Das neue Buch von Wolfgang Pohrt

Triumph des Einzellers

Statt sich den frustrierenden Mühen der Kritik zu unterziehen, hält Wolfgang Pohrt es in seinem neuen Buch mit dem Sieger der Geschichte.

Den Vorwurf, ein übermäßig optimistischer Denker zu sein, muss nicht gerade fürchten, wer es für möglich hält, dass die Menschheit sich in ein Volk von »technologisch versierten Termiten« verwandelt, das sprachlos, bewusstlos und freudlos dem Naturgesetz seiner kollektiven Vergesellschaftung folgt. Dennoch scheint Wolfgang Pohrt diesen Gedanken, den er 1976 in der Einleitung seiner »Theorie des Gebrauchswerts« notiert hat, heute bereits für allzu positiv zu halten, zieht er doch in seinem neuen Buch, »Das allerletzte Gefecht«, das eine Zusammenstellung von überarbeiteten Vorträgen ist, die er im Laufe des vergangenen Jahres gehalten hat, das Bild von der Menschheit als Amöbe vor. Die einzelnen Menschen sind demnach lediglich als Zellfortsätze zu denken, die der riesenhafte Einzellerorganismus Menschheit zu seiner historischen Fortbewegung ausbildet.
Während es bei Hegel die List der Vernunft war, die sich hinter dem Rücken der Individuen im Geschichtslauf durchsetzt, ist es bei Pohrt nur noch das bloße Gesetz der Natur, das sich der Menschen als seiner Instrumente bediene, ohne dass diese es bemerkten. Und während in der Darstellung einer Dialektik der Aufklärung bei aller Negativität immer noch der Impuls der Emanzipation aus dem Naturzusammenhang steckte, ist dieser Wolfgang Pohrt anscheinend gänzlich abhandengekommen. Sein Fazit lautet: Wohin uns die Naturgeschichte der Amöbe Menschheit führen wird, können wir ohnehin nicht wissen, und daher scheint es das Beste zu sein, wir versuchten gar nicht, dem Geschehen einen Sinn abzugewinnen oder es durch Setzung von Zwecken zu beeinflussen. Denn im Großen und Ganzen kommt es – wie die bisherige Geschichte zeigt – sowieso anders, als es sich die in ihrem omnipotenten Wahn lächerlichen menschlichen Zellfortsätze denken. Der Pessimismus dient bei Pohrt nicht mehr dazu, in der Darstellung des Negativen das sichtbar zu machen, was anders und besser sein könnte, sondern nur noch dazu, die unvernünftigen Träume der Vergangenheit zu denunzieren und die Gefahren des Totalitarismus zu beschwören, die in einem positiven Menschenbild lägen, das zwangsläufig zu Enttäuschungen und zu womöglich gewaltsamen Maßnahmen der Gutmeinenden führe, um diese abzuwenden. Pohrt weist es denn auch weit von sich, resigniert zu haben. Er konstatiere lediglich die Irrtümer, die den vergangenen revolutionären Hoffnungen zugrunde gelegen hätten. Ein Grund, sich zu grämen, sei das nicht, schließlich gebe es keine ewigen Wahrheiten. Die Zeiten hätten sich eben geändert.
Aus der Einsicht der kritischen Theorie in den »Zeitkern der Wahrheit« ist somit bei Pohrt inzwischen die platte These geworden, dass sich das, was man heute für die Wahrheit hält, morgen als Irrtum herausstellen kann. Jene Einsicht aber meinte mehr und anderes, als dass sich Menschen zeitbedingt notwendig irren; sie zielte auf historisch bestimmte Wahrheit. In seinem Eifer, post festum anhand ihres Scheiterns zu erweisen, dass die vergangenen Bestrebungen, eine befreite Gesellschaft zu schaffen, ideologisch fehlgeleitet gewesen seien, gibt Pohrt den Anspruch rettender Kritik auf. Zu bewahren sei nichts daran, nicht einmal die Idee einer befreiten Menschheit. Auch sie landet auf dem Müllhaufen der Geschichte. Und auch darüber brauchen wir nicht traurig zu sein, denn – seien wir einmal ehrlich –: »Wünschen wir sie uns wirklich, diese Gesellschaft ganz ohne Zwang?« Ist nicht der geheime Grund für das Scheitern des Sozialismus der, dass die Menschen »nun mal zum Sklaven oder Sklavenhalter geboren« sind? Oder der, dass die Menschen »nicht nur leben wollen, sondern auch gewinnen«? Zwar gibt es auch in dieser neuesten Veröffentlichung Pohrts historische Betrachtungen über die konkreten Bedingungen, unter denen die Verwirklichung des Kommunismus möglich schien, und darüber, weshalb dieses Ansinnen immer weniger mit der Wirklichkeit vermittelbar ist und sich über die eigenen Voraussetzungen getäuscht hat. An diesen Stellen ist noch der polemische Scharfsinn spürbar, der seine Texte immer auszeichnete. Doch werden sie entwertet von der immer wieder durchschlagenden Neigung zur Naturalisierung der Erklärungen und von der Weigerung, die Gegenwart anders als schulterzuckend zu betrachten.
