Wie ist die Militärintervention in Mali zu bewerten?

Krieg, Uran und Jihadisten

Der Hinweis auf wirtschaftliche Interessen allein ist kein Argument gegen den emanzipatorischen Charakter politischer, auch militärischer Bestrebungen.

»Die zahlreichen Berichte über Gräueltaten der Islamisten zeigen offenbar Wirkung«, schreibt Ulrich Schmid in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 22. Januar unter dem Titel »Die vielen Pirouetten Berlins«. Er bezieht sich damit auf die relativ große Sympathie, die ein möglicher Einsatz der Bundeswehr gegen die Jihadisten in Mali Umfragen zufolge in Deutschland genießen würde. Statt aber diese »Wirkung« und damit erhöhte Sensibilität gegenüber den menschenverachtenden Praktiken der Islamisten zu begrüßen, bedauert er sie. Implizit verurteilt Schmid die französische Militärintervention in Mali und ihre Unterstützer. Zustimmend bezieht sich die Kasseler AG Friedensforschung, Veranstalterin des Friedenspolitischen Ratschlags, ebenso auf Schmids Artikel wie die Sozialistische Linke, eine Strömung innerhalb der Linkspartei.
Schmid zufolge hat Frankreichs Präsident François Hollande den Krieg begonnen. Was vor der französischen Intervention in Mali geschah, war nach dieser Logik also kein Krieg. Was waren für Schmid aber dann die bewaffneten Aktionen der Islamisten und der Terror gegen die Bevölkerung vor allem Nordmalis? Die Einführung einer radikalen Variante der Sharia mit dem Abhacken von Händen und Füßen bei mutmaßlichen Dieben, Vermummungszwang für Frauen, Verbot von Alkohol und westlicher Musik: Ist es westliche Kriegspropaganda, darüber zu berichten?
Schmid inszeniert sich als Tabubrecher, indem er Stammtischfragen stellt und platteste Verschwörungstheorien bedient. Hat Hollande den Krieg vielleicht nur begonnen, um von der katastrophalen innenpolitischen Lage abzulenken?
Er fragt auch nach den Bodenschätzen, an denen die Franzosen interessiert seien. In einer Stellungnahme der Kasseler Friedensforscher vom 16. Januar heißt es dazu ganz direkt: »Das französische Engagement erklärt sich in erster Linie aus dessen ökonomischen Interessen, die vor allem Rohstoffinteressen sind und sich neben Mali auch auf den Nachbarstaat Niger richten. Es geht um die Sicherung der Produktion und des Transports von Uran durch den weltgrößten französischen Atomanlagenbauer und Nuklearkonzern Areva.«
Welch ein Popanz! Was soll daran überraschend sein, dass es in kapitalistischen Verhältnissen immer auch um ökonomische Interessen und die Sicherung von Einflusssphären geht und nicht nur um die Verfolgung hehrer moralischer Ziele?

Ungeachtet der Frage nach den »wirklichen« Motiven für ein militärisches Eingreifen gegen die Islamisten kann eine Intervention den Terror gegen die Bevölkerung beenden. Verzicht darauf bedeutet kein Ende des Kriegs, sondern die ungehinderte Fortsetzung des anderen Kriegs, den, mit dem die Islamisten ihr Terrorregime ausweiten. Sie streben die Errichtung eines islamischen Staats und die Einführung der Sharia in ganz Mali an, wie Omar Hama, einer der Anführer der Islamistenmiliz Ansar Dine, in einer Weltspiegel-Reportage der ARD vom 18. November vergangenen Jahres mit dem Titel »Mali – Die Zeichen stehen auf Krieg« betonte. Die Mehrheit der Bevölkerung Malis wünscht sich ein Eingreifen von außen, was selbst die Initiatoren des »Weißen Marsches« malischer Interventionsgegner einräumen. Auch der Präsident des Hohen Rats der Muslime Malis, Hamadoun Dicko, für den Religion weitgehend Privatsache ist, begrüßte in der Reportage ein militärisches Vorgehen gegen die Islamisten für den Fall, dass diese sich nicht selbst zurückziehen.
Warum der Hinweis auf wirtschaftliche Interessen allein kein Argument gegen den emanzipatorischen und humanistischen Charakter politischer, auch militärischer Bestrebungen ist, lässt sich an einer Reihe historischer Beispiele zeigen. Eines davon ist der Amerikanische Bürgerkrieg, der entgegen verkürzter, wenn auch verbreiteter Wahrnehmung nicht primär ein moralischer Krieg um die Abschaffung oder Beibehaltung der Sklaverei in den Südstaaten der USA war. Auch dieser Krieg hatte ökonomische Gründe, unter anderem das wirtschaftliche Gefälle zwischen dem indus­triellen Norden und dem benachteiligten, unterentwickelten, landwirtschaftlich geprägten Süden. Die Sklaverei spielte in der Auseinandersetzung eine immer wichtigere Rolle, aber nicht im Sinne einer von der materiellen Basis losgelösten Ethik, sondern als rückständige Produktionsweise. Für die Südstaaten war die Sklaverei überlebensnotwendig, sie waren, um wirtschaftlich bestehen zu können, auf die billige Arbeitskraft der Sklaven angewiesen. Für die Entwicklung der USA zur kapitalistischen Großmacht war sie ein Hemmnis. Sogar in den Nordstaaten bildeten die Abolitionisten, die prinzipiellen Sklavereigegner, eine Minderheit. Selbst Abraham Lincoln, persönlich ein überzeugter Gegner der Sklaverei, trat als Politiker zunächst nicht für ihre grundsätzliche Abschaffung ein.
Nichtsdestoweniger ebnete der militärische Sieg der Nordstaaten den Weg für die vollständige Beseitigung der Sklaverei in den USA. Das war ein entscheidender emanzipatorischer Fortschritt, auch wenn Rassismus, massive Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung von Schwarzen dadurch bekanntlich nicht beendet waren.

