Die Wohnungspolitik im Wahlkampf

Frohe Mieter, gute Wähler

Mit Wohnungspolitik befassen sich nicht nur Mietervereine und Stadtteilinitiativen. Im Jahr der Bundestagswahl entdecken auch Parteien das Thema.

Peer Steinbrück weiß offenbar, was die Menschen bewegt. Gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, und dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil, hat der SPD-Kanzlerkandidat ein »Positionspapier« mit dem Titel »Bezahlbares Wohnen in einer sozialen Stadt« verfasst. Dem Dokument zufolge sollen Preissteigerungen bei bestehenden Mietverhältnissen auf höchstens 15 Prozent in vier Jahren begrenzt werden, bei Neuvermietungen soll die Mietforderung nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Ferner will die SPD im Falle eines Wahlsiegs die Umlage von Modernisierungskosten mieterfreundlicher gestalten, die Maklerkosten den Vermietern auferlegen und genossenschaftliches Bauen fördern.

Dass sich die SPD derart um die Belange der Mieter kümmern möchte, hat einen guten Grund: Die Wohnungspolitik birgt derzeit genug Brisanz, um zum Wahlkampfthema zu werden. Das im Jahr 2009 in Hamburg gegründete Netzwerk »Recht auf Stadt«, das Vorbild für ähnliche Zusammenschlüsse in anderen Städten wurde, und das Berliner Bündnis gegen Zwangsräumungen erhalten mittlerweile bundesweit Aufmerksamkeit. Das haben auch die Grünen gemerkt. Sie haben auf ihrem Bundeskongress in Berlin Ende April ähnliche Forderungen vorgebracht wie die Sozialdemokraten und damit auch in dieser Frage signalisiert, dass sie dazu bereit wären, ein rot-grünes Regierungsbündnis einzugehen.
SPD und Grüne setzen sich damit von den Beschlüssen zu Mietrechtsänderungen der schwarz-gelben Regierungskoalition vom Dezember ab. Auch diese sorgte sich um die Mieterhöhungen, die laut Gesetzesnovelle nun auf höchstens 20 Prozent innerhalb von drei Jahren, durch Inkraftsetzung einer Rechtsverordnung sogar auf 15 Prozent begrenzt werden können. Um die Immobilienbranche nicht allzu sehr in Angst und Schrecken zu versetzen, wurde jedoch eine Begrenzung der Mietsteigerung bei Neuvermietungen nicht beschlossen, anders als von Mieterschutzvereinigungen gefordert. Zudem wurde der Anspruch auf Mietminderung bei Durchführung von energetischen Modernisierungsmaßnahmen eingeschränkt.
Gerade die Mieterhöhung unter dem Vorwand der energetischen Modernisierung ist aber längst zum effektivsten Mittel der Mietsteigerung geworden. Für Haushalte, die zurzeit bereits die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen, ist das eine unzumutbare Härte. Nach der derzeitigen Rechtslage können die vollständigen Modernisierungskosten mit einer jährlichen Umlage von elf Prozent auf die Miete übertragen werden. Nach zehn Jahren hat sich die Modernisierung amortisiert, die erhöhte Miete wird dann zum Reingewinn des Vermieters.
Besondere Brisanz birgt die in der Novelle festgelegte rechtliche Vereinfachung des Räumungsverfahrens. Vermieter können nun auf dem Weg einer einstweiligen Verfügung einen gerichtlichen Räumungstitel erwirken. Ein bloßer Widerspruch der betroffenen Mietpartei hat keine aufschiebende Wirkung mehr. Sollte sich dann später in einem Verfahren vor Gericht die einstweilige Verfügung als rechtswidrig erweisen, haben die Mieter ihre Wohnung schon längst verloren. Es ist allerdings nicht nur das Mietrecht, das dafür sorgt, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren. So fordern beispielsweise Arbeitsagenturen Empfänger von ALG II dazu auf, die Mietkosten zu senken. Wegen der fehlenden preisgünstigen Alternativen im Zentrum vieler Großstädte sind ALG-II-Bezieher deshalb häufig gezwungen, ihre langjährige Wohnumgebung zu verlassen. Neben den Mechanismen des Wohnungsmarkts ist dies ein weiterer Faktor, der zur Verdrängung ärmerer Haushalte aus begehrten Stadtvierteln führt.
»Ursprünglich war das Mietrecht ein Verbraucherschutzrecht. Wir beobachten in den letzten Jahren, dass sich die rechtliche Situation von Mieterinnen und Mietern zusehends verschlechtert«, sagt Marc Meyer, Jurist beim Hamburger Verein »Mieter helfen Mietern«. Durch massenhafte Verkäufe kommunaler Wohnungsbestände an börsenorientierte Immobilienfirmen und die politisch gewollte Verringerung belegungsgebundener Sozialwohnungen sei der Wohnungsmarkt immer stärker dereguliert worden, erklärt er. Selbst wenn wie in Hamburg neuer sozialgebundener Wohnraum gebaut werde, ersetze das nicht die Zahl der von der Bindung befreiten Wohnungen.

