Modelle alternativer Ökonomie in Spanien

Gut organisiert zuhause bleiben

In Spanien diskutieren Gewerkschafter und Mitglieder selbstverwalteter Betriebe über Modelle alternativer Ökonomie.

Die Spanier kommen. Um fast 50 Prozent stieg einer Ende Dezember veröffentlichten Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zufolge die Zahl der spanischen Arbeitsmigranten im ersten Halbjahr 2011. Noch höher ist der Zuwachs bei den Griechen. Vor allem junge Menschen wollen so der politischen und ökonomischen Misere entfliehen. Ihre Zahl dürfte weiter steigen, denn die im November gewählte konservative Regierung gab in der letzten Dezemberwoche bekannt, dass Spanien sein Defizitziel von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts für 2011 verpasst habe und stattdessen ein Haushaltsloch von mindestens acht Prozent aufweise. Sie nahm dies zum Anlass, für das neue Jahr weitere drastische Sparmaßnahmen und Einschnitte bei den Sozialausgaben anzukündigen, obwohl die Aussichten in Spanien bei einer Arbeitslosenquote von 23 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 45,8 Prozent bereits schlecht sind.
Meist herrscht Ratlosigkeit darüber, wie sich die Zukunft gestalten lassen könnte. Auswandern, zumal nach Deutschland, kommt aber für viele Menschen nicht in Frage. Sei es, weil sie nicht ins Raster des in Deutschland begehrten Facharbeiters passen, sei es, weil sie sich schlicht angenehmere Aufenthaltsorte vorstellen können. In der Debatte über Strategien der Krisenbewältigung wird derzeit unter anderem über das Potential einer selbstverwalteten Ökonomie diskutiert. Diese Idee ist nicht neu. Zuletzt wurde sie nach dem argentinischen Staatsbankrott 2001 in größerem Umfang angewandt, als Fabriken besetzt und in Selbstverwaltung übernommen wurden. In Spanien blieb es in den Betrieben trotz der ernsten Lage bislang auffallend ruhig, während es im öffentlichen Raum seit Mai 2011 zahlreiche Proteste und Platzbesetzungen gab.

Vor diesem Hintergrund lud die syndikalistische Gewerkschaft CNT im Dezember Kollektive und Netzwerke aus verschiedenen Branchen zu einer Konferenz über alternative Ökonomie in ihr Gewerkschaftshaus nach Villaverde, einem Vorort von Madrid. Beteiligt war auch das Institut für Wirtschaftswissenschaften und Selbstverwaltung (ICEA), das es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch wissenschaftliche Analysen Arbeitskämpfe und den Aufbau von Kollektiven zu unterstützen. An dem Institut arbeiten Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Juristen interdisziplinär zusammen und stellen Menschen in konkreten Situationen das notwendige Know-how zur Verfügung.
Auf der Konferenz verwies der Madrider Anwalt José Luis Carretero von der ICEA darauf, dass den selbstverwalteten Betrieben im Kapitalismus meist eine äußerst ambivalente Rolle zukomme. Gerade das Beispiel Argentiniens zeige deutlich, wie sich Lohnabhängige in einer Situation des wirtschaftlichen Kollapses immer wieder dieser Strategie bedienten und damit kurzfristig auch Erfolge erzielen könnten. Langfristig etablierten sich aber in vielen Betrieben wieder die alten Arbeitsverhältnisse. So gebe es derzeit nur noch in 56 Prozent der selbstverwalteten Betriebe in Argentinien Einheitslöhne und nur in 68 Prozent einheitliche Arbeitszeiten.
Eine ähnliche Entwicklung gab es in Deutschland in den achtziger Jahren, als viele selbstverwaltete Betriebe gegründet wurden, von denen die meisten innerhalb kurzer Zeit zu normalen Kleinbetrieben im kapitalistischen Alltag wurden. Damit halfen sie, das Wirtschaftssystem zu modernisieren, anstatt es, wie ursprünglich beabsichtigt, praktisch in Frage zu stellen. Es wurde deutlich, dass Autonomie und hohe Identifikation mit dem eigenen Betrieb für die kapitalistische Ökonomie von großem Nutzen sind.
Carretero schließt aus solchen Beobachtungen, dass Alternativbetriebe langfristig nur dann einer antikapitalistischen Bewegung nutzen können, wenn sie sich nicht auf sich selbst zurückziehen, sondern sich aktiv in die sozialen Kämpfe innerhalb der Gesellschaft einbringen und mit diesen verknüpft sind. Sollen die selbstverwalteten Betriebe nicht nur das eigene Überleben sichern, sondern auch eine gesellschaftliche Weiterentwicklung bewirken, müsse außerdem Wert auf ein »nachhaltiges Wachstum« gelegt werden. Auch eine selbstverwaltete Ökonomie müsse in der Lage sein, die komplexen Anforderungen der heutigen Gesellschaften zu erfüllen. Es gehe deshalb nicht um die Frage, ob auf Wachstum verzichtet werden müsse, sondern welche Art des Wachstums nötig sei.