Für Karl Marx stand die humanistische Bedeutung des Nordstaaten-Feldzugs außer Frage, was unter anderem dem aus seiner Feder stammenden Glückwunschbrief der Internationalen Arbeiterassoziation an Abraham Lincoln zu dessen Wiederwahl 1864 zu entnehmen ist. Zu der Zeit war der Krieg in der Endphase. Der Brief schließt mit den pathetischen Worten: »Die Arbeiter Europas (…) betrachten es als ein Wahrzeichen der kommenden Epoche, dass Abraham Lincoln, dem starksinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Race und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen.«
Wie wären wohl die Reaktionen ausgefallen, hätte es damals eine deutsche Friedensbewegung oder die Partei »Die Linke« gegeben? Wäre die Rede davon gewesen, Berichte über die brutale Unterdrückung und Misshandlung von Sklaven dienten nur der Kriegspropaganda, der Krieg der reichen, kapitalistischen Nordstaaten gegen den armen Süden diene in Wirklichkeit der politischen Unterwerfung und ökonomischen Ausbeutung der Südstaaten? Hätten Aktivisten der Friedensbewegung Abraham Lincoln und die Nordstaaten aufgefordert, den Konflikt doch im Dialog mit den Sklavenhaltern zu lösen?
Margret Geitner, Referentin im Arbeitskreis Internationale Politik der Fraktion »Die Linke« im Bundestag, jedenfalls meint in den Fraktionsnachrichten vom 21. Januar: »Konflikte und Widersprüche innerhalb der malischen Gesellschaft können nur im Dialog angegangen und gelöst werden, um zu einer nachhaltigen Veränderung zu kommen.« Dem »innerstaatlichen Gewaltkonflikt« könne »nicht durch außenpolitische militärische Intervention« begegnet werden. Wie sie einen Dialog mit Jihadisten angehen möchte, deren erklärtes, unhintergehbares Ziel ein Gottesstaat und für die jeder Kompromiss Verrat am Glauben ist, bleibt ihr Geheimnis. Warum Gewalt von außen schlimmer sein soll als innerstaatliche Gewalt, begründet sie ebenso wenig.
Sevim Dağdelen, Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei für Internationale Beziehungen, bezeichnet in einem Beitrag für die Junge Welt vom 16. Januar das Eingreifen Frankreichs gar als »klassisch kolonialistische Politik«. Ob Dağdelen noch nicht mitbekommen hat, dass Mali schon längst keine französische Kolonie mehr ist und die Verfolgung von Interessenspolitik durch eine Großmacht etwas anderes ist als Kolonialismus oder gar klassischer Kolonialismus?
Ihre Ablehnung der Intervention verkauft sie als kritische Position einer Minderheit unter anderem mit der Behauptung, »die Medien« hätten »den Militäreinsatz begrüßt«, was natürlich, auch wenn man diese Aussage auf die Mainstreammedien bezieht, so nicht stimmt. Erwähnt wurde bereits der Artikel aus der renommierten NZZ, die bisher nicht gerade als linkes Blatt in Erscheinung getreten ist. Das gleiche gilt für die Wirtschaftswoche. Dort gab Frank Doll am 14. Januar unter dem bezeichnenden Titel »Der Rohstoffkrieg in Mali« seine Sicht der Kriegsmotive zum Besten: »Tief im Herzen Afrikas will Frankreichs Staatspräsident Hollande die Versorgung seines Landes mit dem Atomkraftbrennstoff Uran sichern.« Dafür wurde er dann vom Friedensnetz Saar als Gewährsmann empfohlen.
Den Krieg in Mali hat nicht Frankreich angezettelt, und der Bevölkerung der von den Islamisten kontrollierten Gebiete kann nicht durch den Dialog mit ihren Peinigern geholfen werden, sondern nur durch deren militärische Niederlage. Aber vielleicht betreibe ich mit dieser Position ja auch nur das Geschäft der Atomindustrie.