Prozess gegen Neonazis in Koblenz

Vom Führer zum Verräter

Vor dem Landgericht Koblenz hat der Prozess gegen 26 mutmaßliche Mitglieder des »Aktionsbüros Mittelrhein« begonnen.

Ihre Zentrale im rheinland-pfälzischen Bad Neuen­ahr-Ahrweiler nannten sie »Braunes Haus«. Laut Anklage war ihr Ziel die Gründung eines Staates nach Vorbild des Naziregimes. Sie sollen politische Gegner attackiert und teils über enge Verbindungen zur NPD verfügt haben. Insgesamt 26 Neonazis im Alter zwischen 19 und 54 Jahren stehen deshalb seit vergangener Woche vor dem Landgericht Koblenz. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Mitgliedschaft in der kriminellen, verfassungsfeindlichen Vereinigung »Aktionsbüro Mittelrhein« (ABM) beziehungsweise deren Unterstützung vor.

Gleich zu Beginn wurde die Verhandlung unter anderem wegen mehrerer Befangenheitsanträge der Verteidigung gegen die Richter unterbrochen und sodann vertagt. Einige Angeklagte werden von Szeneanwälten vertreten, die eine überaus konfrontative Verteidigungsstrategie verfolgen. So sagte einer der Anwälte in Anspielung auf das angeblich »vergiftete Prozessklima« zu den Vertretern der Staatsanwaltschaft: »Wenn Sie sich vergiften, hätte ich nichts dagegen!« Für den Prozess gegen die 26 Angeklagten waren ursprünglich bis Mitte September zehn Verhandlungstage angesetzt. Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass weitere Prozesstage hinzukommen werden. Denn wiederholt stellten die Strafverteidiger der Neonazis weitere Befangenheitsanträge gegen die Richter, dabei rückten sie diese und die Staatsanwaltschaft wahlweise in die Nähe der Stasi oder des Verfassungsschutzes.
Die Anklageschrift füllt 926 Seiten, von denen jedoch nur der weitaus kürzere Anklagesatz in etwa zwei Stunden abwechselnd von verschie­denen Staatsanwälten verlesen wurde. Allein die Hauptakten zum Verfahren umfassen über 12 000 Seiten. Die Vorwürfe reichen von körperlicher Gewalt gegen Nazigegner bis zu versuchten Brandanschlägen auf deren Autos. Einige Angeklagte sollen zwischen 2009 und 2011 an Gewalttaten gegen Mitglieder der linken Szene etwa in Wuppertal und Remagen beteiligt gewesen sein. Mit Hilfe von Mitgliedern des ABM sollen ferner im Zuge neonazistischer Aufmärsche in Dresden Reisebusse von Gegendemonstranten und das linke Wohn- und Kulturprojekt »Praxis« mit Steinen und Fahnenstangen angegriffen worden sein.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wollte das ABM besonders in der Region Bad Neuenahr-Ahrweiler ein »Klima der Angst« schaffen. Dazu soll die Gruppe Angehörige der linken Szene und Journalisten systematisch ausspioniert und deren Daten für mögliche Vergeltungsaktionen gesammelt haben. Zudem seien Aussteiger aus der rechtsextremen Szene bedroht worden. Angeklagt sind die 26 Männer nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, schweren Landfriedensbruchs und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Für hitzige Debatten unter Neonazis sorgen außerdem Meldungen, dass auf mehreren beschlagnahmten Rechnern der Angeklagten kinder­pornographisches Material gefunden wurde.

Dem ABM wird vorgeworfen, die Errichtung eines Staats nach nationalsozialistischem Vorbild an­gestrebt zu haben. »Das Ziel war die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, sagte der Oberstaatsanwalt Walter Schmengler. Dies sollte durch den gemeinsamen Kampf erreicht werden, einige Mitglieder des ABM wurden laut Anklage paramilitärisch ausgebildet. Zu Prozessbeginn sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Harald Kruse, zu Medienvertretern, seine Behörde hoffe außerdem darlegen zu können, dass das ABM eine hierarchische Organisationsform gehabt habe. Kruse sprach von einer »gestuften Verantwortlichkeit« innerhalb der kriminellen Vereinigung.
17 der 26 Angeklagten sitzen in Untersuchungshaft, weniger schwer belastete und solche, die gegenüber den Behörden Aussagen machten, sind derzeit nicht mehr inhaftiert, darunter der bekannte Pulheimer Neonazi Axel Reitz. Die ehemalige Führungsfigur der Naziszene im Rheinland gilt bei seinen ehemaligen »Kameraden« mittlerweile als Verräter (Jungle World 29/12). Alte Weggefährten bekundeten auf den Zuschauerplätzen leise ihre Verachtung für Reitz, der auch unter dem Beinamen »Hitler von Köln« bekannt wurde.
Aus Solidarität mit den anderen Angeklagten waren zwei Tage vor Prozessbeginn in Koblenz etwa 200 Neonazis aufmarschiert, unter ihnen Christian Worch. Die überwiegend jungen Männer aus der militanten Neonaziszene skandierten dabei Parolen wie »Nationaler Sozialismus jetzt!«, »Nie wieder Israel!« und auch, in Abwandlung der verbotenen NSDAP-Losung »Alles für Deutschland«, die Worte »Alles für Volk, Rasse und Nation«. An Gegendemonstranten richteten die Nazis Parolen wie »Hört auf mit dem Geschrei – ins Arbeitslager rein!« und »Linkes Gezeter – neun Millimeter«. Als Redner traten unter anderem Safet Babic und Markus Walter auf, beide sind stellvertretende Vorsitzende des rheinland-pfälzischen NPD-Landesverbandes.
Dass die Funktionäre den Angeklagten wegen der guten Verbindungen des ABM zu ihrer Partei zur Seite stehen, liegt nahe. Die Nazigruppe soll sich der Anklage zufolge nicht nur mit Partys im »Braunen Haus« und dem Verkauf von T-Shirts, Hemden und anderen Artikeln, sondern auch durch Spenden finanziert haben. Um diese steuerlich absetzen zu können, soll das Geld zum Teil über ein Konto der NPD geflossen sein. Ein Angeklagter ist Sven Lobeck, bis zu seiner Inhaftierung war er NPD-Kreisvorsitzender in Koblenz. Auch andere Angeklagte sollen Mitglieder der rechtsextremen Partei sein.

Ermittlern zufolge soll das ABM nicht nur die ­lokale Organisierung vorangetrieben, sondern zudem auch sporadische Treffen von Führungs­kadern verschiedener Neonazigruppen aus dem Rheinland und dem nördlichen Rheinland-Pfalz im »Braunen Haus« abgehalten haben. Bis im Frühjahr diente das kleine Mietshaus mit seinem Veranstaltungsraum als Hauptquartier des ABM. Bei einer bundesweiten Razzia im März wurde es, wie auch zahlreiche andere Wohnungen in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, von der Polizei gestürmt.
Das »Braune Haus« ist mittlerweile Geschichte. Nach fast zweieinhalbjährigen Bemühungen der Vermieter, die Neonazis aus der Immobilie zu klagen, stand das Haus seit der Razzia leer. Mitte August endete das Mietverhältnis nun endgültig, der Vater eines mutmaßlichen Anführers des ABM, Christian H., übergab die Schlüssel wieder dem Eigentümer.