Zusätzlich haben höchstrichterliche Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs (BGH) die Situation verschärft. Mit Paragraph 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes konnten überhöhte Mietpreise gerichtlich geahndet werden. Nach einem Urteil des BGH wurde die Beweislastforderung extrem verschärft. Ein Mieter muss nun beweisen, dass der potentielle Vermieter eine Zwangslage ausgenutzt hat, um eine überteuerte Wohnung zu vermieten. In der Regel wird aber kein Wohnungssuchender nachweisen können, dass er keine andere als die überteuerte Wohnung hätte anmieten können. Damit ist ohne weitere gesetzliche Regelung derzeit eine unkontrollierte Preisgestaltung bei Neuvermietungen von Wohnungen möglich.
Dabei verläuft die Entwicklung auf dem bundesdeutschen Wohnungsmarkt uneinheitlich. In vielen Städten, vor allem in Ostdeutschland, sorgt die Abwanderung für Leerstände und vergleichsweise günstige Mieten. Doch vor allem in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt und München ist die Lage angespannt, hinzu kommen noch Universitätsstädte wie Freiburg, Marburg und Tübingen, in denen günstiger Wohnraum knapp ist.
Rolf Weilert vom bundesweit organisierten »Mietshäusersyndikat«, das selbstverwaltete Hausprojekte mit günstigen Mieten unabhängig vom Kapitalmarkt fördert, will sich mit solchen Marktgesetzen nicht abfinden. »Wir müssen die Systemfrage stellen, denn das Grundproblem liegt darin, dass der Mietwohnungsmarkt der kapitalistischen Verwertungslogik unterliegt«, sagt er. Einen Ausweg daraus biete eigentlich nur die Vergesellschaftung des Wohnraums. Als Zwischenschritt propagiert Weilert das Prinzip der sogenannten revolvierenden Fonds: Reingewinne aus Mieten werden nicht als Rendite ausgeschüttet, sondern in die Schaffung weiteren günstigen Wohnraums investiert. Kommunen und Städte könnten auf dieser Grundlage den nahezu zum Erliegen gekommen sozialen Wohnungsbau wiederaufnehmen.

Wie weit man allerdings noch davon entfernt ist, zeigt sich in Hamburg, wo die SPD regiert. Hier sind nicht einmal die Wahlkampfforderungen Steinbrücks erfüllbar. Die von ihm angestrebte Begrenzung der Mieterhöhungen auf 15 Prozent in drei Jahren könnte, der schwarz-gelben Gesetzesnovelle entsprechend, durch einen Senatsbeschluss in Kraft treten. Doch Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) verzichtet aus Rücksicht auf die Interessen der Wohnungswirtschaft auf die mögliche Herabsetzung der Grenze von zurzeit 20 Prozent. Die Lobby der Hamburger Hauseigentümer hatte gedroht, sonst aus dem Wohnungsneubauprogramm auszusteigen.