Der Islamunterricht könnte die Verbreitung reaktionärer Ansichten fördern

Erst Aufklärung, dann Islam

Solange der Islamunterricht als Vermittlung von und nicht als kritische Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten verstanden wird, gehört er nicht in staatlichen Schulen.

Die Einführung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen würde ein Fach etablieren, dessen Aufgabe weder die wissenschaftlichen Kriterien genügende Informationsvermittlung ist, noch eine Pädagogik, die die kritische Reflexion des Islam fördert, sondern die Vermittlung unhinterfragbarer Glaubensinhalte. Deutlich zeigte sich dies 2008 am Fall Muhammad Sven Kalisch. Dieser hatte als islamischer Theologe an der Universität Münster die erste Professur zur Ausbildung islamischer Religionslehrer inne. Da Kalisch den Koran und die Geschichte des Islam historisch-kritisch betrachtete, protestierten die im Koor­dinierungsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossenen vier konservativen Verbände. Mit ­Erfolg: Der Wissenschaftsminister der damaligen CDU-geführten Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart (FDP), entzog Kalisch die Ausbildungsbefugnis und übertrug sie einem linientreuen Muslim, dem Wiener Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, nachdem die schriftliche Erlaubnis des KRM eingeholt worden war.
Eine konsequente Trennung von Staat und Religion wie etwa in Frankreich gibt es in Deutschland nicht. Der bestehende, vor allem christliche konfessionelle Pflichtunterricht ist wesentlicher Ausdruck dieses Zustands. Mit dem Islamunterricht und der Ausweitung bisher den Kirchen vorbehaltener Privilegien auf den Islam werden diese Verhältnisse weiter verfestigt. Es verwundert daher nicht, dass gerade Vertreter der christlichen Kirchen vehement für seine Einführung plädieren. Ihnen ist es lieber, der muslimischen Konkurrenz dieselben Rechte zuzugestehen, als auf die eigenen Privilegien zu verzichten.

Aus einer emanzipatorischen, laizistischen Perspektive ist es dringend geboten, den Islam den christlichen Konfessionen rechtlich gleichzustellen. Dies setzt jedoch Vergleichbarkeit voraus, nicht nur in dem formalen Sinne, dass auf muslimischer Seite repräsentative, verbindliche Ansprechpartner vorhanden sein müssen. Die großen christlichen Kirchen sind durch die Mühlen der Aufklärung gegangen, nicht freiwillig und nicht überall im gleichen Maße. Dadurch haben sie viel von ihrer Macht und weltanschaulichen Deutungshoheit eingebüßt, haben sich angepasst und teilweise säkularisiert. Universitätstheologie und christlicher Religionsunterricht schließen längst auch die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubensinhalten ein. Der Islam hingegen hat, von marginalen Strömungen abgesehen, noch keine Phase erfolgreicher Aufklärung durchgemacht. Die Konsequenzen zeigte nicht nur der Fall Kalisch. Denn bei den Verbänden, die als Ansprechpartner für die Gestaltung des Islamunterrichts favorisiert werden, handelt es sich meist nicht um Vertreter eines liberalen Islam, sondern um die einflussreichen, gut organisierten konservativen bis fundamentalistischen Organisationen. So will Hamburg einen Vertrag mit islamischen Verbänden abschließen, der die wechselseitigen Rechte und Pflichten festschreibt und dabei auch die Regelung des Religionsunterrichts einschließt. Beteiligt ist Ditib, die größte muslimische Organisation, die den türkischen Staatsislam in Deutschland repräsentiert. Deren saarländischer Ableger wollte muslimischen Frauen auch schon die Ehe mit Nichtmuslimen verbieten und plädiert für die Kopftuchpflicht. Beteiligt ist aber auch der Rat der Islamischen Gemeinschaft in Hamburg (Schura), der unter dem Einfluss von MillÎ Görüş, einer antidemokratischen Organisation, und Unterstützern der Hamas steht. Unter diesen Voraussetzungen ist die Gefahr, dass die Einführung des Islamunterrichts frauen-, schwulen- und judenfeindlicher Indoktrination den Zugang zu den Schulen öffnen könnte, ernst zu nehmen. Dieser Gefahr gilt es entgegenzutreten.

Unklar ist auch, unter welchen Bedingungen die Pflicht zur Teilnahme am Islamunterricht entfallen wird, da der Islam keine Möglichkeit vorsieht, die Religion zu verlassen, während ein Kirchenaustritt den Teilnahmezwang hinfällig macht. Eine Alternative wäre, den Religionsunterricht durch ein neutrales religions- und weltanschauungskundliches Fach zu ersetzen, in dem alle Schüler gemeinsam in einem Kernfragen des Lebens betreffenden Bereich unterrichtet und zur kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen religiösen wie nichtreligiösen Weltbildern befähigt werden. Das würde eine Grundgesetzänderung erfordern. Aber wäre es nicht ein echter Beitrag zur vielbeschworenen Integration, auf diese Weise gegenseitig die jeweiligen Herkunftsmilieus besser kennenzulernen?