Streikrecht bei kirchlichen Arbeitgebern

Leitbild Dienstgemeinschaft

Das Bundesarbeitsgericht hat über das Streikverbot bei kirchlichen Arbeitgebern entschieden.

In der vorigen Woche befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt mit der Frage, ob eine der boomenden Branchen mit mittlerweile über 1,3 Millionen Beschäftigten weiterhin eine streikfreie Zone bleiben darf. Es handelt sich um die Diakonie und die Caritas, die sich im Zuge des Ausbaus der sogenannten Care-Industrie zu pro­fitorientierten Privatkonzernen entwickelt haben. Aus Sicht der Kapitaleigner haben diese Konzerne einen wichtigen Vorteil. Die Beschäftigten, in Reproduktions- und Pflegeberufen sind es überwiegend Frauen, dürfen nicht streiken. Denn die Unternehmen befinden sich in kirchlicher Trägerschaft. Im Rahmen des noch aus der Weimarer Republik stammenden »Selbstordnungsrechts« der Kirchen hatten die kirchlichen Unternehmer bisher die Möglichkeit, weltliche Arbeitsrechte zu ignorieren und einen sogenannten dritten Weg zu gehen. Doch hinter diesem schillernden Begriff verbirgt sich nichts anderes als eine ständestaatliche Vorstellung von Konfliktregelung, die am »Leitbild der Dienstgemeinschaft« ausgerichtet ist.

Arbeitsbedingungen ebenso wie Löhne sollen einvernehmlich kirchenintern ausgehandelt werden. Jede Arbeitskampfmaßnahme wird als Verstoß gegen diese betriebsinterne Regelung angesehen und hat zu unterbleiben. Eine solche arbeitsrechtliche Situation dürfte auch den Wunschvorstellungen vieler Unternehmerverbände entsprechen. Aber nur die kirchlichen Träger können sie bis heute mit Verweis auf die über 80 Jahre alte Regelung legitimieren. Man könnte vermuten, dass in einer säkularen Gesellschaft solche Entrechtungen von Beschäftigten mit dem Verweis auf Kirchenrechte endgültig der Vergangenheit angehören müssten. Darauf stützte sich auch die Hoffnung von Kritikern dieser Regelung, wie sie vor allem bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu finden sind.

Nach der gerichtlichen Entscheidung des BAG, die am Dienstag voriger Woche verkündet wurde, kann jedoch keinesfalls von einem Sieg für die säkulare Gesellschaft und die Gewerkschaftsrechte gesprochen werden. Auch die Erfolgsmeldungen, die Verdi nach der Entscheidung verbreitete, können an diesem Befund nichts ändern. Die Gewerkschaft stützt ihre Erklärungen auf den Passus der Entscheidung, der das strikte Verbot von Arbeitsniederlegungen bei kirchlichen Trägern zumindest aufweicht. Doch vor allem in der Urteilsbegründung hat die Präsidentin des BAG, Ingrid Schmidt, die Position der kirchlichen Unternehmer bestätigt. Dass sie damit eine ständestaatliche Ideologie aufwertet, wird schon im Wortlaut deutlich.
Die Religionsgemeinschaften sollen auch weiterhin »ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsverfahren« praktizieren dürfen. Es müsse nur garantiert sein, dass die Gewerkschaften dabei organisatorisch eingebunden würden und die Ergebnisse dann für die gesamte Branche verbindlich seien. Werden diese Kriterien erfüllt, kann den Beschäftigten religiöser Träger auch weiterhin das Streikrecht verweigert werden. Man muss den Vertretern von Verdi zustimmen, wenn sie davon sprechen, Verhandlungen ohne Streikrecht seien nicht mehr als ein kollektives Betteln. Allerdings sollte man daran erinnern, dass sich die DGB-Gewerkschaften auch außerhalb der kirchlichen Trägerschaft gerne für die Standortinteressen von Unternehmen instrumentalisieren lassen.

Wenn die Deutsche Bischofskonferenz nach der Entscheidung des BAG schlussfolgert, »das System der partnerschaftlichen Tariffindung in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen« sei »im Grundsatz bestätigt« worden, ist das eine Einschätzung, die der Realität entspricht. Hingegen ist weniger verständlich, dass auch Verdi einen Erfolg reklamiert. Gerade im Hinblick darauf, dass ständestaatliche Elemente weiterhin im Arbeitsrecht dafür sorgen können, das Streikrecht der Beschäftigten einzuschränken, sollte man nicht nur auf die nächste juristische Instanz verweisen, wie es Verdi getan hat. Ein Bündnis von betroffenen Arbeitnehmern und gesellschaftlichen Institutionen gegen ständestaatliche Sonderrechte wäre sinnvoll. Aber vielleicht stünde Verdi dann eine andere Bündniskonstellation im Weg? Gemeinsam mit den großen Kirchen hat sich die Gewerkschaft bisher erfolglos gegen längere Ladenöffnungszeiten und die Ausdehnung der Wochenendarbeit gewehrt.
Immerhin vertrauen nicht alle Betroffenen dem Gerichtsweg. Unter dem Motto »Kein Abbau der Arbeitnehmerrechte in der Diakonie! Für Tarifvertrag!« riefen Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen (AGMAV) des Diakonischen Werks in Hessen-Nassau (DWHN) gemeinsam mit Verdi in den vergangenen Tagen zum Protest auf.