Die Novellierung des Polizeirechts in Hamburg

Hamburg lässt horchen

Der amtierende SPD-Senat in Hamburg plant eine Novellierung des Polizeirechts, mit der Grundrechte weiter eingeschränkt und polizeiliche Überwachungsmaßnahmen ausgeweitet werden sollen.

Bereits im Jahr 2005 verabschiedete die damals in Hamburg regierende CDU das nach eigener Darstellung »modernste Polizeigesetz Deutschlands«. Kritiker hingegen bezeichneten dies seinerzeit als eines der schärfsten Polizeigesetze in der Bundesrepublik. Allerdings machten zuletzt höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das vergleichbare Regelungen in verschiedenen anderen Landespolizeigesetzen als verfassungswidrig eingestuft hatte, eine Neufassung des Hamburger Polizeigesetzes notwendig. Das Gericht hatte etwa die Maßnahmen zur präventiven Telekommunikationsüberwachung in Niedersachsen und den Einsatz von Kennzeichenlesegeräten in Schleswig-Holstein für rechtswidrig erklärt. Außerdem zwangen euro­parechtliche Vorgaben zur polizeilichen Datenverarbeitung die Hamburger Innenbehörde zum Handeln.

Sollten die nun vom SPD-Senat geplanten Gesetzesänderungen verabschiedet werden, wird nicht die vom Verfassungsgericht intendierte Stärkung von Grundrechten, sondern deren weitere Demontage das Ergebnis sein. In einer Expertenanhörung des Innenausschusses der Bürgerschaft bemängelte Anfang Februar ein Experte für öffent­liches Recht, Hartmut Aden, dass die Polizei dem Gesetzesentwurf zufolge selbst dann zu Eingriffen befugt wäre, wenn es noch nicht einmal einen Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung gibt. Der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht lehrende Professor erkennt darin eine »bedenkliche Tendenz«: Man wolle offenbar die vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den Grundrechtsschutz aufgezeigten äußeren Grenzen des gerade noch Zulässigen so weit wie möglich ausschöpfen. Aden zufolge habe der Gesetzgeber stattdessen die Pflicht, die polizeilichen Eingriffsbefugnisse gemäß des Gebots der Verhältnismäßigkeit zu gestalten und sich dabei an den Grundrechten zu orientieren.
Solche Bedenken dürften folgenlos bleiben, denn mit dem Gesetzesentwurf verfolgt die allein regierende SPD zweifellos das Ziel, polizeiliche Datenerhebung und Überwachungsmaßnahmen einer wirksamen grundrechtlichen Kontrolle zu entziehen. Indem Maßnahmen wie Observation, Telefon- und Online-Überwachung aus dem Bereich der Strafverfolgung – wo die Instrumente der Strafprozessordnung zur Anwendung kommen – in den des Polizeirechts verlagert werden, werden diese weitestgehend der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit entzogen. Dabei handelt es sich um klassische Methoden eines »Präven­tionsstaats«, in dem polizeiliches Handeln nicht an Gefahrenabwehr und Strafverfolgung orientiert ist. Stattdessen wird durch die Aufweichung der Voraussetzungen für verdachtsunabhängige und verdeckte Überwachung einer umfassenden polizeilichen Ausforschung der Weg geebnet, muss dafür doch keine Straftat und kein Verdacht mehr vorliegen.

