, was auch an die Adresse der FDP gerichtet gewesen sein dürfte. Ihre Stärke bezieht sie vor allem daraus, dass ihr niemand mehr zu widersprechen wagt. »Merkel beherrscht die CDU, wie das selbst Helmut Kohl nur in der Zeit nach dem Mauerfall erreicht hat«, kommentierte die Süddeutsche. Die CDU profiliert sich in Leipzig weiter als Partei der nationalen Einheit. Auf Dauer dürfte das für frustrierte Kleinbürger im Vergleich zur FDP die bessere Alternative sein.