Die Sicherheitsmaßnahmen in London anlässlich der Olympischen Spiele

Schießen, köpfen, treffen

Mit über 17 000 Soldaten und einer weitgehenden Privatisierung des Sicherheitssektors will London bei den Olympischen Spielen Maßstäbe setzen.

Wo beginnt die Militarisierung der Olympischen Sommerspiele von London? Und wo hört sie eigentlich auf? Zumindest auf die zweite Frage gibt es in den Augen der Bewohner des 17stöckigen Wohnblocks Fred Wigg Tower eine eindeutige Antwort: Mit bemerkenswerter Offenheit wurde ihnen nämlich auf einem Flugblatt von den Spezialkräfte ihrer Majestät mitgeteilt, was diese künftig mit ihrer Behausung vorhaben. Der Sozialbau, so wurde im Mai angekündigt, wird umgerüstet zu einer Art Luftabwehrstation. Oben auf dem Dach werden Starstreak-Raketenwerfer stationiert. Mit dreifacher Schallgeschwindigkeit sollen die Raketen mögliche Terrorangriffe aus der Luft verhindern. Für die Dauer der Olympischen Spiele werde der Wigg Tower die »letzte Verteidigungslinie« sein, stand in dem Flyer geschrieben. Die Bewohner fühlten sich fortan als »Terrorziel« und klagten gegen die militärische Fremdnutzung ihres Hauses. Zumindest für die Zeit der Spiele wollten sie ein bezahltes Ausweichquartier in der Stadt zur Verfügung gestellt bekommen. Sie verloren den Prozess.
»Olympia kann kommen«, sagte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, Ende Juni in der Kurmainz-Kaserne in Mainz. Dort nämlich erhielten die deutschen Olympioniken ihre Teamkleidung für die Spiele. Zum vierten Mal in Folge. Auch diesmal hatte das sichtlich stolze Feldjägerbataillon 251 zu diesem Zweck eigens eine Halle in eine Art Großraumboutique umgewandelt. Nach Registrierung durch die Soldaten konnte jeder Sportler mit dem Einkaufswagen »Bundeswehr oliv« einen Rundgang durch das Warenhaus unternehmen und seine Olympia­kleidung einpacken. »Das ist alles wieder sehr gut organisiert und klappt einwandfrei«, sagt der Präsident des DOSB, Thomas Bach. »Auftrag Einkleidung erfüllt« also.
Vielleicht begann schon hier, in der Kaserne Kurmainz, die Militarisierung der Olympischen Spiele in London, aus deutscher Sicht jedenfalls. Aber das war allenfalls ein Vorgeschmack auf das, was die Athleten und Funktionäre in der Hauptstadt Großbritanniens erwartet. Die wird sich für die Zeit der Spiele nämlich in eine Art militärische Ausnahmezone verwandeln. Das britische Innenministerium spricht von der »größten Sicherheitsoperation in Friedenszeiten auf britischem Boden«, und die kostet nicht weniger als eine Milliarde Pfund. Für das Land ist es zudem die größte Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg. Großbritannien, das Austragungsland der Spiele, führt gegenwärtig mit dem Bündnispartner USA gemeinsam einen Krieg in Afghanistan und hat gerade erst einen Kriegseinsatz in Libyen beendet. Und die Organisatoren der Spiele haben große Angst vor Terroranschlägen.
Am 7. Juli 2005, einen Tag nachdem London den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhalten hatte, erschütterte ein Terroranschlag die Hauptstadt. Die sicherheitspolitischen Spielregeln für die Austragung von Olympischen Spielen wurden allerdings schon seit den Spielen in Athen 2004 gründlich verändert. Es waren die ersten Spiele nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001. Seitdem kreisen Zeppeline vollgepackt mit Hightech-Kameras über die Olympiastädte, Kriegsschiffe kreuzen umher wie die »HMS Ocean« derzeit auf der Themse. Der Luftraum über den Olympiastädten ist weithin abgeriegelt. Und sollte dennoch ein Flugzeug dort unerlaubt eindringen, wird es nach einer Vorwarnung von den kreisenden Awacs-Radarflugzeugen zunächst geortet und dann von Boden-Luft-Abwehrraketen abgeschossen.
Was in London jedoch eine neue Qualität erreicht, ist die Offenkundigkeit der Überwachung und die Auslagerung eines Großteils polizeilicher und militärischer Aufgaben auf private Sicherheitsdienste. London wird in diesen sportlichen Tagen mit rund einer Million Überwachungskameras (CCTV) das größte urbane Überwachungsnetz weltweit haben und vor allem zum Einsatz bringen. »Mit der Hochrüstung und dem Ausbau der permanenten Überwachung der Bevölkerung zu den Olympischen Sommerspielen in London wurden neue Standards gesetzt. Leider wohl auch für die kommenden Spiele. Darüber sollte sich jeder bewusst sein, der eine Bewerbung Deutschlands für die Ausrichtung von Olympischen Spielen in der Zukunft befürwortet«, sagt der innenpolitische Experte der Linkspartei im Bundestag, Jan Korte.
In London werden zu den Spielen 17 000 Soldaten stationiert sein, übrigens mehr als im Moment in Afghanistan. Dazu kommen noch einmal rund 10 000 Kräfte des privaten Dienstes G4S, wofür das Unternehmen rund 300 Millionen Pfund erhalten soll. Die Olympischen Spiele seien eine hervorragende Gelegenheit zu zeigen, was der Privatsektor im Bereich der Sicherheit leisten könne, hieß es jetzt aus britischen Regierungskreisen. Bringt man diese Aussage in Verbindung mit dem angeblich zögerlichen und laxem Vorgehen der britischen Polizei bei den tagelangen Aufständen und Plünderungen (»Riots«) in Tottenham und anderswo im vergangenen Jahr, dann weiß man schnell, was damit auch gemeint sein kann.