Mit der Dystopie von der Menschheit als Termitenvolk hatte Pohrt 1976 eine bestimmte Gefahr pointiert formuliert, die mit dem von ihm damals konstatierten Verschwinden des Gebrauchswerts zusammenhängt: Indem der Kapitalismus die Produktion unter das Wertgesetz stelle, werde der Gebrauchswert sukzessive zur Nebensache. Mit Waren im Überfluss werde auch die Überflüssigkeit der Menschen für den Produktionsprozess produziert, die doch an diesen diabolisch gekettet bleiben. Dieser Zusammenhang drückt sich auch in den Konsumprodukten aus, sie ermöglichen keine Erfahrungen mehr, für die es sich zu kämpfen lohnte. Sie werden zu Schund.
Sinnfällig wird das an den Hervorbringungen der Kulturindustrie, die das Träumen inzwischen vollständig verlernt hat. Weil sich die Menschen inmitten dieses Überflusses unentwegt mit der alltäglichen Abwehr ihrer eigenen Überflüssigkeit, der Sicherung ihrer eigenen Existenz, befassen, sind sie immer weniger fähig, ihr Leben mit solchen Tätigkeiten zu erfüllen, die allererst Sinn ermöglichten: »Geschichten zu erzählen, zu singen, zu tanzen und zu spielen«. Die fortschreitende Sinnlosigkeit der gesellschaftlichen Praxis frisst das Sprachvermögen der Menschen an, die sich nichts mehr zu sagen haben. Dieser Verfall der Sprache lässt es für Pohrt denkbar erscheinen, dass die Individuen sich in bewusstlose Vollstrecker des kollektiven gesellschaftlichen Gesetzes – gleichsam in Termiten – verwandeln, sollte das Kapitalverhältnis nicht endlich abgeschafft werden. Dass mit dem Vergehen von Phantasie auch eine Voraussetzung der Revolution verschwindet, hatte Pohrt damals exakt festgehalten.
Was ihm vor 40 Jahren eine konkrete Gefahr war, scheint ihm jedoch heute die Natur des Menschen zu sein, und ausdrücklich keine mehr, die geworden ist. Die damaligen Thesen scheint er keiner Auseinandersetzung mehr für wert zu halten, da sie heute ohnehin niemand mehr verstehe. Lapidar stellt er fest, die heutige Unverständlichkeit einer Kritik der politischen Ökonomie lasse sich bestens an seiner eigenen »Theorie des Gebrauchswerts« zeigen, die jeder heutige Leser nach wenigen Seiten verständnislos wieder weglege.
Heute hält Pohrt es – wenn zwar nicht affirmativ, so doch in der Abwesenheit von transzendierenden Gedanken – mit dem Sieger der Geschichte, dem Kapitalismus. Eine Betrachtungsweise, die die Geschichte naturgemäß auf ihrer Seite hat. Aus ihr lässt sich in der Tat »alles ableiten, nur kein Verein freier Menschen«. Das höchste der Gefühle ist es deshalb, dass er die Revolution noch in Form eines Wunders für möglich hält. Wenn sich für ihn 1976 die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis »sehr viel ungemütlicher« stellte »als je zuvor«, weil der vergehende Gebrauchswert sich nurmehr einer esoterischen Arbeit am Begriff erschließe, so ist diese Unbequemlichkeit nun der komfortablen Einrichtung in den Zuständen gewichen: Indem die Zukunft heute vollständig verbaut scheint, scheint Theorie sich endgültig erübrigt zu haben. Zu fragen bleibt dann lediglich, warum Wolfgang Pohrt sich überhaupt noch die Mühe macht, solche Texte zu schreiben. Dass ihn akute Geldnot treibt, wäre noch die sympathischste Antwort darauf. Nur wäre gerade diese Not wiederum Einspruch gegen die Stoßrichtung seines Textes.

Wolfgang Pohrt: Das allerletzte Gefecht. Über den universellen Kapitalismus, den Kommunismus als Episode und die Menschheit als Amöbe. Edition Tiamat, Berlin 2013, 160 Seiten, 13 Euro