Der Film »Müll im Garten Eden« von Fatih Akin

Gegen den Gestank

Fatih Akin schildert die Proteste gegen eine Mülldeponie in einem Dorf im Nordosten der Türkei.

Der neue Film von Fatih Akin stinkt zum Himmel! Nicht, dass er verlogen wäre, im Gegenteil. Akin hält in seiner Langzeitdokumentation »Müll im Garten Eden« gewissenhaft fest, wie das türkische Dorf Camburnu, in dem sein Großvater geboren wurde, verschmutzt wird, und was die Menschen dagegen unternehmen. Doch der Reihe nach: Der deutsch-türkische Regisseur, der 2004 für sein radikales Liebesdrama »Gegen die Wand« mehrfach ausgezeichnet wurde, ist für seine Beobachtungsgabe bekannt. Als er 2005 das erste Mal in den Nordosten der Türkei reiste, fand er noch ein grünes Paradies vor. Doch die Idylle trügte. Schon damals hatte der türkische Staat beschlossen, dort täglich 600 Tonnen Müll aus den Großstädten Trabzon und Rize und 48 weiteren Gemeinden der Umgebung in einer stillgelegten Kupfermine abzuladen.
Akin unterstützte die beunruhigten Dorfbewohner dabei, Demonstrationen zu organisieren, und brachte das Fernsehen in das 3 500 Einwohner zählende Camburnu. Als er 2006 erneut in das Dorf reiste, um dort das versöhnliche Ende seines Spielfilms »Auf der anderen Seite« zu drehen, waren trotz der Proteste des Bürgermeisters und der Dorfbewohner die Pläne weiter gediehen. Akin begann mit seinem Team, einen Dokumentarfilm über die Deponiepläne zu drehen: Ausgang ungewiss.
So übernahm die Wirklichkeit die Regie bei dieser Langzeitdoku, die im Rahmen der 65. Internationalen Filmfestspiele in Cannes ihre Weltpremiere feierte. Der Dorffotograf Bünyamin Seyrekbasan wurde in die Kameraarbeit eingewiesen und filmte über einen Zeitraum von fünf Jahren, immer dann, wenn Akins Team selbst nicht vor Ort sein konnte.
Zu Beginn beeindruckt der Film mit einer Heli-Cam-Fahrt über die Fischerboote an der Küste und die üppigen Teeplantagen. Mal schmiegt sich eine Moschee, mal ein Haus in die Landschaft, doch der unerbittliche Soundtrack von Akins Freund Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten, mit dem er bereits für seinen Film »Gegen die Wand« und seine Musikdokumentation »Crossing the Bridge« zusammengearbeitet hat, lässt ahnen, wo diese Fahrt enden wird: auf der wegen des unerträglichen Gestanks zeitweilig mit Duftstoffen ­besprühten, von giftigem Abfall übersäten Müllanlage. Akin dokumentiert den vergeblichen Widerstand der Bewohner gegen Bürokraten, Betonköpfe und Lobbyisten und zeigt die Mechanismen des Kapitalismus auf. Gelegentlich setzt er diesen deprimierenden Bildern hoffnungsspendende Szenen der traditionellen, aber auch der modernen Lebensweise der Bevölkerung entgegen.
Wir sehen, dass die Ummantelung der viel zu kleinen Deponie bereits Risse hat, bevor der erste Müll überhaupt abgeladen wird. Das nächste Haus befindet sich nur 50 Meter von der Müllanlage entfernt, obwohl der gesetzlich vorgeschriebene Mindestabstand einen Kilometer beträgt. Ismet Bodur muss allmorgendlich den herübergewehten Müll aus seinem Garten entfernen. Die Wutbürgerinnen des Dorfes hüllen ihre Gesichter in Tücher, damit sie die Schadstoffe nicht einatmen müssen. »Der Gestank sitzt mit uns am Esstisch«, sagt eine Bewohnerin. Während sich spontane Proteste formieren, der der Regierungspartei AKP an­gehörende Bürgermeister den Ausbau zu verhindern sucht und deshalb von den Behörden sogar angeklagt wird, wächst der Müllberg weiter. Zeitweise wird pechschwarzes Wasser ungeklärt in die Bäche geleitet, da die Kläranlage hoffnungslos überlastet ist. Die Ingenieure weisen jegliche Verantwortung für die katastrophalen Zustände von sich. Stattdessen schieben sie die Schuld auf Allah und den Regen.
Die in der Region häufigen Regenfälle bringen, so wie Kritiker des Projekts es prophezeit hatten, die Auffangbecken zum Überlaufen. Viele junge Leute wandern ab, weil sie für sich keine Zukunft mehr in dem Dorf sehen. 2011 bricht die Mauer des Abwasserbeckens und das hochgiftige Schmutzwasser ergießt sich über die Hänge ins Schwarze Meer. Die für die Region wichtige Teeernte wird vernichtet, die Felder sind nicht mehr zu bestellen. Die Einwohnerzahl des geschundenen Dorfes hat sich bald auf 1 200 Menschen verringert.
Angesichts dieser Katastrophenspirale mag man sich als Zuschauer womöglich kritischere Interviews mit den Verantwortlichen wünschen, doch Akin scheiterte bei dem Versuch, den Umweltminister Osman Pepe zur Mülldeponie zu befragen. Pepe forderte Akin und sein Kamerateam harsch auf, sein Büro zu verlassen. Auch die Verantwortlichen der Mülldeponie waren nicht für ihn zu sprechen. Die Ignoranz der Zuständigen ist ungeheuerlich. Als die Teebäuerin Nezihan Haslaman, die noch während der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt verstarb, den aalglatten Gouverneur von Trabzon zur Rede stellen will, wird sie von dessen Bodyguard mit dem respektlosen Satz: »Schluss jetzt, Oma« abgedrängt.
Gewiss könnte man diesem Film vorwerfen, es mangele ihm an einer ausgefeilten Erzähldramaturgie. Ursprünglich hatte der Regisseur geplant, selbst im Stil eines Michael Moore durch den Film zu stapfen, diese Idee aber glücklicherweise wieder verworfen, da sie vom Thema ablenken würde. Nach Abschluss der Dreharbeiten bleibt die Mülldeponie schließlich noch mindestens für zwei weitere Jahre in Betrieb. Am Ende des Films sieht man den tapferen Dorffotografen wieder mit seiner Kamera losziehen.
Was die Faszination dieses im besten Sinne unspektakulären, aber sehr nachhaltigen Dokumentarfilms, der kürzlich für den Art Cinema Award nominiert wurde, ausmacht, ist die Wut der Dörfler, die sich im Laufe des Films auf den Zuschauer überträgt. Man möchte die Verantwortlichen am liebsten für einen Tag an einen Marterpfahl in unmittelbarer Nähe der Mülldeponie binden und sie dem Gestank und dem Anblick der Verwesung aussetzen. Doch letztlich sind die Proteste der Bürger wie des Filmteams die bessere und nicht zu unterschätzende Waffe im Kampf gegen Missstände: Empört euch weiter!

Müll im Garten Eden. Regie: Fatih Akin
(D 2012). Filmstart: 6. Dezember