Polarisierend wirkt in diesen Debatten nicht nur in Spanien das Beispiel eines baskischen Unternehmens, das einigen als Vorbild für betriebliche Demokratie und soziale Gerechtigkeit gilt: die Mondragón Corporación Cooperativa (Mondragón CC). Zu ihr gehören mehr als 100 genossenschaftlich organisierte Betriebe. Sie ist das siebtgrößte Unternehmen Spaniens und die größte Genossenschaft der Welt, inklusive eigener Versicherung, Bank und Universität. Über Mondragón CC, wo die Genossen an den Firmenentscheidungen und am Gewinn beteiligt werden, berichtete 2007 das SPD-Parteiorgan Vorwärts geradezu euphorisch. Begeistert war das Blatt unter anderem davon, dass, nachdem die Fertigung von Kühlschränken durch das Mitgliedsunternehmen ­Fagor Mastercook unrentabel geworden war und nach Polen ausgelagert werden musste, die betroffenen Genossenschaftsmitglieder in anderen Unternehmensteilen beschäftigt und nicht entlassen worden seien.
Weniger Glück hatten allerdings die Beschäftigten, die nun die Kühlschränke in Polen herstellen mussten, denn die Arbeiterinnen und Arbeiter außerhalb des Baskenlandes sind keine Genossenschaftsmitglieder. Als sie 2008 in Wroclaw für höhere Löhne stritten und einen Warnstreik organisierten, reagierte die Betriebsleitung mit Repression. Gewerkschaftsmitglieder wurden entlassen und die verbliebenen Arbeiter und Arbeiterinnen durch einen angeworbenen Sicherheitsdienst eingeschüchtert. Wegen dieser und ähnlicher Vorkommnisse wird Mondragón CC vorgeworfen, sein »Arbeiterparadies« im Baskenland auf Kosten der Lohnabhängigen an den ausländischen Standorten zu verwirklichen.
Auf der CNT-Konferenz wurde Mondragón CC deshalb immer wieder als ein Beispiel dafür genannt, wie man es nicht machen sollte. Die 17 teilnehmenden Projekte, die nicht annähernd die Größe von Mondragón CC erreichen, haben sich allesamt einem revolutionären Ansatz verschrieben. Unter anderem präsentierte sich dort Can Masdeu, ein Haus- und Gartenprojekt und soziales Zentrum. Es war nur ein Beispiel für viele solcher landwirtschaftlich orientierten Projekte, die derzeit in Spanien existieren. In einem Land, in dem in den vergangenen 60 Jahren ganze Landstriche nahezu entvölkert wurden, weil die Menschen in die Städte zogen, scheint der Gedanke, nun in der Krise die Stadt zugunsten des Landlebens hinter sich zu lassen, eine gewisse Attraktivität zu besitzen. In eine etwas andere Richtung geht goteo.org, ein Crowdfunding-Onlineportal, das sozialen Initiativen Geld einbringen soll, indem diese sich dort präsentieren und Kleinspenden der registrierten Nutzerinnen und Nutzer empfangen können. Ziel des Portals ist es, den teilnehmenden Initiativen Unabhängigkeit von staatlicher oder privatwirtschaftlicher Finanzierung zu verschaffen. Unterstützt werden Projekte, die nachhaltig, sozial und nicht gewinnorientiert arbeiten.
Auch wenn eine alternative Ökonomie momentan für die meisten Spanierinnen und Spanier noch keine wirkliche Option darstellt, gibt es in Spanien schon ein vielseitigeres Spektrum an selbstverwalteten Betrieben, Projekten und entsprechenden Netzwerken als hierzulande. Sollte eine Situation eintreten, die mit der in Argentinien nach 2001 vergleichbar ist, könnten sie eine Perspektive auf eine andere Wirtschaftsordnung eröffnen.