Zwar wird die Gefahr, die von »Straftaten von erheblicher Bedeutung« ausgehe, als Voraussetzung für solche präventiven Überwachungsmaßnahmen durch die Polizei benannt, doch diese Norm ist derart ungenau, dass etwa auch Sprayer mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden könnten. Denn durch entsprechende Gesetzesklauseln wäre es in Hamburg künftig möglich, einzelne Personen mit Hilfe von Observationen, Telefonüberwachung und Lauschangriffen zu verfolgen, wenn nur der vage Verdacht eines gemeinschaftlich begangenen Vergehens wie Sachbeschädigung vorliegt. Sogar ausdrücklich Unbeteiligte müssen sich künftig mit polizeilicher Überwachung abfinden, können doch bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen nicht nur die einzelnen »für eine Gefahr Verantwortlichen« durch Videoüberwachung polizeilich erfasst werden, sondern alle Teilnehmenden pauschal abgefilmt werden. Voraussetzung dafür ist, dass seitens der Polizei wiederholt Straftaten der »Straßenkriminalität« ausgemacht oder auch nur behauptet wurden, mit denen man auch zukünftig rechnen müsse. Damit könnte in Hamburg jedes Straßenfest und jede Sportveranstaltung unter dem Vorwand der Bekämpfung von Taschendiebstählen zur polizeilichen Videoüberwachungszone mit Totalerfassung aller Besucher werden.
In »Gefahrengebieten«, in denen die Polizei zurzeit schon Menschen ohne konkreten Verdacht anhalten, kontrollieren und befragen darf, können Personen zukünftig auch einer Leibesvisitation unterzogen werden. Außerdem soll der Einsatz von verdeckten Ermittlern möglich sein, wenn die Polizei annimmt, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung verhütet werden können. Die Innenexpertin der Grünen in der Bürgerschaft, Antje Möller, kritisiert daher: »Die Begründungen für polizeiliche Maßnahmen verlassen oft den Rahmen der Gefahrenabwehr und verwischen die Grenze zum Strafrecht.«

Es hat den Anschein, als habe sich die SPD in Hamburg von allen Hemmungen befreit und sei bemüht, sich innenpolitisch als Hardliner zu profilieren. Nur so lässt sich erklären, dass sie ebenso die umstrittene verdeckte Online-Überwachung von Computern per Staatstrojaner ermög­lichen will und die Wohnraumüberwachung im Polizeirecht verankert. Selbst das umfassende Scannen von KFZ-Kennzeichen soll legalisiert werden, obwohl selbst in der Expertenanhörung unklar blieb, worin eigentlich der Nutzen dieses Datensammelns bestehen soll. Wahrnehmbare öffentliche Kritik oder gar Widerstand gibt es in Hamburg nicht. Jedenfalls steht derzeit die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider, mit ihrer Kritik an den Gesetzesänderungen fast allein da. Sie stellt fest: »Die SPD-Gesetzentwürfe erfüllen die Anforderungen einer dringend notwendigen Reform des Polizeirechts nicht.« Sie verweist auf eine »ausufernde Überwachung« und die Zunahme »digitaler Schnüffelinstrumente«, der eine Stärkung der Grundrechte – die Freiheit der Person, die Freizügigkeit und die informationelle Selbstbestimmung – entgegenzuhalten sei.
Tatsächlich kann die Polizei mit dem neuen Polizeirecht auf Grundlage beliebig zurechtgelegter Lageerkenntnisse Gefahrentatbestände behaupten, die den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ermöglichen, ohne dass es einer vollendeten oder unmittelbar bevorstehenden Straftat bedarf. Bei vielen Eingriffen in die Grundrechte ist zudem weder die Beteiligung von Richtern noch die Mitteilung an Betroffene vorgesehen. Ohne den Richtervorbehalt oder eine Mitteilungspflicht an Betroffene entzieht sich jedoch polizeiliches Handeln jeder juristischen Kontrolle. Schließlich existiert bisher in Hamburg auch kein parlamentarisches Gremium, das die Polizeiarbeit wirksam überwacht. Das einzige Kontrollgremium der Bürgerschaft ist nur für das Landesamt für Verfassungsschutz zuständig. Daher bemängelt auch Möller: »Ansätze für eine Stärkung der Bürgerrechte gegenüber der Polizei fehlen völlig.« Angesichts der absoluten Mehrheit der SPD in der Bürgerschaft wird es wohl wieder ­eines höchstrichterlichen Urteils bedürfen, um den präventiven Sicherheitsstaat vorläufig in seine Schranken zu weisen.